Das Musikvideo zu „Tideuprightnow" ist der wohl beste Feel-good-Clip den man zurzeit wohl im Netz sehen kann: Eine assoziative Collage aus Sonne, Meer, Koalas, Palmen und Kängurus. Dazwischen die fünf Mitglieder von Parcels in einem knalltürkisen Oldtimer-Cabrio. So als wären, Louie Swain (Keyboard), Patrick Hetherington (ebenfalls Keyboard), Noah Hill (Bass), Anatole Serret (Schlagzeug) und Jules Crommelin (Gitarre) direkt aus einer anderen Zeit entsprungen. Den 70ern vielleicht. Oder den frühen 80ern.
Liegt wohl auch an ihrem durchaus distinktiven Look. Den stellen sie in ihren Videos gerne zur Schau und haben keinen Angst mit der Ästhetik zu kokettieren. Ihre Musik aber klingt nicht unbedingt retroesk. Sie ist eher eine zeitgemäße Version verschiedenster Einflüsse aus Vintage-Surfmusik, Rock'n'Roll mit einer Prise Hawaii (hier und da hört man die wohl exzessive Beach-Boys-Listening-Sessions raus), Verrücktes wie brasilianische Tropicália-Sounds, ja sogar Hip-Hop.
„Wir wollten kein Throwback-Album machen", sagt Patrick entscheidend. „Und ich liebe oldschool Hip-Hop. So was wie A Tribe Called Quest", ergänzt Jules. „Aber auch sowas wie Brockhampton ist ziemlich cool", springt Patrick ein, „ und ich mag Yung Hurns coole Vibes. Niemand weiß ob er's ernst meint oder nicht. Das ist cool."
Auf den ersten Blick sind Parcels ein ziemlich chaotischer Haufen. Im Hinterhof eines Kreuzberger Hauses wuseln die fünf Bandmitglieder hin und her, lesen Krimis, spielen Karten, und wer gerade Zeit hat übernimmt eben ein Interview. Es ist wie ein blindes Zusammenspiel, sie ergänzen sich ziemlich gut - und sind dabei immer gelassen.
Ist dass die australische Gelassenheit?
„Das ist witzig, dass du das sagst, das hören wir irgendwie viel. Aber hier in Berlin sind auch irgendwie so viele andere australische Künstler, dass es uns gar nicht so auffällt", sagen Jules und Patrick wie aus einem Mund (natürlich haben sie sich beide nur perfekt ergänzt). Und jetzt sind Parcels eben da, wo sie jetzt sind: Drei Jahre nach ihrer ersten EP und vier Jahre nach der Bandgründung sind sie auf sich allein gestellt. Mit ihrem ersten eigenen Album.
An dieser Stelle hätte man aber auch eine ganz andere Geschichte erzählen können. Etwa, wie die Australier eigentlich durch Zufall in einem Studio mit den französischen Musiklegenden von Daft P unk landeten. Herauskam der Song „Overnight", der sie dann auch quasi overnight, also über Nacht, zum Erfolg brachte.
Wie sie, mehr ohne Plan als wirklich koordiniert, ihr australisches Heimatstädtchen Byron Bay mit seinen gerade mal 5.000 Einwohnern vor gut vier Jahren verließen und in die große, weite Welt zogen. Genauer gesagt nach Berlin. Ob sie vorher schon mal da gewesen wären? Nein, keinesfalls. „Wir haben ein paar Freunde, die alle gesagt haben, Berlin sei richtig cool und billig", so Patrick.
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Wirklich viel wussten sie nicht. „Wir wollten einfach nur nach Europa. Und Musik machen." Sie kamen trotzdem. Und leben hier noch heute. Auch wenn der Kaffee zum Beispiel nicht mehr ganz so billig ist: „ Letztens hab ich 3,50 Euro für einen Latte bezahlt ", beschwert sich Jules. „Aber billiger als in Melbourne", sagt Patrick.
Und wie dann die erste Single ihres Erstlingswerkes, „Bemyself", zu einer Art Rettung wurde. „ Der Song hat den kompletten Prozess für das Album erst losgetreten", sagt Patrick. Für die Band war es schwierig, mit der hohen Erwartungshaltung durch die Zusammenarbeit mit Daft Punk umzugehen.
„Jeder hat so viel erwartet", erinnert sich Patrick. „Wir lieben Daft Punk und es ist super cool mit ihnen zusammenzuarbeiten. Aber wir wollten auch unser eigenes Ding machen", stellt Jules klar.
Für viele waren sie eben einfach nur die Band, die mit Daft Punk zusammengearbeitet hat.
Bevor sie nach Berlin kamen, haben Parcels schon als Band miteinander gespielt, kamen aber aus einem großen Wirrwarr unterschiedlicher Stilrichtungen. Das muss man erst mal zusammenkriegen. Jules hat in einer Metal-Band gespielt (davon hört man nicht mehr so viel auf dem Album), Louie und Patrick hingegen in einer supersoften Indie-Band.
Mit dem Umzug nach Berlin, hätten sie erst wirklich zusammen gefunden. In ihren kleinen Wohnungen haben sie munter ausprobiert. „ Wir wollen das machen, was zu uns passt. Wir sind selber unsere größten Kritiker", sagt Jules. Deswegen war „Bemyself" auch die perfekte erste Single. Ihnen ist dabei ziemlich egal, wie das auf andere wirkt.
Auf die Frage hin, ob es nicht etwas seltsam sei, sein Debüt mit einem Stück namens „ Comedown" (deutsch: „Enttäuschung", „Abstieg") beginnen zu lassen, reagieren sie fast entrüstet. „Naja, es war fast immer den Song, den wir am Ende unserer Gigs gespielt haben", so Jules, „und jetzt haben es umgedreht."
Wer sich übrigens gefragt hat, wieso die Songtitel bei Parcels eigentlich immer zusammengeschrieben werden: nur aus Zufall.
Am Rechner klemmte die Leertaste. Geht auch ohne. Im Improvisieren und schnell zurechtfinden sind die fünf sowieso Meister. Das sieht man auch auf ihren zahlreichen Live-Performances, von denen es schier unendlich viele in den vergangenen zwei Jahren gab. Und damit haben sie sich in die Herzen ihrer Fans gespielt.
„Im Studio bist du in deiner eigenen kleinen Welt. Nichts andere zählt. Auf der Bühne ist es das totale Gegenteil", findet Patrick. „ Aber auf der Bühne spürst du die Energie und wie aufgeregt die Menschen vor der Bühne sind", ergänzt Jules. Egal ob beim renommierten Glastonbury Festival, in einem kleinen Berliner Club oder TV-Auftritte wie beim US-Talker Conan O'Brien oder kürzlich in Jan Böhmermanns Sendung.
So ganz in diese starre Musik-Business-Welt wollen Parcels nicht passen, aber gerade das macht sie so erfolgreich. Der Vibe ihrer ersten Platte hat etwas Federleichtes - oder der Zuhörer assoziiert es eben automatisch, wenn man die „Päckchen" (nichts anderes heißt „Parcels") auf dem Cover an der Gate-Treppe am Flughafen in Piloten- und Stewardmontur dastehen sieht.
Auch in ihren Texten finden sie schöne Bilder. So heißt es in dem schnirkellosen, lyrischen Liebes-Song „ Withorwithout " (ja, wir wissen es, die Band auch, aber nein: Dies ist kein U2-Cover!):
„You were the world calling out my own name. You were the girl I fell beneath every day. You were the birds talking in my dream. You were the world I wish I'd never seen."
Es ist eben auch dieses Feingefühl und der Hang zur dramatischen Inszenierung, was Parcels Stücke so spannend macht. Sie sind wie eine Zeitreise durch die Pop-Geschichte. Mal aufregend psychedelisch oder mit brasilianischen Songfragmenten, die Jules irgendwo aus der Plattensammlung seiner Mum aufgegriffen hat, wie in „Exotica". Oder eben zart, fast schon kitschig in „Bemyself".
Mit Parcels, wird es eben nicht so schnell langweilig.
Das Debüt-Album von Parcels, das ebenfalls den Titel „Parcels" trägt, könnt ihr ab sofort bei Spotify hören.