Sie tragen Rockerkutten und schneiden Obdachlosen und Bedürftigen in ganz Deutschland die Haare. Als Lohn reicht ihnen eine Umarmung. Wir haben die „Barber Angels“ besucht.
In der Düsseldorfer Diakonie kommen normalerweise Menschen zum Kaffee, zum Essen oder einfach zum Plausch zusammen. Heute wird der Aufenthaltsraum zum Friseursalon: blaue Plastikstühle dienen als Friseurstuhl. Auf dem Boden winden sich Kabel, von abgeschnittenen Haaren bedeckt. Spiegel gibt es in diesem „Salon“ keine.
Wer auf dem Stuhl Platz nimmt, muss seinem Friseur blind vertrauen. Und es ist laut. So gut wie jeder „Barber Angel“ unterhält sich mit seinem Gast, wenn er nicht gerade dessen Haare föhnt. Das Wort „Kunde“ nimmt hier kaum einer in den Mund. Schließlich bezahlen die Menschen, die hierherkommen, keinen Cent.
Die Idee zu der Aktion stammt von Claus Niedermaier, dem Gründer der „Barber Angels Brotherhood“. Er ist bei jedem Termin dabei. Auf seiner Lederjacke sind das Logo sowie die Aufschriften „President“, „First“ und „Figaro“ mit dicken schwarzen Fäden festgenäht. An einem kalten Novemberabend sah er eine Doku über Obdachlose in München. Bewegt von dem Leid, wollte er seine Hilfe anbieten: „Mit ein bisschen Haare schneiden kann ich den Gästen von uns mehr Würde, mehr Selbstvertrauen zurückgeben.“
50 ehrenamtliche Friseure sind Mitglieder der „Barber Angels Brotherhood“
Nächstenliebe ist für die ehrenamtlichen Friseure eine Tugend. Seit November 2016 gibt es die Barber Angels bereits. Jeden Monat besuchen sie eine andere Stadt. Wer mitmachen will, meldet sich einfach – vorausgesetzt, er oder sie beherrscht das Friseurhandwerk. Knapp 50 Ehrenamtliche aus ganz Deutschland zählt die „Bruderschaft“ schon.
Wenn die Diakonie zum Friseursalon wird: Die „Barber Angels“ in Aktion in Düsseldorf. (Foto: Sandra Wahle / Orange by Handelsblatt)
Ihre Gäste sind nicht nur Menschen, die kein Dach mehr über dem Kopf haben. Oft sind es auch solche, die sich einfach keinen Friseur leisten können. Die Dame, die auf dem Stuhl von Claus Niedermaier Platz genommen hat, war seit zehn Jahren nicht mehr beim Friseur. Sie ist sichtlich froh darüber, wieder einen neuen Haarschnitt zu bekommen.
„Nach dem Haarschnitt strahlen die Obdachlosen Selbstbewusstsein aus“
Ihre Augen strahlen schon als Niedermaier ihr den Umhang anlegt und noch mehr, als sie das fertige Ergebnis betrachten kann. „Der neue Haarschnitt bedeutet für die Bedürftigen sehr viel. Am Anfang sind sie manchmal etwas zurückhaltend, aber wenn wir dann fertig sind und sie sich sehen, verändert sich direkt ihre Körperhaltung. Sie richten sich auf, sie strahlen Selbstbewusstsein aus und sie gehen erhobenen Hauptes wieder aus der Tür raus“, sagt Claus Niedermaier.
Claus Niedermaier hat die „Barber Angels“ im November 2016 gegründet. (Foto: Sandra Wahle / Orange by Handelsblatt)
Rein optisch stellt man sich Engel sicherlich anders vor. Die Lederjacken sind das Markenzeichen und sollen Nahbarkeit zum Ausdruck bringen. Markenklamotten oder Schicki-Micki-Gehabe, davon halten die Barber Angels in ihrem Engagement nichts. Schließlich haben ihre Gäste damit ebenfalls wenig zu tun.
Auch Björn, gelernter Friseur aus Saarbrücken, hätte heute einfach seinen freien Sonntag genießen können. Bei blauem Himmel und strahlendem Sonnenschein gibt es schließlich einige Dinge, die man unternehmen könnte. Aber der 35-jährige hat sich anders entschieden. In Düsseldorf hat er seinen ersten Einsatz als Barber Angel.
„Am Anfang war ich unheimlich nervös“
Als Arbeit empfindet er es nicht, Obdachlosen und bedürftigen Menschen die Haare zu schneiden und ihnen so einen neuen Look zu verpassen: „Am Anfang war ich unheimlich nervös, ich wusste nicht was auf mich zukommt. Diese Arbeit ist etwas anderes als im Salon, aber sie macht unheimlich Spaß. Man bekommt viel zurück, auch wenn es kein Geld ist“, sagt Björn mit einem Lächeln auf dem Gesicht.
Friseur Björn (35) hatte in Düsseldorf seinen ersten Einsatz für die „Barber Angels“. (Foto: Sandra Wahle / Orange by Handelsblatt)
Um 16.15 Uhr klicken die Scheren an diesem Sonntag ein letztes Mal. Nicht, weil dann Feierabend ist, sondern weil um diese Uhrzeit jeder Gast einen neuen Haarschnitt bekommen hat. Keiner wartet mehr vor der Tür der Diakonie. Die letzten Haarreste werden zusammengefegt und der improvisierte Salon verwandelt sich nach und nach wieder in ein Café.
Mehr als 80 Obdachlose und Bedürftige kamen zu den „Barber Angels“ in Düsseldorf
Für das gesamte „Barber Angels“-Team geht es nun zur Abschlussbesprechung. Figaro Claus ist heute mehr als zufrieden. Er geht von 80 Bedürftigen aus, die heute auf den Friseurstühlen Platz genommen haben. Seine Engel vermuten, es waren mehr.
Die Zahl an sich ist jedoch unwichtig. Hauptsache, diese Menschen haben den Salon fröhlicher verlassen, als sie hereingekommen sind. Im nächsten Monat startet schon die nächste Mission der Friseure, dieses Mal in München.
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