Wenn man eine Mail mit dem Betreff "How To Sell Drugs Online (Fast)" verschickt, landet sie garantiert im Spamordner. Problematisch also, wenn Netflix seine zweite deutsche Serie nach "Dark" für den internationalen Markt genau so nennt. Promomaterial landet erstmal im Spam. Also doch lieber die Abkürzung "HTSDOF" benutzen.
Aber erst einmal zur Ausgangslage. Moritz Freundin hat nach einem Austauschjahr in den USA mit ihm Schluss gemacht. Um sie zurückzugewinnen, entscheidet er sich für einen recht unkonventionellen und zunächst wenig durchdachten Plan: Er krallt sich eine Ladung Ecstasy, die er beginnt von zu Hause aus im Internet zu verticken – und wird schnell zu einem der größten Online-Shops für illegale Drogen.
Wer Klamauk vermutet, wird enttäuscht
Die Story basiert auf einem echten Fall, den beiden Showrunnern Philipp Käßbohrer und Matthias Murmann von der bildundtonfabrik (ja, genau, die auch "Neo Magazin Royale" mit Jan Böhmermann produzieren) diente der Fall des 18-jährigen Maximilian S. aus Leipzig als Vorlage. Der hat innerhalb von vier Jahren mit der Website "Shiny Flakes", der sowohl im Dark- als auch Clearnet erreichbar war, den größten Onlinehandel für illegale Drogen aufgebaut.
"Im Redaktionsraum des 'Neo Magazin' stieß einer der Autoren der Serie, Sebastian Colley, auf das Motherboard-Interview mit dem “Shiny Flakes”-Gründer – alle fanden das Thema sofort spannend“, erklärt Käßbohrer, "er hat in dem Interview geredet als sei das ein E-Commerce-Start-Up, das man nur richtig aufziehen und skalieren muss. Alles sprach für einen Nerd, der mit der Drogenwelt an sich nichts zu tun hat."
Er hatte den richtigen Plan mit einer völlig falschen Idee. Oder wie Kumpel Lenny es in der Serie sagt: "Das ist ein Business-Case. Für den man ins Gefängnis kommen kann." Dieses Spannungsfeld greifen die beiden in der Serie auch auf.
Sonst hat die Netflix-Serie nicht mehr viel mit dem echten Fall zu tun: Die Handlung wird von Leipzig in eine Kleinstadt nach NRW verlegt. Moritz handelt nicht allein, sondern wird unterstützt vom besten Freund Lenny, der an den Rollstuhl gefesselt ist und eigentlich nichts mehr zu verlieren hat, weil er wahrscheinlich nicht mehr lange zu leben hat. "Wir wollten etwas Eigenes daraus machen", ergänzt Murmann.
Die bildundtonfabrik-Handschrift schimmert in der Serie deutlich durch
Bissige Witze, viele Insiderwitze und die Ästhetik gewohnt cool. Dazu ein Indie-Soundtrack, wie er sich eben für eine Netflix-Serie gehört. Die Macher spielen gekonnt mit der Sprache der Netzwelt, flashy Bilder wechseln sich mit der klischeehaften Tristesse deutscher Kleinstädte ab.
Dabei schafft HWTSDOF aber etwas, dass nur wenige deutsche Filmmacher bis dato gelungen ist. Die Memes der Netzwelt, die 90er-Referenzen (grandios etwa wie "X-Factor – das Unfassbare"-Legende Jonathan Frakes das Darknet erklärt) und auch die Sprache der Jugend werden so authentisch rübergebracht, wie noch nie. Und ist dabei niemals so peinlich wie "Fack Ju Göthe".
Klar wird es manche nerven, dass einige Szenen auch gut ein Sketch aus dem "Neo Magazin" sein könnten, aber andererseits sprudelt diese Serie nur so vor Ideen, dass man es kaum erwarten kann, bis sie weitermachen. "Ich habe das Drehbuch gelesen und musste einfach nur lachen, ich fand es so unglaublich witzig. Das hat man selten", sagt etwa Hauptdarsteller Maximilian Mundt.
Normal, aber nicht langweilig
Das kann ich zumindest nur zu gut nachvollziehen. Die Dialoge sind nicht aufgesetzt und der Plot ist nicht allzu vorhersehbar. Manchmal wünscht man sich, die Macher wären noch etwas radikaler gewesen und hätten sich nicht ganz so offensichtlich an der Machart von "The Social Network", dem ganzen Unicorn-Sprech oder "The Big Short" bedient.
Auch die Geschichte vom Außenseiter, der aus guten Motiven ins Böse abrutscht, wurde oft erzählt. Moritz wandelt sich: Am Ende wird er ein ziemliches Arschloch im Rollkragenpulli. Eine Mischung aus Steve Jobs, Elon Musk und Jeff Bazos.
Manche mag es auch stören, dass diese Geschichte nun in eine Art High-School-Setting mit den typischen Charakteren gestellt wurde: Die Schöne, der Schönling und Schuldrogendealer, der Nerd, der Behinderte – aber hey, an alle: Diese Stereotypen gibt es wirklich an jeder deutschen, an jeder amerikanischen, an jeder Schule.
Vielleicht ist aber auch gerade das charmant: Keine Übertreibungen, keine Belehrungen – es ist der Alltag mit einem im Alltag oft tabuisierten Thema, nämlich Drogen bei Jugendlichen, die sich ausprobieren und Erfahrungen machen wollen, ohne zu wissen, was sie sich da überhaupt reinziehen. HTSDOF erhebt dabei nicht den Zeigefinger, es zeigt auch wie unschön Ecstasy und Co. sein können.
"Wir wollen mit der Serie nicht rüberbringen 'Nehmt Drogen‘ oder 'Lasst die Finger davon‘", sagt Lisa-Darstellerin Lena Klenke. "Aber man sollte auch nicht schweigen", fügt Damien Hardung zu, der den Schulhofschönling Dan spielt, "und ich glaube die Serie erlaubt es, dass jeder sich ein eigenes Bild machen kann."
Und ganz eigentlich geht es um so viel mehr
Nämlich ums Erwachsen werden und Freundschaft. Lenny und Moritz kämpfen um ihre Freundschaft, sie haben Beef aber finden auch wieder zusammen. "Moritz ist einfach scheiße unsicher und verhält sich deswegen manchmal wie ein Arschloch. Aber er legt einfach los, ohne groß nachzudenken", charakterisiert sein Darsteller ihn ziemlich treffend.
Im Gegensatz dazu ist Lenny vielleicht der Steve Wozniak an der Seite von Moritz: "Lenny hat so erschreckend wenig Selbstbewusstsein, das ist schon traurig. Aber er ist ein so loyaler Freund, wie man ihn sich nur wünschen kann", sagt Danilo Kamperidis über seine Figur. Für die Rolle hat er extra ein Rollstuhl-Coaching bekommen. Noch ein Pluspunkt von HTSDF. Lennys Rolle hat zwar eine Behinderung, aber eigentlich wird es nicht weiter thematisiert. Er nimmt Teil an Moritz Abenteuer. So inklusiv sollten mehr Serien sein.
Auch die anderen Charaktere haben ihr Paket zu schleppen. Lisa muss sich genauso finden "und denkt dabei manchmal zu viel an sich und ist sich nicht bewusst, was sie damit bei den anderen in ihrem Umfeld auslöst. Zum Beispiel, dass sie ihren Ex-Freund Moritz verletzt und auch ihre beste Freundin Fritzi", so Schauspielerin Lena Klenke.
Dann gibt es da auch noch den Dorfdealer Buba, gespielt von Bjarne Mädel, von dem Moritz seine erste Ladung Pillen bezieht. Ein ekliger schmieriger Typ, den es aber irgendwie auch genauso gibt und einen Gegenentwurf zu den shiny Jugendcharakteren bildet. Auch der sonst so beliebte Dan, der die ganze Schule vor Moritz mit Drogen versorgte, hat seine Probleme: "Eigentlich ist er ziemlich leer und weiß nicht, was er will. Lisa hilft ihm später erst, sich zu öffnen", sagt Hardung.
Der Fall vom "echten" Moritz endet jeden Falls so: Bis 2013 konnte er unbemerkt Drogen im Wert von etwa vier Millionen Euro in ganz Europa verkaufen. 2015 wurde er zu einer Haftstrafe von sieben Jahren verurteilt. Es gibt also noch einiges zu erzählen, sollte es eine zweite Staffel von "How To Sell Drugs Online (Fast)“ geben.
Die sechs Folgen der ersten Staffel von „How To Sell Drugs Online (Fast)” kannst du ab sofort auf Netflix streamen.