Es ist natürlich die Sekretärin und Haushälterin Marlene, die die Bühne freigibt, indem sie den schwarzen Vorhang nach oben schiebt. Zum Vorschein kommt jedoch kein mit teuren Stoffen, Spiegeln und Mannequins üppig dekoriertes Schlafzimmer, wie man es aus Fassbinders Filmadaption von 1972 kennt. Dort dient das Schlafgemach der einflussreichen Modedesignerin Petra von Kant zugleich als Atelier und Fotostudio, in dem junge Frauen zu „Stars" gemacht werden. Im Spiel der Spiegel, Bilder und Puppen, welche immer wieder als Double der Frauen figurieren und deren Repräsentation in den Vordergrund stellen, wird das Schlafzimmer so zur Kulisse weiblicher Konstruktion und zum Schauplatz einer unmöglichen Liebesgeschichte zwischen sexuellem Begehren und Macht, Liebe und Projektion, Verzweiflung und Selbstaufgabe.
In Basel eröffnet sich uns dagegen ein weiter, minimalistisch eingerichteter Raum, der im Maklerjargon „Industriecharme" verströmen würde. Drei Modeskizzen an der Wand, an denen Marlene im Hintergrund von Zeit zu Zeit zeichnet, ein Silbertablett mit Spirituosen auf dem Boden, daneben ein Telefon mit Drehscheibe; das ist alles, was Regisseurin Emilie Charriot für die Inszenierung von Fassbinders Melodram vorsah. Selbst das Bett, in Fassbinders Film die Bühne auf der Bühne, sollte der Vorstellung der Zuschauerinnen und Zuschauer überlassen werden.
Keine einfache AusgangslageAufgrund einer Erkrankung im engsten Familienkreis musste Charriot die Regie allerdings kurzfristig abgeben. Als Anna Bergmann, Schauspieldirektorin am Badischen Staatstheater Karlsruhe, für sie einsprang, blieben ihr bis zur Premiere gerade mal zweieinhalb Wochen. Und eine halb leere Bühne. Keine einfache Ausgangslage.
Und doch stellt sich jetzt heraus: Die verhängnisvolle Liebesbeziehung zwischen Petra von Kant (in Basel gespielt von Carina Braunschmidt) und dem um viele Jahre jüngeren Model Karin Thimm (ausdrucksstark: Mala Emde) lässt sich auch mit minimaler Bühneneinrichtung erzählen. Als Petra Karin bei ihrem zweiten Treffen einen Weg aus ihrer Mittellosigkeit verspricht, erscheint ihr Schatten übergroß an der Wand, Karins Silhouette um mehr als das Doppelte überragend. Später, als Karins Karriere floriert und sie dank ihrer Freundin auf den Hochglanzcovers der Welt gelandet ist, drehen sich die Machtverhältnisse um: Petra wirft sich Karin zu Füßen, bettelt, sie möge bei ihr bleiben, statt zu ihrem Angetrauten zurückzukehren, der eben aus Australien eingeflogen ist.
Keine Alternative zur UnfreiheitFassbinder schrieb das Theaterstück 1971. Wie viele seiner Stücke verfügt auch dieses über stark autobiographische Züge. Aus seiner persönlichen ambivalenten Liebesbeziehung mit Günther Kaufmann machte Fassbinder eine reine Frauenkonstellation, in der Kaufmann Karin Thimm entspricht, während Fassbinder sich selbst in Petra von Kant einschrieb. Fassbinder ging es darum, die Unterdrückungsstrategien offenzulegen, die in jeder Zweierbeziehung herrschen - nicht nur in klassischen, sondern auch in queeren Bindungen. Denn auch letztere böten in Wahrheit, so Fassbinder, keine Alternative zur herrschenden Unfreiheit, sondern reproduzierten diese.
Der Schwere des Stücks versucht die eingesprungene Anna Bergmann mit Humor entgegenzuwirken. Das funktioniert überraschend gut in Form von Impromptu-Musikeinlagen, Zitaten aus Popkultur der Siebziger- und Achtzigerjahre oder ironischen Metakommentaren, etwa wenn Petra von Kant einen Anruf ihrer Geliebten erwartet und stattdessen einen Angestellten des von der Insolvenz bedrohten Warenhauses Karstadt am Apparat hat, der ihr unbedingt Möbel verkaufen will.
Gegen Ende des Stücks, als Petra, verletzt über Karins Ghosting, mit der Zerstörungskraft eines mittleren Tornados über die Bühne fegt, droht die Inszenierung ins rein Komödiantische abzurutschen. Der Akt gipfelt in einer Slapstick-Einlage mit Geburtstagstorte, von der wir von Anfang wissen, dass sie in einem Gesicht landen wird, nur noch nicht in welchem.
Wie bei Fassbinder bekennen auch hier die letzten Worte Petra von Kants, dass sie Karin wohl nie geliebt habe, sondern sie eigentlich vor allem besitzen wollte. Anders als bei Fassbinder aber endet das Ganze im Basler Schauspielhaus mit dem Suizid der Sekretärin Marlene. Das ist eine gewagte Verschiebung, mit der die das Geschehen ständig dokumentierende Marlene als heimliche Urheberin des Stücks vorgestellt wird, sodass mit dem Ende des Stücks auch ihr eigenes Ende inszeniert werden muss.
Dass die Aufführung vielen gefällt und mit vierfachem Applaus gewürdigt wird, liegt vor allem auch an Carina Braunschmidt. Sie hat sich die Titelrolle spürbar angeeignet - bis in die Körnung ihrer Stimme, die anfangs selbstverliebt-säuselnd, später von Alkohol, Zigaretten und Kummer zunehmend verlebt und gebrochen klingt. Ihre verzweifelten Rufe nach Karin am Telefon, die bis zuletzt unbeantwortet bleiben, hallen auch nach dem Applaus noch nach.