Nadire Mustafi bezeichnet sich selbst als islamische Feministin. Die Hollabrunnerin und gewählte Delegierte der Islamischen Glaubensgemeinschaft kritisiert die zu starke männliche Auslegung des Korans und fordert Musliminnen auf, sich stärker öffentlich zu engagieren.
Nadire Mustafi ist 30 Jahre und hat als eine der wenigen weiblichen Delegierten erfolgreich bei den Wahlen der Islamischen Glaubensgemeinschaft kandidiert.
biber: Frau Mustafi, Sie bezeichnen sich als islamische Feministin, was verstehen Sie darunter?
NADIRE MUSTAFI: Emanzipation ist für mich, das zu tun, worauf ich Lust hab. Aber ich verstehe unter Emanzipation sicher nicht, mein Kopftuch wegzulegen oder mich zu assimilieren. Feminismus heißt für mich, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind – und zwar in allen Lebenslagen. Zum Feminismus gehört für mich auch das gemeinsame Auftreten von Musliminnen und Nicht-Musliminnen, um zu zeigen, dass gewisse Themen für uns alle wichtig sind. So sollten Frauen – unabhängig von ihrer Religion – etwa gemeinsam gegen Diskriminierungen und ungleiche Bezahlung am Arbeitsmarkt kämpfen.
Sollen Frauen als Predigerinnen, Theologinnen und Vorbeterinnen in den Moscheen tätig sein?
Ja natürlich und zwar so schnell wie möglich. Im Grunde müsste man nur die Ursprünge des Islams wiederbeleben. So waren bei der Niederschrift des Korans auch Frauen beteiligt. Man kann also in die frühe Geschichte zurückschauen und hätte einige Ansätze, die interessant wären. Besonders wichtig wären weibliche Korankommentatorinnen, da ich kaum einen Tafsir (Korankommentar, Anm.) kenne, der von einer Frau geschrieben wurde. Wir haben ein Problem, weil eine weibliche Sicht in der Interpretation fast völlig gefehlt hat. Das hat unter anderem dazu geführt, dass nach einigen Kommentatoren der Frau nicht der Wert zugesprochen wird, der ihr zukommt. Das ist natürlich Unsinn.
Trotzdem dominieren Männer die muslimische Welt. Was können Sie dagegen tun?
Männer dominieren die ganze Welt – nicht nur die muslimische. Ich trete für die volle Gleichberechtigung aller Frauen an und es stört mich, wenn immer so getan wird, als ob nur die Musliminnen die Unterdrückten sind. Aber zu Ihrer Frage: Was kann man tun? Ich bin eine selbstbewusste Frau und bringe mich in die Gesellschaft ein. Damit bin ich nicht alleine. Es gibt immer mehr Musliminnen, die ein Kopftuch tragen und trotzdem nicht nur still in der Ecke sitzen, sondern selbstsicher und mutig auftreten. Wir Musliminnen sollten zeigen, was wir ohnehin leben.
Warum gibt es dann trotzdem so wenige Frauen als gewählte Vertreterinnen der Glaubensgemeinschaft?
Frauen müssen mehr Mut haben, sich in der Öffentlichkeit zu engagieren. Ich kenne das von unserem Verein in Hollabrunn. Viele „verschlafen“ ihre Chancen gerne. Engagement ist eben anstrengend. Zudem muss man konkreter vermitteln, was Frauen davon haben, wenn sie sich öffentlich betätigen.
Braucht es ein Umdenken der Männer in Bezug auf Frauen in der Glaubensgemeinschaft?
Ja, sicher, aber trotz aller Kritik an der Glaubensgemeinschaft in diesen Fragen muss ich sagen, dass man dort immer sehr großen Wert auf die wenigen Frauen gelegt hat, die dort tätig sind. Wir werden ernst genommen, gehört und sind nicht nur aus Imagegründen da.
Die Moslems wählenDie Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGIÖ) wird am 8. Mai in der Steiermark und am 15. Mai in Wien ihre Wahlen abschließen. Um wahlberechtigt zu sein, muss man Moslem sein und mindestens ein Jahr lang in Österreich gemeldet sein. Zudem muss man die Kultusumlage (40 Euro) zahlen. Die Mehrheit der Muslime zeigt kein besonders großes Interesse an den Wahlen. Es sind in der Regel die großen Verbände, die „ihre“ Kandidaten ins Rennen schicken. Dabei bezahlen die Vereine oft auch gleich ihren Mitgliedern die für die Wahl erforderliche Kultusumlage. Der Wahltrend ist nicht überraschend: Die türkischen Großverbände (insbesondere ATIB) haben einen Löwenanteil an den Delegierten. Bis dato wurden knapp 270 Delegierte gewählt, von denen die ATIB 130 stellt. Lediglich 12 Frauen konnten sich bis dato durchsetzen.
von Rusen Timur Aksak, Filiz Türkmen und Sonja Schwarz (Foto)