Linke und Rechte als politisches Gegensatzpaar? Datenauswertungen zeigen erstaunliche Gemeinsamkeiten bei den Unterstützern der Linkspartei und der AfD.
Sind rechts und links für Wähler noch die Pole der politischen Auseinandersetzung, die sie jahrzehntelang waren? Bei den vergangenen Landtagswahlen jedenfalls zeigte sich, dass viele Anhänger der Linkspartei nun der AfD ihre Stimmen gaben - obwohl diese auf der ganz anderen Seite des politischen Spektrums zu verorten ist. In Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen-Anhalt verlor die Linke im vergangenen Jahr die mit Abstand meisten Wähler an die AfD. Linke-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht umwirbt inzwischen öffentlich zur AfD abgewanderte Protestwähler für die Bundestagswahl im September. Sie gab zusammen mit der AfD-Chefin Frauke Petry ein Interview und spaltet ihre Partei mit Stimmungsmache gegen die Aufnahme von Flüchtlingen.
Umfragen haben bereits gezeigt, dass es Ansichten gibt, die Wähler im linken und im rechten Spektrum teilen: Ihnen gemein ist die Skepsis gegenüber den USA, Offenheit für Russland und die Ablehnung von Freihandel. Aber es sind nicht nur politische Ansichten, die Anhänger von Linkspartei und AfD einen. Die Gemeinsamkeiten gehen tiefer, wie aus Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung hervorgeht. Anhänger von AfD und Die Linke sind verärgerter, sorgenvoller und unzufriedener als jene der politischen Mitte.
Die Ähnlichkeit zeigt sich vor allem in den Angaben zur Lebenszufriedenheit. AfD- und Linke-Sympathisanten sind insgesamt deutlich unzufriedener als Menschen, die der SPD, der CDU, der CSU, den Grünen oder der FDP nahestehen. In die gleiche Richtung weisen Faktoren, die das Leben und den Alltag maßgeblich bestimmen: Linke und AfD-Anhänger sind unzufriedener mit der eigenen Wohnung und ihrem Arbeitsplatz - und mit ihrem Schlaf. Doch was bringt Linke und Rechte um den Schlaf?
Steffen Meier* ist einer, der linke und rechte Ansichten vertritt, auch wenn der 33-Jährige weder mit der Linken noch mit der AfD etwas anfangen kann. Er denke nicht in politischen Richtungen, sagt er: "Ich hab eine Meinung, ob die jetzt links oder rechts ist, ist mir eigentlich ziemlich glatt."
Recherche zum Leben in Deutschland
77.034.720 Informationen, 20 Nachwuchsjournalisten, 13 Wochen Zeit - das sind die Eckdaten einer umfassenden Recherche zum Leben in Deutschland. Die verwendeten Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) stehen Wissenschaftlern, die über einen Datenweitergabevertrag mit dem Deutschen Institut für Wirtschafsforschung (DIW) verfügen, offen. Im Rahmen des Lehr- und Forschungsprojektes Datenjournalismus am Journalistischen Seminar der Universität Mainz konnte eine Kooperation erzielt werden, die es erstmals 20 Journalismusstudierenden ermöglicht, mit den anonymisierten Rohdaten der Studie zu arbeiten. Der Datensatz eröffnete den Nachwuchsjournalisten ungeahnte Einblicke in die Gesellschaft, nahezu jeder Fragestellung zum Leben in Deutschland konnte nachgegangen werden. Dieser Artikel gehört zu den Ergebnissen.
Geleitet wurde das Projekt von Frederik von Castell, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Journalistischen Seminar und freier Journalist, unterstützt von den beiden Professoren Tanjev Schultz und Katja Schupp. Als betreuender Redakteur stand ihnen Sascha Venohr, Head of Data Journalism bei ZEIT ONLINE, von der ersten Idee bis zur Veröffentlichung zur Seite. Maßgebliche Unterstützung haben Studierende und Lehrende von Gert Wagner, Professor für Volkswirtschaftslehre an der TU Berlin und seit 1989 für das Panel verantwortlich, erfahren. Außerdem von Florian Griese (Datensatzaufbereitung) und Julia Rohrer (Hilfestellung bei statistischen Auswertungen). Mit Mirko Lorenz konnte zudem ein versierter Datenjournalist für Trainings gewonnen werden. Bei den Recherchen und Auswertungen waren einzig die Journalisten tätig, das SOEP trägt keine Verantwortung für die Ergebnisse.
Forscher wie Ronnie Schöb, Professor für Volkswirtschaftslehre an der FU Berlin, unterscheiden beide Begriffe strikt voneinander. Glück ist etwas Unbewusstes, Emotionales. "Wir fühlen Glück spontan und wir erleben es nur als ein Gefühl, das etwa von einer Begegnung, einer Berührung oder einfach einer Erinnerung hervorgerufen werden kann", schreibt er. Die Zufriedenheit wird dadurch bestimmt, dass die Befragten über ihr Leben nachdenken, quasi eine Vogelperspektive einnehmen und längerfristiger denken, so Schöb: "Wir vergleichen, wir beurteilen und wir finden heraus, wie wir uns fühlen." Der Datensatz des sozio-oekonomischen Panels beinhaltet viele Variablen, die unterschiedliche Aspekte von Zufriedenheit in der Bevölkerung (etwa mit dem Haushaltseinkommen, der Gesundheit, dem Schlaf oder dem Leben allgemein) abfragen. Gleichzeitig werden die Teilnehmer nach Sorgen und Ängsten, Ärger und Traurigkeit, aber auch ihren Glücksgefühlen in der jüngeren Vergangenheit gefragt.
In Meiers Äußerungen kreuzen sich Kernansichten des linken und des rechten Lagers. Ein Phänomen, das der Parteienforscher Gero Neugebauer von der Freien Universität Berlin schon länger beobachtet. Es gebe viele Menschen, die sich als links bezeichnen, weil sie darunter verstehen, dass der Staat in die Wirtschaft intervenieren müsse, sagt er. Gleichzeitig könnten sie aber auch autoritär eingestellt sein oder wollten keine Ausländer im Land haben - was gerade für ostdeutsche Linke-Wähler sehr stark zutreffe. So jemand, erklärt Neugebauer, "das ist einer, der ist dazwischen. Es ist da nicht mehr so einfach zu sagen: Das ist jetzt ein Linker, das ein Rechter."
Besorgte Bürger links wie rechtsMeier ist beides. Und das in extremem Maße. Er besuchte die Montagsdemonstrationen des heutigen Neonazis und ehemaligen RAF-Terroristen Horst Mahler. Später ging er für Occupy auf die Straße. Der Elektriker träumt von einem Gemeinschaftsleben, in dem die Menschen ihre Habseligkeiten teilen und Geld keine Rolle spielt. Er ist für ein bedingungsloses Grundeinkommen und kann stundenlang über Wirtschaftsbosse und Banker herziehen.
Die Daten des SOEP aus dem Jahr 2015 zeigen, dass Sorge um die wirtschaftliche Entwicklung und die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands sowohl das linke als auch das rechte Lager umtreiben. Außerdem sind Anhänger am linken und rechten Rand häufiger ängstlich und ärgern sich öfter als Anhänger der politischen Mitte.
Seitennavigation Nächste Seite Unterschiedliche Sorgen bei Linken- und AfD-Sympathisanten