Wie bist du überhaupt Lektor geworden?
Ich bin Quereinsteiger, ich habe keine Ausbildung im Verlag gemacht. Ich habe Kreatives Schreiben studiert und danach als freier Journalist Literaturkritiken für Zeitungen geschrieben. Daraus entwickelten sich viele Beziehungen in der Buchwelt. Und dadurch kam ganz plötzlich, dass sich der Verleger von Hanser gemeldet hat und fragte, ob ich mir das nicht vorstellen könne.
Was wolltest du als Kind werden?
Ich wollte schon immer was mit Schreiben machen. Das ist mir wirklich peinlich. Bis heute läuft alles immer nur auf dem einem Gleis. Wahrscheinlich kommt der große Ausbruch noch, und in ein, zwei Jahren haue ich ab. Es kann ja nicht so weitergehen, das ist ja fürchterlich.
Möchtest du selbst auch mal einen Roman schreiben?
Ich kann mir schon vorstellen, dass ich das eines Tages noch tun werde, aber ich habe zugleich auch eingesehen, dass ich viele andere Sachen kann. Ich bin gut darin, über Literatur zu reden und an ihr zu arbeiten, und es gibt Leute, die sind wahnsinnig gut darin, selbst Literatur zu schreiben.
Das Verlagswesen verbindet man oft mit eher älteren Menschen. Ist das immer noch so?
Nein, das finde ich überhaupt nicht. Es gibt viele verschiedene Generationen nebeneinander, und dazu gehört auch eine junge Generation von Lektoren in fast allen relevanten Verlagshäusern. Aber überall ist das so – wenn man sich zum Beispiel die Lyrikszene anschaut, merkt man, dass Leute in jedem Alter schreiben. Ich hatte meinen ersten Kontakt mit dem Literaturbetrieb mit ungefähr 16 beim Treffen junger Autoren. Das ist ein tolles Nachwuchsprogramm für Autoren. Da habe ich viele sehr gute Freunde kennengelernt, damals waren die teilweise erst 13 oder 14, und viele von ihnen sind heute Schriftsteller oder arbeiten auf andere Weise in der Literaturwelt. Deshalb hatte ich nie das Gefühl, dass da eine Überalterung herrscht.
Gibt es eine junge Autorin oder einen jungen Autor, den du empfehlen würdest?
2017 bringen wir mehrere Debüts, die mir sehr wichtig sind. Um bei Neueinstiegen in den Verlag zu bleiben: Ein Buch, das ich nicht betreut habe, dass mich aber dennoch sehr beschäftigt hat, war in diesem Jahr ein Roman von Abbas Khider, „Ohrfeige“. Das ist für mich ein wirklich relevantes Buch für unsere Zeit. Es gibt ja eine oft sehr seltsam ablaufende Diskussion über Flucht und Migration und Integration, die hierzulande meistens nur von in Deutschland Geborenen geführt wird. Abbas Khider dagegen hat selbst eine Fluchterfahrung und hat einen hochliterarischen Text über Flucht und über das Ankommen in Deutschland geschrieben. Sein Roman war für mich sowohl ein sehr notwendiger Debattenbeitrag, als auch zugleich großartige Literatur. Verlage haben die wesentliche Möglichkeit, eine Vielfalt von Stimmen zu zeigen und dadurch Diskussionen und kulturelle Stimmungen reichhaltiger zu machen, und das ist uns in diesem Fall gelungen. Da hatten wir als Literaturverlag durchaus auch eine gesellschaftliche Funktion. Das hat man nicht oft, aber das ist etwas, worüber man natürlich nachdenken sollte.
Wie kommst du an die Manuskripte?
Es gibt viele Wege. Auf der Buchmesse trifft man die ganze Zeit Literaturagenten. Das ist schon sehr wichtig. Genauso wichtig sind aber natürlich persönliche Kontakte, Freundschaften, Bekannte. Da werden dann Sachen weitergesagt. Und auch Wettbewerbe, Zeitschriften, andere Empfehlungen, Zufälle. Es gibt auch uneingeforderte Manuskripte, die einfach an den Verlag geschickt werden, aber meiner Vermutung nach sind das inzwischen weniger als noch vor zehn Jahren. Einfach, weil heutzutage auch viele Leute ins Self-Publishing gehen und sich nicht mehr in erster Linie an die Verlage wenden.
Wolltest du schon mal etwas herausgeben und jemand anderes im Verlag hat sich dagegen gestellt?
Ja klar, auf jeden Fall. Eine tolle Eigenart von Verlagen ist ja, dass sie kommunikativ sind, dass man auf andere Leute trifft, die sich auch für Literatur interessieren, aber alle von ganz unterschiedlichen Warten her. Schon allein die Lektoren haben ganz unterschiedliche ästhetische Prämissen. Eine gute Vertriebsabteilung wiederum liebt Bücher ebenfalls, muss aber durchaus aus einer stärker ökonomische Sicht auf sie gucken, und so hat jede Abteilung ihre eigenen Anforderungen und Fragestellungen an einzelne Texte. Dadurch ist ein Verlag auch so eine Art Experimentierfeld, in dem man versuchsweise über Texte sprechen kann und sich Meinungen und Entscheidungen für Bücher erst allmählich herauskristallisieren. Das gefällt mir sehr an Verlagen, gerade im Vergleich zum freien Arbeiten als Selbständiger. Dass man ständig mit anderen über Literatur diskutiert ist ja eine Utopie, das ist herrlich.
Ja, selbstverständlich. Meiner Meinung nach gibt es nicht ungeheuer viel richtig gute Literatur auf der Welt. Deswegen gibt es um die wenigen Texte, die den Verlagen aus echter Überzeugung attraktiv erscheinen, oft durchaus Rivalitäten und Konflikte. Manchmal gibt es dann natürlich auch einen „Buzz“ um Bücher, der mit der ästhetischen Realität gar nicht so viel zu tun haben muss. Da entwickelt sich dann eine Hysterie, wenn andere Verlage auch sehr interessiert sind und viel Geld bieten.
Buch oder eBook?
Das ist beides gut, und das wird es beides selbstredend in Zukunft geben. Wir werden in zehn Jahren immer noch viel lesen, aber wahrscheinlich noch öfter auch auf anderen Geräten, und womöglich auch bisweilen in anderen Formaten nach anderen Genregesetzen, als wir uns das jetzt überhaupt vorstellen können. Ich merke an mir selbst, wie sich durch Internet und digitale Möglichkeiten mein Lesen verändert. Es wird also weiter Literatur geben, sie wird aber selbstredend anders werden, so wie sie das immer getan hat. Zur Zeit, in der großen Übergangsphase dieser Jahrzehnte, sind Publikationen als gedrucktes Buch natürlich zentral, aber jeder, der will, sollte sich Bücher auch auf das absurdeste Gerät der Welt ziehen können. Literatur lese ich persönlich gerne gedruckt, die Manuskripte für den Verlag aber meistens auf dem Tablet. Daran gewöhnt man sich überraschend schnell, vor wenigen Jahren hätte ich das nicht selbstverständlich gefunden. Die Frage nach dem Lese-Modus sollte man aber meiner Meinung nach in Interviews und Artikeln nicht so hoch hängen, das wirkt dann immer gleich ideologisch, als gäbe es ein richtiges und ein falsches Lesen, und das glaube ich einfach nicht.
Wo siehst du dich selbst in 25 Jahren?
Die Literaturwelt wird sich einerseits sehr stark verändern, und anderseits wird es sie definitiv geben. Ich werde irgendwo knietief in ihr drin schon was irgendetwas Schönes machen. Oder auch anderswo irgendwas ganz anderes. Ich kann darauf keine konkrete Antwort geben. Ich hab immer das Gefühl, ich kann mir noch nicht mal die nächste Jahreszeit vorstellen, deshalb kann ich die Frage nicht angemessen beantworten.