Vielleicht ist es die Hitze. Aber wenn man sich recht erinnert, war es auch schon im Frühling, im Winter und vor einem Jahr so, dass die Leute ein wenig drüber sind. Die Leute, von denen man nie so genau weiß, wer sie sein sollen, obwohl sie einem schon oft begegnet sind.
Kürzlich twitterten die Moderatoren des Mittagsmagazins, Nadia Kailouli und Aimen Abdulaziz-Said: „Wie ihr wisst, zieht das ARD-MIMA 2024 nach Leipzig." Sie würden ab nächstem Jahr nicht mehr moderieren. Die MDR-Chefredakteurin habe ihnen in einer internen Konferenz verkündet, die künftige Moderation solle einen ostdeutschen Hintergrund haben. Die MDR-Chefredakteurin dementierte, das je gesagt zu haben, mehrere Teilnehmer der Konferenz sagen jedoch etwas anderes. Der größte Witz dabei: Die MDR-Chefredakteurin hat selbst einen sogenannten westdeutschen Hintergrund.
Wieder so eine IdentitätsgeschichteJa, wieder einmal so eine Identitätsgeschichte. Man hat eigentlich keine Lust, schon wieder darüber zu reden. Ein typisches Sommerlochthema. Man langweilt sich schon, während man die Schlagworte wiederholt: Identität, Diversität, Repräsentation, Betroffenheit, Bindestrich-Hintergrund. Alles soll vielfältiger werden. Man hört von Medienhäusern und Kultureinrichtungen, die fleißig Diversity-Schulungen absolvieren, um „verschiedene Perspektiven zu berücksichtigen" und Menschen einzustellen, die nicht Andreas Müller oder Carolin Hausmann-Fries heißen. Nur leider gibt's für die dann kaum ordentliche Verträge (alle frei und auf Honorarbasis) und fürs Praktikum gerade mal so viel Kohle, dass es knapp für die vegane Currywurst in der Kantine reicht.
Aber diese Diversity-Geschichten hört man nicht nur, wenn es um Personalentscheidungen, die Deutsche-Bahn-Werbung oder den Cast von Germany's Next Topmodel geht. Geistert man als freie Autorin mit sogenanntem Migrationshintergrund durch die Republik, kommt einem allerlei Merkwürdiges unter. Mal heißt es: „Sorry, wir haben jetzt doch schon eine Autorin mit Migrationshintergrund auf dem Podium, wir brauchen keine zweite." Mal erzählt einem ein Kollege, er habe es so viel schwerer als man selbst, schließlich sei er ein weißer heterosexueller Mann und gehöre auch sonst keiner Minderheit an.
Man überlegt kurz, ob man sich bei ihm dafür entschuldigen oder gleich einen Streit anfangen soll - und entscheidet sich dafür, sich eine Zigarette anzuzünden, obwohl es zum Rauchen eigentlich zu heiß ist. Dann sitzt man mit anderen Kollegen mit sogenanntem Migrations- oder Minderheits-Hintergrund (Bindestrich-Bäh) auf einem Podium. Alle haben in großen Publikumsverlagen publiziert, sind mit Preisen dekoriert und sprechen trotzdem darüber, wie marginalisiert sie seien. Underground, Gegenkultur und so. In einer Rezension liest man über den eigenen Text irgendwas von „orientalischem Märchen", wird bei Lesungen dazu befragt, wie es so ist, zwischen den Kulturen zerrissen zu sein.
Fleißsternchen sammelnNatürlich weiß man darauf keine Antwort, sagt aber trotzdem was. Hinterm Rücken raunt es, man habe diesen Preis ja nur bekommen wegen des sogenannten Bindestrich-Bäh-Hintergrunds; wird darauf hingewiesen, sich angesichts der eigenen Themen (Genozid und Krieg) freuen zu können, so gefragt zu sein. Dieser Zynismus macht einen sprachlos. Kurz überlegt man, ob nun hier mal ein paar Fausthiebe angebracht wären. Aber die letzte Prügelei liegt lange zurück in der Teenagerzeit, und selbst die war nicht gerade erfolgreich.
Also lieber nicht prügeln. Es ist ja auch nicht alles schlecht. Angesichts der um sich greifenden Betroffenheits- und Sprecherpositions-Diskussionen - wer darf über was sprechen? - kann man zumindest manchmal etwas sagen. Zu Islamismus zum Beispiel, da hört man ja von anderen Dinge wie (O-Ton eines Journalisten-Kollegen): „Ich würde ja auch gerne was dazu machen, aber als weißer Mann wirft man mir sofort Rassismus vor." Lieber Markus, mach dir keine Sorgen, auch Leuten wie mir wirft man Rassismus vor, wenn wir über Islamismus sprechen. Und noch dazu Tokenism - auch so ein schönes Wort -, was so viel heißt wie: Man sage bestimmte Dinge nur, um Fleißsternchen bei der weißen Mehrheitsgesellschaft (ohne Bindestrich, aber trotzdem Bäh) zu sammeln. Allgemein ist man ziemlich ratlos und merkt, wie sich dieses Sprecher-Positionen-Betroffenheitsding gegen und für einen dreht und wendet, je nachdem, wie der Wind gerade geht.
Und manchmal geht gar keiner. Manchmal möchte man sagen, dass man die Dinge nicht so sehr vermischen sollte. Dass man, wenn es um Literatur geht, nicht so sehr von Repräsentation reden sollte, als würde es gerade um die Wahl des Vorstands der Grünen Jugend Castrop-Rauxel gehen. Dass man überhaupt lieber über Literatur reden sollte. Dass der Autor doch vor ein paar Jahrzehnten mal für tot erklärt wurde. Dass man sich damals wahrscheinlich geirrt hat, dass man trotzdem hin und wieder so tun könnte, als ob - selbst wenn er „Ich" sagt. Meist fällt einem aber auch nichts mehr dazu ein. Vielleicht ist es einfach zu heiß.