1 abonnement et 0 abonnés
Article

Wo die Kreativität daheim ist - Salzburger Nachrichten

Die Zweige der Weide tanzen im Takt der Rotorblätter. Wie viele Aufnahmen das Knattern des Rettungshubschraubers schon ruiniert hat, daran kann sich Benjamin Lageder nicht erinnem. Aber es müssen einige gewesen sein, meint er schmunzelnd. Benjamin Lageder ist in der Salzburger Musikszene auch als Magic Delphin bekannt. Vor ziemlich genau einem Jahr hat er sein Studio im ehemaligen Personalhaus der Landeskliniken bezogen. Mit Lageder nutzen 35 weitere Kreative die Garçonnièren in dem lachsfarbenen Gebäude an der Aiglhofkreuzung als Spielwiese. Ab November sollen im vierten Stock zwölf weitere Ateliers vergeben werden. Gerade in Salzburg ist Raum sehr teuer. Unser Ziel ist es, vorübergehend leer stehende Räume für eine kreative Zwischennutzung zu öffnen", erklärt Stefan Heizinger von der Kulturinitiative Super die Idee. ,,Wir setzen uns dafür ein, dass die heranwachsende Szene Platz für ihr kreatives Schaffen hat." Seit 2015 hat die Super-Initiative mehr als 50 Projekte initiiert und begleitet. Das Personalhaus ist das bisher größte. Seine Räume bleiben bis voraussichtlich Ende 2024 Studios und Produktionsstätten. Dann wird das Haus abgerissen.


Auf der Suche nach dem Hit

Lageder sitzt auf einem Schemel, seine Finger wandern über die Saiten seiner Bassgitarre. Beinahe beiläufig wirkt es, wie er da vor sich hin improvisiert. Sein Schaffen sei ein Prozess, erklärt er: Einmal dreht er an Reglern, dann wieder entfremdet er seine Instrumente, klopft und schlägt und kratzt, wo er eigentlich zupfen oder klimpern sollte. ,,Ich schaue, was daherkommt. Wenn mir etwas taugt, nehme ich es auf", sagt er. Mit diesen Versatzstücken arbeitet er weiter, feilt, zerstückelt und verändert, jagt die Passagen durch Effekte. Seinen Schaffensprozess teilt der Musiker in eine Sammelphase ein und in eine, in der er ausarbeitet, arrangiert, in Form bringt. Sein Tagesablauf klingt fast zu klassisch für einen Künstler: Spätestens um 9 Uhr steht er in seinem Studio und arbeitet die To-do-Liste für den Tag ab. „Was das Personalhaus so super macht? Es ist schön zu wissen, dass über, neben, unter dir auch gerade Leute sind, die arbeiten und etwas Kreatives auf die Beine stellen." Ins Musikerleben sei er hineingerutscht, erzählt der 37-Jährige, über den älteren Bruder; später lebte er in einer Musiker-WG. Die erste Gitarre hielt er mit 14 in den Händen. Seitdem hat er sein Repertoire erweitert: In seinem Studio haben sich analoge Synthesizer angesammelt, Drumcomputer und Gitarrenverstärker, Effektgeräte, Gitarren. Wie er allein aus sich selbst und seinen Alltagserfahrungen heraus immer wieder Neues erschaffen könne, habe er erst lernen müssen. Und freilich auch, dass nicht jede Idee ein Hit ist: ,,Von hundert kann man zwei verwerten. Wenn mir etwas nicht peinlich ist, veröffentliche ich es - das ist meine Schwelle."

Neu im Studio sind etliche alte Radiogeräte. Denn gerade hat Lageder eine Soundinstallation entworfen, die nun ein Jahr lang im Radiomuseum Grödig in Surround Sound zu hören ist: ,,Wellenrauschen" heißt das Werk. Es ist Teil der Reihe „Simultan" von Land Salzburg und der Galerie Periscope, die zeitgenössische Musik in Regionalmuseen bringt. „Für mich hat das Museum Wes-Anderson-Flair. Den Zauber, den ich dort sehe, habe ich mit Geräuschen einer längst vergangenen Zeit untermalt: analoges Rauschen, Knistern, Knacksen", erklärt der Soundbastler.

Von der Musik kann Lageder mittlerweile leben. Er räumt aber ein: ,,Ich habe keine Kinder, kein Auto." Ins Studio fährt er mit dem Rad. Dem hat er auch ein musikalisches Denkmal gesetzt. ,,Ich und mein Fahrrad, wir sind die besten Freunde", heißt es in einem Song, den er für ein Kinderkonzert in Kooperation mit dem Toihaus geschrieben hat. Neben der experimentellen Musik und der Theatermusik ist der Indiepop sein drittes Standbein. Auch jener für Kinder. „Noch Wochen nach dem Kinderkonzert habe ich von Bekannten und Fans Videos bekommen, wo ihre Drei-, Fünf-, Sechsjährigen meine Lieder singen. Das ist das Schönste, was mir passieren kann." Kinder sind für den Musiker das dankbarste, weil ehrlichste Publikum. „Sie schreien schon einmal Aus! Ende! Heimgehen! oder weinen, wenn ihnen etwas zu unheimlich ist. Genauso zeigen sie aber ihre Freude und tanzen ungehemmt." Die Lieder aus diesem Konzert möchte Lageder demnächst auf einem Tonträger herausbringen.


Zwischenwelten in Rot

Musik wummert mitunter auch durch das Atelier von Astrid Eder. Nicht weil sie ebenfalls Musikerin wäre, sondern weil sie das in ihrer Arbeit inspiriert. Astrid Eder hockt auf dem Boden, in einem schwarzen ,,Nightmare before Christmas"-Hoodie, die rosaroten Haare zu einem strengen Pferdeschwanz gebunden. Gerade malt sie die Augen an einer rundlichen Kreatur schwarz. „Meine Wesen stehen immer für Emotionen und Energien", erklärt sie. Auch der Tod und der Übergang in andere Dimensionen sind Thema: ,,Wir Menschen sehen nur das Leben und wissen nicht, was es sonst gibt. Im Tod könnten wir ja auch in eine andere, coole Sphäre eintauchen." Inspiration findet die Künstlerin in Animes, Filmen, Musikvideos oder beim Maler, Grafiker und Bildhauer Max Ernst.

„Kreatives Chaos" ist das Erste, was einem in den Sinn kommt, wenn man die Garçonnière der Malerin betritt: Farbtiegel, -tuben und -dosen liegen auf einer Plane; Stifte finden sich hier, Pinsel, Plastikdosen mit Pigment, das Eder in die Acrylfarben mischt, um ein besonders leuchtendes Ergebnis zu bekommen. Wenn sie zu malen beginnt, muss sie erst einmal umräumen: den Sessel weg und die bereits getrockneten Bilder, die an einer Kommode lehnen. Hier kann sie sich ausbreiten, muss sich keine Gedanken über Flecken auf dem Boden machen. Und auch der Lackgeruch stört weniger, weil sie abends nach Hause kann.

Die Herangehensweise von Astrid Eder, deren Künstlername Esbeka, SBK oder Stylebreak lautet, ist eine experimentelle: Auf die Leinwand kämen neben Schichten von Lacken, Kreide und Markern schon einmal Farben, die sie auf dem Sperrmüll gefunden habe, erzählt sie, und holt ein kleines Fläschchen mit abgegriffenem, auf Italienisch bedrucktem Etikett hervor. Den roten Vogel, der das Zimmer dominiert, hat sie mit dieser Farbe gemalt. Überhaupt ist Rot von großer Bedeutung für sie, steht für das Leben. ,,Die Farbe löst nachweislich etwas im Menschen aus, beschleunigt den Puls", sagt sie. Und etwas auslösen - das ist es, was sie mit ihrer Kunst will. Deshalb malt sie auch gerne großformatige Bilder, wie für ihr Diplomprojekt ,,Der Fliegende Holländer": Die sieben eineinhalb mal zwei Meter messenden Bilder zeigen den ewigen Kreislauf des Aufbäumens und Zusammensackens der Hoffnung. „Sie sind absichtlich so groß, damit sich der Betrachter mit ihnen identifizieren kann", sagt sie während sie in ihrem Diplombuch blättert. Auch hier vorherrschend: die Farbe Rot.

Als Kind wollte die 35-Jährige, die aus einer Salzburger Juristenfamilie stammt, immer etwas werden, das Sicherheit garantiert -Notarin etwa. Warum sie sich dennoch für die Kunst entschieden hat? ,,Weil ich nicht anders kann." Die kleine Nähmaschine auf dem Tisch erzählt, wo Eders künstlerische Wurzeln liegen: Sie hat Bühnen- und Kostümgestaltung am Mozarteum studiert. Zur Malerei gekommen sei sie zufällig. ,,Ich habe schon als Kind mit einer solchen Selbstverständlichkeit gezeichnet, dass ich nichts Besonderes darin gesehen habe." Im Internet sind ihre Werke übrigens kaum zu finden. ,,Absicht", sagt sie, ,,ich will meine Arbeiten unauffällig vorbereiten und dann groß präsentieren."

Rétablir l'original