Mit seiner Fundraving-Kampagne setzt er sich dafür ein, das Techno ein immaterielles Weltkulturerbe wird.
Matthias Roenigh kennen die meisten wohl eher als DJ unter seinem Künstlernamen Dr. Motte. Weit über die Berliner Club- und Technoszene hinaus machte er sich einen Namen, unter anderem auch, weil er im Jahr 1989 die weltberühmte Loveparade mit ins Leben rief, die in den 90ern Millionen Menschen zu einem friedlichen Protestzug nach Berlin lockte. Mehr als 30 Jahre später will er die Idee wiederaufleben lassen – mit einer neuen Loveparade in Berlin.
Gemeinsam mit seinem Team und der gemeinnützigen GmbH "Rave the Planet" kündigte er an Spenden zu sammeln, in einem "Fundraving", keinem Crowdfunding. Ihr gemeinsames Ziel: Aktiv für den Erhalt der Technokultur starkmachen und das angesichts der zunehmenden Schwierigkeiten von Clubs, die um ihre Existenz kämpfen.
Ihr Plan dafür: Die elektronische Tanzmusik bei der UNESCO als immaterielles Weltkulturerbe schützen lassen. Noch in diesem Jahr soll der Antrag gestellt werden. Außerdem wollen sie einen offiziell anerkannten Feiertag der elektronischen Tanzmusikkultur initiieren, der eben mit der neuen Loveparade zelebriert werden soll. Alleine sind die "Rave The Planet"-Initiatoren um Dr. Motte nicht. Einer aktuellen Forsa-Umfrage nach, wünscht sich die Mehrheit der Berliner die Loveparade zurück.
Seit dem 13. Januar 2020 steht für das Fundraving im ehemaligen Tresor-Garten, wo heute die Mall of Berlin ist, ein Modell der zunächst leeren Straße des 17. Juni vom Ernst-Reuter-Platz über die Siegessäule bis hin zum Brandenburger Tor im Maßstab 1:87 mit einer Gesamtlänge von 48 Metern. Vor Ort und über einen Online-Spendenshop können Unterstützer verschiedene Miniatur-Raver*innen-Figuren spenden, die auf dem Fundraving-Modell Platz finden. Insgesamt sollen 1,5 Millionen Figuren aufgestellt werden.
Wir haben mit Dr. Motte über seine Pläne und Beweggründe gesprochen – und auch über die Folgen des verheerenden Unglücks mit Toten und Verletzten bei der bis dato letzten Loveparade in Duisburg 2010.
"Techno ist mein Leben" – das ganze Interview mit Dr. Motte:
NOIZZ: Wieso sollte eurer Meinung nach die elektronische Tanzmusik und ihre Clubszene immaterielles Kulturerbe werden?
Dr. Motte: Immaterielles Kulturerbe ist das Wissen um Kultur. Die UNESCO schützt nicht nur Gebäude, sondern zum Beispiel auch das Wissen, wie man dieses Gebäude baut. Aber auch gelebte kulturelle Ausdrucksformen, wie Tango zum Beispiel oder die Technokultur in Zürich. Clubs in denen zu elektronischer Tanzmusik getanzt wird, sind Kulturstätten. Wenn sie verdrängt werden oder schließen müssen, weil zum Beispiel Behörden oder Investoren lieber Rendite mit Neubauten machen und die Clubs, die vielleicht seit zehn und mehr Jahren existieren, dann wird damit Kultur vernichtet. Deshalb müssen sie geschützt und erhalten werden.
Welche Rolle spielen dabei denn die Clubs?
Dr. Motte: Wenn es immer weniger Clubs in Deutschland gibt, wo sollen die Künstler – DJs, Live Acts, Tänzer etc. – dann auftreten? Wer braucht dann noch Musikinstrumente, Lautsprecher- und Lichtanlagen? Die Zulieferer dieser Kulturstätten sind die Nächsten, die betroffen sind. Da hängt noch vieles mehr dran. Die Clubkommission in Berlin hat anhand einer Studie herausgefunden, dass die Berliner Clubkultur einen jährlichen Umsatz von 1,5 Milliarden Euro generiert. Das ist auch ein Wirtschaftsfaktor. Die elektronische Tanzmusikkultur, die es seit mehr als 30 Jahren gibt, hat sich stark entwickelt und ist bunt und vielfältig, wie sonst kaum eine. Nicht nur die Vielfalt der Genres selbst, sondern auch der eigene Vibe, der einen Club auszeichnet und einzigartig macht. Das muss doch erhalten werden.
Tut sich denn schon was?
Dr. Motte: Politiker sind teilweise schon aufgewacht und verstehen das. Ein immaterielles Kulturerbe der UNESCO untermauert das und gibt die nötige Anerkennung. Damit, wenn der Status anerkannt würde, gäbe es viele Vorteile für unsere Kulturstätten, die die sogenannte "Hochkultur“ längst genießt, wie zum Beispiel bessere Fördermöglichkeiten oder der verminderte Steuersatz von sieben Prozent, den sich das Berghain schon erkämpft hat.
Ihr seid Urgesteine der Techno- und Elektro-Szene: Welche Rolle spielt die Musik für euch in eurem Leben? Und wieso ist das Projekt euch so eine Herzensangelegenheit?
Dr. Motte: Mein ganzes Leben bin ich von Musik umgeben. Techno ist, seitdem ich 1988 die erste Acid Party in Berlin machte, mein Leben. Ich liebe die Offenheit und freien Möglichkeiten und die Entwicklungen der Musikproduktion. Das möchte ich auch in Zukunft tun. Musik und das Erleben von Musik in der Gruppe, muss für alle frei zugänglich sein. Musik muss frei sein. Ohne Musik ist meine Seele leer. Musik bringt Menschen auf eine gute Art und Weise zusammen.
In eurem ersten Schreiben von "Rave The Planet“ mit dem ihr euch an die Presse gewandt habt, schreibt ihr auch, dass es euch darum geht, dass die Szene besser geschützt und gefördert wird. Seht ihr die Szene denn momentan in Gefahr?
Dr. Motte: In Deutschland gibt es für Clubs keinen Bestandsschutz. Behörden sehen darin nur Vergnügungsstätten, die mit Spielcasinos oder Pornokinos gleichgestellt sind. Dabei sind sie kulturelle Begegnungsorte. Für uns, die in der Welt der elektronischen Tanzmusik leben, ist ein Club ein Ort der Gemeinschaft und Kreativität, der Teilnahme an Musik und Tanzkultur. Wir tanzen gemeinsam zum Mix des DJs oder des Live Acts. Das erkennen Behörden nicht an. Ich höre immer wieder, das Polizei Festivals behindert oder verbietet. Die behördlichen Auflagen sind oft unverhältnismäßig hoch, wodurch Kosten explodieren. In Aachen gibt es keine Clubs mehr, in Oldenburg, Regensburg, München, Frankfurt am Main, Berlin verschwinden immer mehr Clubs. Die Neueröffnung eines Clubs ist total schwierig geworden.
NOIZZ: Ihr wollt auch einen Feiertag der elektronischen Tanzmusikkultur etablieren – verbunden mit einer neue Loveparade. Glaubt ihr, dass diese Form der Aufmerksamkeit noch zeitgemäß ist, um auf eure Themen aufmerksam zu machen? Schließlich hat die Szene ihren Ursprung ja in viel mehr als der Musik selbst: Toleranz, Gleichberechtigung und auch Umweltschutz waren schon immer Themen, die irgendwie dazu gehörten.
Dr. Motte: Seit mehr als 30 Jahren feiern wir Techno, House, Trance, Hardstyle und so weiter. Mit der Loveparade in den 1990er Jahren hatten wir einen inoffiziellen Weltfeiertag des Techno in Berlin geschaffen, der überall Nachahmer fand, wie zum Beispiel in Tel Aviv, San Franzisco, Mexico und Zürich. Daran kann man doch anknüpfen, und den Tag der elektronischen Tanzmusik weltweit ausrufen. Wir hatten den Feiertag ja in der Vergangenheit den zweiten Samstag im Juli mit der Loveparade in Berlin zelebriert. Da kamen Menschen aus der ganzen Welt zusammen, haben gemeinsam friedlich getanzt und die Message und den Spirit von Love, Peace, Unity und Respect mit nach Hause genommen. Eine schönere Art der Völkerverständigung kann man sich doch gar nicht wünschen.
Habt ihr nicht Angst, dass nach dem tragischen Ende der bis dato letzten Loveparade 2010 in Duisburg, das Vorhaben vor allem von Menschen, die nicht in der Szene unterwegs sind, eher kritisch begutachtet wird?
Dr. Motte: Der Spirit der Loveparade ist in Berlin geblieben. Hier leben wir elektronische Tanzmusikkultur und nicht umsonst spricht man von Berlin als "capital of electronic music" – Hauptstadt der elektronischen Musik. Für "Rave The Planet" erhalten wir sogar positiven Zuspruch von der Betroffeneninitiative LoPa2010 e.V., das ist der Verein, der die Interessen der Betroffenen des Unglücks in Duisburg vertritt. Wir hatten zur Eröffnung am 13. Januar sogar drei Vertreterinnen in Berlin, die sogar selbst, als Symbol, ihre Miniaturfiguren auf unser Fundraving-Modell geklebt haben. Im Duisburger Regionalsender Studio 47 sagte die Sprecherin des Vereins, Nicole Ballhause: "Keiner von uns hat einen Einwand, wenn dieses Projekt in Berlin stattfindet und unter Dr. Mottes Regie.“ Wir werden dennoch am zehnten Jahrestag der Katastrophe eine Gedenkveranstaltung in Berlin machen.
Was wünscht ihr euch idealerweise, welche Wirkung "Rave the Planet" haben soll?
Dr. Motte: Wir wünschen uns eine breite Akzeptanz für eine Musik- und Tanzkultur, die Menschen glücklich macht und zusammen bringt. Mit "Rave The Planet" möchten wir eine Plattform erschaffen, unsere elektronische Tanzmusikkultur unterstützt und hilft, sie in ihrer ganzen Vielfalt zu erhalten, pflegen, schützen, fördern und weiterzuentwickeln. Die Wurzeln der elektronischen Musik liegen schon in den 1930ern, als Friedrich Trautwein und Oskar Sala das erste elektronische Musikinstrument entwickelte, das Trautonium. Elektronische Tanzmusikkultur kam in den 60ern und 70ern auf. Die Band Kraftwerk hat international, aus Deutschland heraus, weltweit Musiker inspiriert und die aktuelle elektronische Musik bezieht sich immer wieder darauf. Wir, die Liebhaber dieser Musik, möchten unsere Kultur hören und erleben. Jetzt und auch in Zukunft, weil diese Musik inzwischen in unseren Genen steckt.
Mehr Infos zu dem Projekt, und wie ihr mit machen könnt beim Fundraving findet ihr unter http://https//www.ravetheplanet.com/ .