In der Dunkelheit zeichnen sich zwei Gesichter ab. Vom Bildschirm ihrer Handys werden sie hell erleuchtet. Sie liest, was er geschrieben hat: wie er sie in einem Pariser Café aus der Ferne gesehen hatte, der Blick eines Incels auf eine unerreichbare Frau, die ihn keines Blickes würdigt, und der sich deswegen abwertend auf Social Media über sie äußert: „Diese göttliche Frau, die zu ihren besten Zeiten so viele Teenies in die Faszination der weiblichen Verführung eingeführt hat, heute zu einer Schlampe verkommen." Ihre Antwort kommt prompt, beginnt mit „Liebes Arschloch" und endet mit: „Ich hoffe, dass deine Kinder von einem Lastwagen überfahren werden und du ihren Todeskampf mit ansehen musst und dass ihnen die Augen aus den Höhlen spritzen und ihre Schmerzensschreie dich jeden Abend verfolgen."
Das hat gesessen. Aber Oscar hat sein Ziel erreicht. Aus dem als Provokation getarnten Lockruf entspinnt sich ein lebhafter Mailwechsel. Mit erstaunlich freundlichen Worten beantwortet er ihre Beleidigungen. Dann treten Rebecca und Oscar aus dem Dunkeln. Sie kennen sich von früher: Sie war die Freundin seiner Schwester, er schon damals ihr Bewunderer. Heute ist Oscar (Matthias Neukirch) Schriftsteller. Eben hat er einen neuen Roman herausgegeben. Alle reden über ihn, doch nicht wegen des Romans. Denn kürzlich ist er ein „Opfer von MeToo" geworden. Die Klaviermusik, die zuvor leise im Hintergrund zu hören war (Magda Drozd), kippt in einen schneidenden Misston.
Orange ist die Farbe der Kampagne!Sein Lamento, Opfer eines MeToo-Skandals geworden zu sein, lässt Rebecca nicht gelten. Sie findet ihn erbärmlich in seiner männlichen Kränkung und Selbsthudelei. In der Inszenierung von Yana Ross hilft Rebecca (Karin Pfammatter) ihm in ein groteskes Kostüm aus Michelin-Männchen-artigen Hosen, Brustpanzer und einem riesigen Requisit über dem Kopf, das je nach Sichtweise aussieht wie ein Wurm oder ein trauriger Penis.
Auch sich selbst rüstet Rebecca in mehrere Lagen von Stoff: einen glänzenden Quilt-Mantel, darüber ein Harnisch mit aufgesetztem Busen, um ihren Unterleib ein Kleid aus Spiegeln, die das Licht spiegeln, sie als Projektionsfläche wie als unergründlichen Abgrund markieren. Die Kostüme (Zane Pihlström), allesamt in Orange, denn das ist die Farbe der Kampagne gegen Gewalt an Frauen, unterstreichen die Vorurteile, mit denen die beiden konfrontiert werden. Zugleich offenbaren sie die Lächerlichkeit dieser Geschlechtermaskerade, hinter der sich die Figuren verstecken, um sich ihrer Verantwortung zu entziehen.
Es ist Oscar, der als Erster die Schutzschicht ablegt, als er von seiner Alkoholabhängigkeit erzählt und von seinen Treffen bei den „Anonymous Narcotics". Jahrzehntelang habe ihm der Alkohol geholfen, so gesteht er, seine schüchterne, trübsinnige Art zu überwinden. Nun merke er, wie sehr der Alkohol Teil seiner Identität war, wie er alles angenehmer machte, bis die Sucht selbst zum Problem wurde. Mit dreiundvierzig steht er nicht nur am Ende seiner Karriere als Schriftsteller, sondern auch vor den Scherben seiner Beziehung und wird geplagt von den Gewissensbissen gegenüber seiner Tochter, die - im Gegensatz zu ihm - seine Alkohol-Eskapaden nicht vergessen hat.
Es ist das erste Mal in dieser Inszenierung, dass Rebecca und Oscar sich anschauen, weil sie etwas von ihm in sich wiedererkennt. Auch sie hat eine lange Geschichte mit Substanzmissbrauch. In letzter Zeit sei ihr aufgefallen, wie abgezehrt sie aussehe. Doch so weit wie Oscar ist sie noch nicht. Auf das High eines Drogenrausches will sie nicht verzichten, würde es doch bedeuten, dass sie sich der staatlichen Unterscheidung in gute und schlechte Drogen (solche, die Arbeitseffizienz steigern, und solche, die es nicht tun) letztlich unterstellen würde. Ganz nebenbei hielten die Drogen, so erzählt Rebecca, während sie über die ganze Länge der Bühne das weiße Pulver schüttet, schlank, und das sei für eine Schauspielerin, deren Aussehen in erster Linie darüber entscheidet, ob sie eine Rolle erhält, nicht unerheblich.
Feminismus oder lieber Klassenkampf?Erst später wird deutlich, dass auch ihr Drogenmissbrauch ein Mittel ist, um zu vergessen. Etwa, wie sie schon als junges Mädchen auf ihr Äußeres reduziert und von ihrem Vater als Objekt seinen Freunden vorgeführt wurde. Die geteilte Sucht wird im Laufe des Stücks zu einer tieferen Verbindung zwischen den beiden, zur Heilung ihrer Krankheit trägt auch ihre intensive Brieffreundschaft bei. Es sind schauspielerische Glanzmomente, in denen der Stolz von Rebecca und Oscar anderen Gefühlen weicht: der Scham, der Einsamkeit, der Verletzlichkeit.
Dramaturgisch gesehen zeigt das Stück jedoch seine Tücken, die nicht zuletzt in der Anlage selbst liegen. Denn wie inszeniert man einen knapp dreihundert Seiten starken Mail-Brief-Roman, in dem sich die Figuren nie begegnen? Vieles ist bei der Raffung verloren gegangen: unter anderem die Figur Corinnes, der Schwester von Oscar, die im Roman ein wichtiges Bindeglied für die beiden ist. Ohne Corinne verliert die Beziehung zwischen Oscar und Rebecca an Glaubwürdigkeit; man versteht nicht, weshalb sie sich in einem Moment noch übel beschimpfen und im nächsten schon enge Freunde sind, und somit auch nicht, dass es die Kategorien der Klasse und der sozialen Herkunft sind, über die sich die Figuren stärker definieren als über ihr Geschlecht und somit ermöglichen, dass sie sich gegenseitig annähern.
Yana Ross hat sich entschieden, den feministischen Aspekt stärker zu machen als den der Klasse. Das ist an sich legitim. Umso enttäuschender ist es dann, dass die Figur Zoé, Oscars frühere Pressesprecherin, die auf ihrem feministischen Blog Vorwürfe von sexuellem Missbrauch gegen ihn erhebt, zu einer marginalen Rahmenhandlung verkommt, noch dazu in der Fehlbesetzung von Magda Drozd, die zwar eine wunderbare Musikerin, aber leider keine Schauspielerin ist.