Er ist Experte für künstliche Intelligenz - kurz KI - und Inhaber einer Software-Entwicklungsfirma. Doch beim Zoom-Interview dauert es zehn Minuten, bis Christian Fehrlin feststellt, dass er vergessen hat, seine Kamera einzuschalten. Er nimmt es mit Humor - und man selbst als Zeichen dafür, dass weder Fehrlin noch sein Arbeitsalltag bereits vollständig robotergesteuert funktioniert. Beides wirkt sich sehr entspannend auf den weiteren Gesprächsverlauf aus.
Wir Laien haben ja bekanntlich eine eher diffuse Idee von künstlicher Intelligenz. Meist ist diese von Comics oder Sciencefiction-Filmen geprägt, in denen Bordcomputer plötzlich ihre dunkle "Persönlichkeit" offenbaren wie in "2001 - Odysee im Weltraum" oder wo uns irgendwelche süss-smarte Androiden ans Herz wachsen wie bei "Star Trek".
Im echten Leben hingegen begegnet uns KI (noch) relativ nüchtern und abstrakt; als Gesichtserkennungsfunktion oder Siri. Doch bereits jetzt lässt sich erahnen, in welche Richtung es in den nächsten Jahren weitergehen dürfte. Und die Vorstellung, dass Computer und mit ihnen die künstliche Intelligenz immer weitreichender und auch unmittelbarer in unsere Lebenswelten eingreifen, ist nicht unbedingt nur beruhigend.
Christian Fehrlin weiss das alles. Und er ist sich der Verantwortung seiner eigenen Zunft durchaus bewusst. Mit seiner Winterthurer Firma Deep Impact ist er im Bereich der Gesichtserkennung tätig - ein ebenfalls heikles Terrain. Denn so bequem es ist, den Kaffee per Gesichtsscan zu bezahlen oder das Handy freizuschalten, so obskur wird es, wenn totalitäre Regimes damit ihren digitalen Überwachungsapparat aufbauen.
China beispielsweise kontrolliert seine Bürger:innen bereits via 350 Millionen Überwachungskameras, die inzwischen sogar in der Lage sind, Emotionen zu erkennen.
annabelle: Christian Fehrlin, Hand aufs Herz - raten Sie Ihren Kindern dazu, die Gesichtserkennung auf ihrem Smartphone auszuschalten, oder finden Sie diese unbedenklich? Christian Fehrlin: Ganz klar unbedenklich. Der Einsatz von Technologie ist in Staaten mit einer funktionierenden Gewaltentrennung und vernünftigen Regulierungen immer unbedenklich. Das Problem sind Staaten wie China, die die Technologie nutzen, um Bürger:innen stark zu überwachen. In diesen Ländern würde ich den Kindern dann auch abraten, Gesichtserkennung zu nutzen.
Wie sieht es mit dem Einsatz selbstfahrender Autos aus? Für mich das Grösste! Im Einsatz sind sie ja schon. In Arizona kann man bereits selbstfahrende Taxis bestellen und in Kalifornien hat die Google-Tochter Waymo ebenfalls selbstfahrende Autos im Einsatz. Damit wären völlig neue Verkehrskonzepte möglich. Der Staat könnte den Besitz von Autos verbieten, sämtliche Busse und Züge entsorgen und stattdessen drei Millionen selbstfahrende Elektro-Fahrzeuge einsetzen: ein individualisierter ÖV, in dem ich per App mein Ziel mit Wunschzeit eingebe, und die KI übernimmt die Organisation der Reise.
Wie sieht denn die rechtliche Lage aus? Wer zahlt, wenn es einen Unfall gibt? Verantwortlich ist bislang immer noch die Person am Steuer und das wird auch noch eine Weile so bleiben. Es stellt sich aber künftig schon die Frage der Produkthaftung, und ich gehe davon aus, dass es entsprechende Gesetzesänderungen geben wird. Denn wenn es kein Steuerrad mehr im Fahrzeug hat, existieren auch keine Fahrer:innen mehr. Ich bin sicher, dass der Staat irgendwann das Autofahren verbieten wird. Versicherungstechnisch ist das einfach viel zu gefährlich.
Inwiefern? Autofahrer:innen verursachen im Schnitt alle neunzig Millionen Kilometer einen fatalen Unfall, das selbstfahrende Auto dagegen erst auf 130 Millionen Kilometern. Und die Lernkurve geht steil nach oben. Es wird also bald schlicht nicht mehr zu verantworten sein, Menschen ans Steuer zu setzen.
Wann werden in der Schweiz die ersten KI-Fahrten stattfinden? Ich würde behaupten, dass unsere Kinder zur letzten Generation gehören, die noch Auto fahren lernen muss. Schon heute kann ein Tesla vollkommen autonom auf der Autobahn fahren, die Spur wechseln und an der Ausfahrt abzweigen. Europa aber sperrt sich so lang, bis die eigenen Automobilhersteller nachgezogen haben. Mercedes, BMW und Audi brauchen wohl noch drei, vier Jahre, dann wird sich auch hierzulande etwas ändern.