Venezuela in Südamerika ist das ölreichste Land der Welt. Doch der Staat versinkt im Chaos, viele Jugendliche fliehen – so wie José. Wo bleibt die Hoffnung?
José bleibt überraschend ruhig, wenn er über sein Heimatland spricht. Das gelingt nicht vielen Venezolanern, wenn man sie um ein Gespräch über die Situation ihres Landes bittet. Lässig sitze ich mit ihm auf einer Bank, in einem Park mitten im Zentrum der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires.
Venezuela nach der Wahl: Warum junge Menschen die Flucht ergreifen
Hier hat er ein neues Zuhause gefunden, nachdem er sich gezwungen sah, seine Heimat zu verlassen. „Andere sind bei dem Thema vielleicht emotionaler als ich. Aber irgendwann bringt es auch nichts mehr, sich aufzuregen. Denn einen Unterschied können wir eh nicht machen“, sagt er.
Er ist einer von Hunderttausenden, die das Land bereits verlassen haben. Eine Perspektive sieht er für sich dort nicht. Denn Venezuela steckt in der schwersten Krise seiner Landesgeschichte. Millionen Menschen hungern, die Hyperinflation von 14.000 Prozent macht das Geld wertlos und die Lebensmittel teuer. Vom Monatslohn eine Packung Eier zu bezahlen – nicht mehr für alle möglich.
Es gibt genügend Gründe, aus dem Land zu fliehen. Laut der Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen (UNHCR) ist Venezuela das Land mit dem stärksten Zuwachs an Asylgesuchen. An die 550.000 Venezolaner sollen bereits im Nachbarland Kolumbien leben. Auf Facebook finden sich Gruppen wie „Venezolaner in…“ Peru, Chile oder Argentinien mit mehreren Hunderttausend Mitgliedern.
Und das alles, obwohl Venezuela eines der reichsten Länder der Welt sein könnte, denn das Land hat die größten bekannten Ölreserven der Welt. Im Herbst 2014 fiel der Ölpreis jedoch binnen weniger Monate von mehr als 80 Dollar pro Fass auf etwa 40 Euro und stieg seitdem erst wieder seit Herbst 2017. Was für uns Jahre des billigen Benzin waren, wurde für das Land, in dem Öl die Haupteinnahmequelle ist, zu einem riesigen Problem. Viele Unternehmen gingen pleite, Menschen verloren ihre Arbeitsplätze und wurden arm.
Nicolás Maduro wird nach der Wahl 2018 erneut Präsident von Venezuela
Der Schuldige für die miserable Situation des Landes scheint schnell ausgemacht: Präsident Nicolás Maduro. Staatliche Hilfsprogramme, um die Wirtschaft zu stabilisieren, oder den Menschen aus der Armut zu helfen, blieben aus. Die Venezolaner fingen an, für bessere Lebensbedingungen zu protestieren. Im Land wurde es immer unruhiger.
Auch José nahm das wahr und ging, ein Jahr nachdem er sein Politik-Masterstudium in Buenos Aires angefangen hatte, im Jahr 2015 zurück nach Venezuela. Er wollte sich politisch engagieren, sich dafür einsetzen, dass es seinem Land besser geht und fand Arbeit in einer Nicht-Regierungsorganisation. Dort organisierte er Vorträge und Gespräche mit Schülern und Studenten zu Themen wie Menschenrechte und Demokratie. Proteste auf der Straße waren zu der Zeit fast Normalität geworden.
Doch 2017 eskalierte die Situation, als Präsident Maduro sein Militär auf die Straße schickte, um mit Schlagstöcken und Tränengas gegen die Demonstranten vorzugehen. Das Parlament hatte er in der Zwischenzeit schon aufgelöst und das Militär sowie die Gerichte unter seine Kontrolle gebracht. Er hielt fest an seiner Macht.
„Jungen Menschen verlassen Venezuela, weil sie nichts ändern können“
Wenn nötig, auch mit Gewalt. „Da habe ich realisiert, dass alles nur schlimmer wird und dass die Leute keine Chance haben, etwas gegen die Regierung zu tun“, sagt der 27-Jährige. „Deshalb bin ich zurück nach Argentinien gegangen.“ Besonders die jungen Venezolaner zwischen 15 und 29 Jahren sind es, die dauerhaft das Land verlassen wollen. Jeder Zweite wünscht es sich, in einem anderen Land zu leben. „Die venezolanische Politik hatte nie die Unterstützung von jungen Menschen. Und jetzt verlassen sie das Land, weil sie wissen, dass sie nichts ändern können. Klar könnte man sich auch weiterhin politisch engagieren, aber dann geht man halt das Risiko ein, im Gefängnis zu landen“, sagt José.
Am vergangenen Sonntag haben die Venezolaner – zumindest die 46 Prozent, die zur Wahl gegangen sind – Maduro wiedergewählt. Viele Staaten erkennen die Wahl nicht an, da sie nicht die Standards erfüllt, die eine Wahl als demokratisch gelten lassen.
„Ich habe Angst, dass sie mir am Flughafen in Venezuela meinen Pass wegnehmen“
Für José bedeutet das: In den nächsten sechs Jahren, in denen Maduro voraussichtlich Präsident bleiben wird, wird er seine Familie selten, vielleicht auch gar nicht sehen. Für ihn ist das Risiko, in sein Heimatland zu reisen, zu groß. Warum? Weil er die Regierung nicht unterstützt und eine andere Meinung hat. Selbst seine Familie zu besuchen ist für ihn ein Risiko: „Ich wünschte, ich könnte zurück, um meine Familie zu sehen, aber ich habe Angst, dass sie mir am Flughafen meinen Pass wegnehmen.“ Der Regierung gefalle es eben nicht, dass sich Venezolaner außerhalb des Landes befinden, die erzählen, wie es im Land wirklich zugeht. Und ohne seinen Pass kann er das Land nicht mehr verlassen.
Also bleibt er in Buenos Aires und unterstützt mit dem Geld, das er verdient, seine Familie in Venezuela. So ganz will sein Optimismus nicht verloren gehen: „In der Geschichte gab es immer wieder Länder, die Krisen durchgemacht haben und danach wieder aufgebaut wurden. Irgendwann wird auch Venezuela diese Krise überwinden. Dann gehe ich zurück“, sagt er. Aber wann das sein wird, weiß niemand.