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Mit Massenvergewaltigungen „übertrieben"? Ukrainische Beauftragte erklärt sich

Die Beauftragte für Menschenrechte im ukrainischen Parlament, Lyudmyla Denisova, berichtete detailliert über Massenvergewaltigungen ukrainischer Frauen und Kinder durch russische Soldaten.

Ende Mai wurde Denisova überraschend von der Werchowna Rada der Ukraine entlassen - weil eine offizielle Prüfung des Wahrheitsgehalts ihrer Schilderungen durch die Staatsanwaltschaft noch aussteht. Sie habe sich, so der Vorwurf, in ihrer Arbeit auf Sexualverbrechen konzentriert, „die nicht mit Beweisen belegt werden können". Nun hat Denisova in den ukrainischen Medien ihr Vorgehen verteidigt. Sie habe versucht, die Welt davon zu überzeugen, Waffen bereitzustellen und Druck (auf Russland - Anm. d. Red.) auszuüben.

Lyudmyla Denisova und ihre grausamen Berichte über Vergewaltigungen

Denisova erzählte unter anderem über einen einjährigen Jungen, der von russischen Soldaten zu Tode vergewaltigt wurde. In einem Interview mit der schweizerischen Zeitung Blick berichtete sie sehr detailliert über Frauen, die „drei Tage lang vergewaltigt wurden" und der Vergewaltigung der anderen zusehen mussten.

„Auch Männer und Kinder werden vergewaltigt. Eine Mutter musste, an einen Stuhl gefesselt, mit ansehen, wie ihr elfjähriger Bub zehn Stunden lang sexuell missbraucht wurde. Ein 45-jähriger Mann überlebte nur knapp, als er sein Versteck verließ, um Wasser zu holen. Sie folterten und vergewaltigten ihn", sagte sie.

Ihre Erzählungen wurden von den Medien, unter anderem vom Spiegel, eins zu eins übernommen und dann weiter verbreitet - mit all den schrecklichen Details. Auch die Berliner Zeitung hat aus den Erzählungen von Denisova zitiert.

Besonders schockierend war ihre Schilderungen über 25 weibliche Jugendliche, die von russischen Truppen vergewaltigt wurden. Neun davon sollen nach ihren Worten schwanger geworden sein. Diese Vorwürfe wurden auch von den Vereinten Nationen unterstützt. „Es gibt glaubwürdige Behauptungen über sexuelle Gewalt gegen Kinder durch die Streitkräfte Russlands", berichtete Barbara Woodward, Botschafterin von Großbritannien bei der Uno.

Belege wurden gefordert

Ukrainische Journalisten und Menschenrechtsaktivisten zeigten sich vor allem über die Rhetorik in den Berichten empört, die auf der Webseite des ukrainischen Parlaments veröffentlicht wurden. „Sexualverbrechen in Kriegen sind Tragödien, aber kein Thema für die Beiträge im Sinne einer ‚Skandal-Chronik'", hieß es in einem offenen Brief.

Ukraine's parliament just fired human rights ombudsman Lyudmila Denisova. MPs claimed her work focusing on the rape of Ukrainians by Russian troops which "couldn't be confirmed with evidence [...] only harmed Ukraine and distracted the global media from Ukraine's real needs."

- Christopher Miller (@ChristopherJM) May 31, 2022

Die Autoren des Briefes stellten die Veröffentlichung von besonders skandalösen Details infrage. Die Aufgabe von Menschenrechtsbeauftragten sei es, kritisierten sie weiter, sich um die Rechte und die Würde des Opfers und ihrer Angehörigen zu kümmern. Die schockierenden Details zu veröffentlichen, wie beispielweise die Aussagen Denisovas über die Vergewaltigung kleiner Kinder, sei dagegen nicht unbedingt zweckmäßig. Dabei wurde Denisova aufgefordert, „die Fakten vor der Veröffentlichung zu prüfen" und „nur Informationen zu veröffentlichen, für die es ausreichende Beweise gibt".

Überraschende Entlassung

Die Entlassung von Denisova kam jedoch überraschend. Am 31. Mai stimmten die Abgeordneten der Werchowna Rada in einem Misstrauensvotum über ihre Abwahl ab. Der Abgeordnete der Präsidentenfraktion „Diener des Volkes" Pawlo Frolow hat Denisova insbesondere eine wiederholte Nichterfüllung ihrer Pflichten vorgeworfen.

Die 61-Jährige, so Frolow in einer Stellungnahme, habe sich in ihren Gesprächen mit den Medien zu sehr auf die zahlreichen Details zu „widernatürlichen Sexualdelikten" und sexuellem Missbrauch von Kindern durch russische Soldaten in den besetzten Gebieten bezogen. Diese seien jedoch bisher noch nicht hinreichend belegt. Solche Informationen hätten „der Ukraine nur geschadet und die Weltmedien von den wahren Bedürfnissen der Ukraine abgelenkt".

Diese Kritik an fehlenden Belegen wurde später von der ukrainischen Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa bestätigt. Wenediktowa gab zu, von der Menschenrechtsbeauftragten Denisova keine konkreten Beweise für die vermeintlichen Vergewaltigungen erhalten zu haben. „Frau Denisova hat uns Briefe geschickt, aber keine Indizien. Das sind verschiedene Dinge", so Wenediktowa.

Kein großes Echo in Russland

Der Vorfall schlug hohe Welle. Die ersten Reaktionen kamen von den russischen Beamten, die stets wiederholt dementieren, dass russische Soldaten während der Invasion jegliche Sexualverbrechen begangen hätten. Als Erste äußerte sich die Pressesprecherin des russischen Außenministeriums Maria Sacharowa. Auf ihrem Telegram-Kanal bezeichnete sie Denisova als „eine wollüstige Provokateurin" und forderte Entschuldigungen und Dementierungen von den westlichen Journalisten, die sich auf Denisovas Berichte bezogen hätten.

Doch die russischen Medien brachten den Fall nicht besonders groß, sondern übersetzten die ausländischen eingängigen Schlagzeilen wie beispielsweise aus der griechischen regierungskritischen Zeitung EfSyn, wo die Ex-Ombudsfrau als „die Architektin einer monströsen Lüge" bezeichnet wurde.

„Die Ausdrücke waren manchmal sehr grausam, aber..."

Auch in den westlichen Meiden waren die Vorwürfe laut mit der Kernbotschaft, Denisova habe mit ihren unbelegten Schilderungen der Details deutlich übertrieben. Was sagt aber Denisova selbst dazu? In einem Interview mit dem ukrainischen Portal LB.ua kommentiert sie die Kritik an ihren Aussagen zu Massenvergewaltigungen ukrainischer Frauen und Kinder durch russische Soldaten: „Ich stimme zu, dass die Ausdrücke manchmal sehr grausam waren, (...) aber ich habe es so verwendet, wie es von den Opfern selbst vorgeschlagen wurde." Weiter im Interview sagt sie: „Ja, das Vokabular war sehr hart, ich habe mit den PR-Leuten darüber gesprochen, ich habe das gesagt, in der Tat, vielleicht habe ich übertrieben. Aber ich habe versucht, das Ziel zu erreichen, die Welt davon zu überzeugen, Waffen zu liefern und Druck auf Russland auszuüben."

Als Rechtfertigung ihrer Motive schildert Denisova ihre Rede vor dem italienischen Parlament. Die Abgeordneten seien schon müde von dem Krieg in der Ukraine gewesen und die Fünf-Sterne-Partei habe sich gegen Waffenlieferungen ausgesprochen. „Ich habe über schreckliche Dinge gesprochen, um sie irgendwie zur Entscheidung zu drängen, die die Ukraine und das ukrainische Volk brauchen", sagte Denisova weiter zum eigenen Schutz. Es sei ihr gelungen, die Stimmungen der Abgeordneten umzudrehen: Nach den geschilderten Details habe ihr sogar ein führendes Mitglied der Fünf-Sterne-Bewegung gesagt, er befürworte nun auch die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine.

Entlassung als politische Repression?

Das man sie nun dafür entlassen habe, behauptet Denisova, sei politische Repression pur. „Ich glaube, es ist meine Kritik am sogenannten Anti-Oligarchen-Gesetz, die zu meiner Entlassung geführt hat", sagte Denisova weiter im Interview mit einem weiteren ukrainischen Portal. Sie meint, ihre Absetzung sei vom Präsidialamt ausgegangen. „Dem Präsidialamt passte meine aktive Arbeit nicht, die darauf abzielte, Informationen über Menschenrechtsverletzungen in den vorübergehend besetzten Gebieten zu sammeln und zu analysieren." Ihre Entlassung will sie nun vor Gericht anfechten.

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