Das Mahnmal für den Genozid an den Armeniern soll nun zum wiederholten Mal entfernt werden. Im April 2018 wurde es von der Initiative „Völkermord erinnern" an der Hohenzollernbrücke in Köln eingeweiht. Eine rostrote Stele mit einem geschlitzten Granatapfel an der Spitze, die den Titel „Dieser Schmerz betrifft uns alle" trägt und in Sichtweite zum Reiterstandbild Kaiser Wilhelms II. steht. Schließlich war das Kaiserreich im Ersten Weltkrieg ein Verbündeter des Osmanischen Reiches und entsandte deutsche Militärattachés, die dem Genozid nicht nur zusahen, sondern sich zum Teil auch daran beteiligten. Das Kaiserreich trägt also eine Mitverantwortung an den Verbrechen.
Davon aber scheint man bei der Stadt Köln nicht viel wissen zu wollen. Erst sollte das Mahnmal „wegen einer fehlenden behördlichen Genehmigung" weg, das ist mittlerweile geklärt, es gibt sogar einen einstimmigen Beschluss der Bezirksvertretung. Nun ist plötzlich von einem Radweg die Rede, der zwar noch nicht genehmigt ist, aber in ferner Zukunft genau dort entlangführen muss. Warum dort nicht beides Platz finden kann, erschließt sich einem beim besten Willen nicht. Ja, Jessas, das kann doch alles nicht so schwer sein.
Angst vor türkischen Nationalisten?Liest man sich allerdings ein wenig ein, beginnt man zu ahnen, wo der Hase im Pfeffer liegt. In einem Schreiben der Stadt ist von einem „angesichts der Vielzahl türkischer Mitbürger in Köln sehr sensiblen Thema" die Rede. Schon bei dem Gedächtniskreuz auf dem armenischen Friedhof am Stadtrand sei „auf eine Aufstellung im öffentlichen Straßenland aufgrund des hohen Konfliktpotentials bewusst verzichtet worden". Aha.
Das Thema Völkermord, der übrigens 2016 (reichlich spät) im Bundestag anerkannt wurde, trieb türkischen Nationalisten schon immer den Puls in ungesunde Höhen. Aber wovor hat man Angst? Dass vor dem Mahnmal türkische Nationalisten kampieren, 24/7 rechtsextreme Volkslieder singen und damit die Touristen auf der Domplatte vertreiben? Wo käme man denn hin, wenn man in vorauseilendem Gehorsam kapituliert, nur weil irgendwelche Leute mit übersteigertem Nationalgefühl und einer Abneigung gegenüber historischen Tatsachen Remmidemmi machen könnten?
Es wäre nicht das erste Mal, dass das passiert. 2005 hat Brandenburg den Genozid wegen der Intervention türkischer Diplomaten aus dem Lehrplan gestrichen - später wurde es wieder rückgängig gemacht. 2011 gewährte die Universität Stuttgart einem Vortrag über den Genozid keinen Raum, aufgrund von türkischem „Protest aus Berlin" - die Universität teilte mit, „neutral bleiben" zu wollen. 2014 wurde wegen Protesten gegen eine Inszenierung von Edgar Hilsenraths „Das Märchen vom letzten Gedanken", das vom Völkermord handelt, das Veranstaltungsplakat am Theater Konstanz abgehängt und vor jeder Aufführung ein Statement des türkischen Konsuls verlesen. Die Premiere hatte unter Polizeischutz stattfinden müssen.
Immerhin war der Druck von türkischer Seite hier öffentlich einsehbar. Was aber ist, wenn Anträge nicht bewilligt, Veranstaltungen gar nicht erst geplant oder mit fadenscheinigen Gründen abgeschmettert werden, weil man einen möglichen Konflikt scheut? In Köln haben sich 58 türkische Vereine unter dem Namen „InitativTürk" zusammengetan und sich den Kampf gegen das Mahnmal auf die Fahne geschrieben. Unter ihnen finden sich neben den berühmt-berüchtigten islamistischen und rechtsextremen Moscheevereinen wie DITIB und ATIB Sport- und Kulturvereine. Auch die IG Keupstraße ist dabei. Jener Verein, dessen Vorsitzende schon als Botschafterin für Demokratie und Toleranz ausgezeichnet wurde und der sich unermüdlich für ein Mahnmal zum NSU-Anschlag engagiert, aber auch gegen jedes Erinnern an den Genozid an den Armeniern. Schon 2017 unterzeichnete der Verein einen Protestbrief gegen den Kreuzstein. Er drohte damit, alle rechtsstaatlichen Mittel zu nutzen, um ihn zu verhindern.
Die InitiativTürk lässt nichts aus. Das Mahnmal sei türkenfeindlich, stigmatisierend. Den Genozid habe es sowieso nicht gegeben. Und wenn doch, dann habe es sich nur um Notwehr gegen „armenische Nationalisten" gehandelt. Die Stele sei ein „Affront gegen das friedliche Zusammenleben der Stadt". Die InitiativTürk warnt vor Unruhen, vor „100.000 türkischstämmigen Mitbürgern", die sich provoziert fühlen könnten. Das klingt fast wie eine Drohung und ist insofern kurios, da ja vor allem die InitiativTürk gegen das Mahnmal mobilisiert.
Dass sich Genozidleugner in Vereinen zusammenrotten, dass Wölfe auf dem Domplatz heulen, ist das eine. Das andere ist: Warum gibt Köln dem nach? Aber einer Stadt, in der Erdogan schon seine Megamoschee eröffnen durfte, ist vermutlich nicht mehr zu helfen. Oder doch? Kleiner Tipp für Kommunalpolitiker: Tee kann man auch woanders trinken. Er schmeckt ohnehin besser, wenn er nicht von Genozidleugnern serviert wird.