Mit ihren neuen Album "Scham" stellt die Kölner Band unser Gesellschaftsbild infrage.
Was weiß eine fünfköpfige Band aus Köln schon über Scham, mag sich der ein oder andere Leser der Überschrift fragen. Nun ja, nur so viel vorab: Sie hat sich sehr lange mit dem Thema auseinandergesetzt, sogar einen philosophisch angehauchten Essay gibt es begleitend zum neuen Album, das eben den Titel "Scham" trägt.
Erst vor etwas mehr als einem Jahr erschien ihr Debüt "Wir werden niemals fertig sein" und jetzt folgt bereits das nächste Album. Die neuen Songs klingen schon eine Spur anders, als das, was man von der Band bisher kannte.
Pointierte Texte, in denen sie sich mit zahlreichen aktuellen, gesellschaftspolitischen Aspekten auseinandersetzen: In "Männlich blass hetero" setzt sie sich etwa mit falsch verstandenen Bildern von Männlichkeit auseinander, genauso wie mit der privilegierten Stellung von vor allem weißen Männern.
In "Viva La Korrsion" hingegen rechnen sie mit Faktenverweigerung ab. Andere Themen der zwölf Songs ihrer Platte: Leben im Überfluss und Konsum und sogar eine musikalische Aufarbeitung des Kölner NSU-Attentats, bei dem am 9. Juni 2004 eine Nagelbombe vor einem muslimischen Kulturzentrum explodierte.
Bisher hat die Band eher über Liebe und private Lebenskrisen oder Glücksmomente gesungen. Auch solche Songs finden sich auf "Scham", aber es scheint fast so, als hätten Neufundland mit dieser Platte die tiefsinnigen Themen für den Deutschpop wiedergefunden. Bye-bye, neue Deutsch-Poeten!
Aber können Männer überhaupt wirklich feministisch handeln? Und was bedeutet es überhaupt in Kategorien wie "männlich" und "weiblich" zu denken? Ich - bekanntlich eine Frau - habe mich mit den zwei Fabians der Band in Berlin zu einem Gespräch über Feminismus, Instagram und was das alles überhaupt mit Scham zu tun hat getroffen.
Los geht's mit dem Themeninterview:
NOIZZ: Was bedeutet Scham eigentlich für euch?
Fabian Langer: Als wir an den Songs fürs neue Album gearbeitet haben, haben wir gemerkt, dass hinter vielen Themen eigentlich dieses Gefühl steckt. Scham ist in unserer heutigen Gesellschaft so ein bisschen wie das Damoklesschwert, das über allen schwebt. Alle Entscheidungen treffen wir nur daraufhin, ob uns etwas peinlich ist oder nicht. Man kann eigentlich alles darauf beziehen. 'Wer muss sich eigentlich für was schämen?' 'Und wer möchte überhaupt, dass du dich für etwas schämst?' - das sind die Fragen, die über allem hängen. Es ist einfach ein omnipräsentes Gefühl!
Fabian Mohn: Naja, ich würde sagen, es ist ein gesellschaftliches Regulativ. Wenn du zum Beispiel ein Handy hast und damit irgendwelche Filter für einen Instagram-Post benutzt, der deine Haut glättet und glänzender macht, dann hat die Werbe-, Technik- und Instagramwelt doch eigentlich schon für dich entschieden, wie du besser wärst.
Aber ich muss die Filter ja nicht benutzen …
Fabian L.: … aber alleine das sie existieren suggeriert schon, dass du so nicht genug bist und du dich für dein normales Ich im Prinzip schämen müsstest. Darüber denkt man im Alltag zwar nicht so nach, aber da stecken viele Mechanismen hinter.
Meint ihr nicht eher "peinlich fühlen" anstelle von schämen?
Fabian L.: Scham nagt noch viel mehr an deiner Identität, als wenn dir etwas peinlich ist. Man gibt mehr von sich preis, als man eigentlich möchte.
Fabian M.: Dazu gehört ja auch, dass es teilweise ein Tabu ist, sich schwach oder verletzlich in der Öffentlichkeit zu zeigen. Wir schränken uns selbst ein.
Fabian L.: Ja, das ist zum Teil schon absurd. Manche schämen sich dafür, dass sie zu wenig Instafollower haben, also zu wenig stattfinden. Da wird Scham quasi kapitalisiert.
Es ist ja auch eine Frage der Selbstdarstellung und wie viel man preisgeben möchte.
Fabian M.: Natürlich. Wir als Band mussten uns auch damit auseinandersetzen. Das hat sich am Anfang ziemlich komisch angefühlt. Das sind so Momente, wo dir die Strukturen in der Gesellschaft bewusst werden.
Fabian L.:Man muss eben seine Grenzen kennen. Benutze ich das als Kommunikations-Kanal oder willst du dich nur selber darstellen?
Fühlt ihr euch selbst dadurch eingeschränkt?
Beide: Ständig!
Fabian M.: Aber man spürt das nicht mehr so, als das, was es ist, weil es in einen übergegangen ist. Man fragt sich ja ständig wie man sich verhält. Das sind Tausend kleine Dinge, die immer fragen: 'Bin ich genug?' Und das spielt in so viele Bereiche mit rein, sogar in die Politik.
Fabian L.: Wenn Leute sich schämen, zum Beispiel, weil sei keine Arbeit haben oder eine kleine Wohnung, dann werden Menschen ruhig. Sie werden niemals aggressiv, sondern handeln es mit sich selber aus, weil es ein Makel ist. Das kann ein mächtiges Instrument sein.
Aber das muss ja nicht immer so sein. Die Männer, die ihr zum Beispiel in "Männlich blass hetero" bezeichnet, sind in gewisser Weise schon auch aggressiv männlich, weil sie sich schämen würden, wenn sie jemand als Pussy abstempelt.
Fabian M.: Das ist aber eine Reaktion auf Scham in einer privilegierten Situation. Wenn dich jemand kritisiert und dir sagt: 'Ey, so ist es nicht!' Dann schämst du dich zwar kurz, aber weil du in der Machtposition als weißer Mann bist, kannst du ganz einfach sagen: 'Doch!' Und gut ist.
Fabian L.: Aber genau das Problem sieht man gut in der metoo-Debatte. Da wird krass darum gekämpft.
Ihr meint die Frage: Darf ich kein Mann mehr sein?
Fabian L.: Ja, genau. Da merken welche, 'oh, da gibt es jetzt noch eine andere krasse Meinung, was mache ich jetzt nur damit? Das nervt mich total!' Aber das ist ein anderer Grad an Scham, als wenn du dich schämen musst, keine Arbeit zu haben.
Empfindet ihr euch als mutig, dass ihr als weiße, männliche Band die Frage nach toxischer Männlichkeit stellt?
Fabian M.: Das ist auch ein bisschen das Prinzip bei dem Album, dahin zu gehen, wo es irgendwie auch weh tut und unbequem wird. Das ist aber eher eine Auseinandersetzung mit uns selber und kein politisches Pamphlet. Ich finde es natürlich schön, wenn so viele Menschen wie möglich – auch Männer – Feministen sind. Aber wir brauchen jetzt auch keine eine Millionen White Dudes, die Frauen erklären, wie man Feminismus wirklich macht.
Haha, das können sie ja eigentlich auch gar nicht, oder? Ich meine Männer sind bisher immer noch in einer privilegierteren Situation und es ist auch für sie einfacher etwas Positives zur Gleichstellung zu sagen.
Fabian L.: Es geht vielleicht eher darum, dass alle in der Gesellschaft denken, wie kann eigentlich Gleichberechtigung funktionieren, so dass alle etwas davon haben? Für Männer geht es dann auch darum zu fragen, was habe ich eigentlich für Privilegien und wie gehe ich damit um?
Merkt ihr das in eurem Alltag?
Fabian M.: Wenn du so wie wir als weiße, männliche Band im Deutschpop-Raum unterwegs bist, wird dir das richtig bewusst. Da bist du Backstage auf irgendeinem Festival, und 90 Prozent – ohne Scheiß – sind Männer. Das ist schon krass.
Fabian L.: Es wird zwar besser. Aber Frauen haben immer noch ganz klare Rollen, die so definiert sind. Wenn du die Sängerin bist, dann bist du eben nur die Sängerin. Nicht vielleicht die Witzige oder so. Du bist nur über dein Geschlecht definiert.
Viele denken auch, dass Frauen einfach nicht auf die Bühne wollen.
Fabian M.: Das findet sich ja sogar in linken Musikkreisen wieder, wo viele denken sie wären die aufgeklärtesten Kulturmenschen überhaupt. Die denken dann, es gibt so wenige Frauen in dem Biz, weil sie nicht so gut sind oder nicht wollen. Die sagen dann sehr oft: 'Meine Schwester wollte aber auch nie E-Gitarre lernen!' Die hinterfragen dann aber gar nicht, wieso das so ist. Wahrscheinlich, weil sie nicht dachte, dass es einem Mädchen entspricht. Das ist so absurd, dass manche denken, dass Männern so etwas mehr in die Wiege gelegt wird.
Erwischt ihr euch dabei, dass ihr selber typisch männlich handelt?
Beide: Sehr oft, wenn man es reflektiert.
Fabian M.: Wir sind ja Produkte unserer Erziehung, kommen aus bürgerlichen Familien und den damit verbundenen Rollenbildern. Das ist auch erfolgreich in der Gesellschaft, deswegen zieht man da irgendwie mit. Ich merke das auch oft in der Art, wie ich mit anderen rede. Manchmal überfahre ich andere einfach mit meiner Meinung, das ist mir dann richtig unangenehm im Nachhinein.
Und was können wir eurer Meinung nach tun, damit sich etwas ändert?
Fabian L.: In den letzten Jahren hat sich viel getan, einfach weil wir mehr darüber sprechen. Als ich 16, 18 war, habe ich mir darüber einfach nicht so viele Gedanken gemacht. Weil es auch nicht Teil des Diskurses war. Es wurde einfach hingenommen. Man darf sich anderseits auch keine Illusionen machen – wir haben ja gerade schon über Instagram gesprochen, das wird nicht auf einmal verschwinden.
Dummerweise sind manche dieser Filter ja auch sehr witzig …
Fabian L.: Ja, das spielt da natürlich auch mit rein.
Fabian M.: Ich glaube, das knüpft generell an einer menschlichen Schwachstelle an. Wir wollen ja gerne perfekt sein. Das ist schwer dem zu entfliehen. Wir sollten eher fragen, was die Politik tun kann. Da können sich noch viele Dinge zum Positiven verändern.
Mein Neffe denkt zum Beispiel, dass nur eine Frau Bundeskanzlerin sein kann. Er ist neun Jahre alt und kennt nur Angela Merkel in dem Amt.
Fabian M.: Ja, das ist schon krass. Generationen vorher haben genau anders gedacht. Früher war es unvorstellbar, dass das eine Frau machen kann, jetzt ist es Normalität.
Mal provokativ gefragt: Können Männer überhaupt Feministen sein?
Fabian L.: Ich denke als Frau, die in einer patriarchischen Gesellschaft lebt, darf man durchaus der Meinung sein, Männer können keine Feministen sein. Das muss ich dann als Mann einfach akzeptieren. Als Mann hat das eben oft mehr damit zu tun, mal einen Schritt zurückzutreten und sich nicht in den Vordergrund drängelt. Wir müssen jetzt auch nicht als Männer ein feministisches Festival organisieren, das würde komisch rüberkommen.
Fabian M.: Es geht halt darum, sich solidarisch mit dem Begriff zu stellen und danach zu handeln. Das funktioniert am besten, wenn alle da mitmachen. Im besten Fall auch mein Opa und nicht nur die Peergroup in Neukölln.
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