Es ist die eine Frage, die Khaled Khalifa immer wieder gestellt wird: „Warum sind Sie noch in Syrien?" Schließlich ist er der einzige unter den bekannten (und guten) syrischen Autoren, der das Land noch nicht verlassen hat. Und jedes Mal beantwortet Khalifa die Frage anders. Auf seiner Lesung auf dem Internationalen Literaturfestival Berlin im September, wo er seinen jüngsten Roman „Keiner betete an ihren Gräbern" (Rowohlt), vorstellte, beantwortete er sie so: „Ich bin ein fauler Mensch, und Migration ist ziemlich anstrengend." Außerdem wäre er in Syrien geboren, hätte sein ganzes Leben dort verbracht. Er könne nicht woanders leben. Leben, sagte Khalifa, heiße ja nicht nur existieren, „es geht auch um die Frage, wo stirbt man?" In Syrien seien viele Gräber, auch das Grab seiner Mutter. „Ich möchte in Syrien sterben und neben meiner Mutter begraben werden", sagte Khaled Khalifa,
Als ich ihn im Café des Literaturhauses Berlin treffe und auch ich ihn frage, „Warum kehren Sie immer wieder nach Syrien zurück?", antwortet er als Schriftsteller. Der Schriftsteller, sagt er, müsse bei den Menschen sein, über die er schreibt. Er müsse seine Sprache als Umgebung haben, und die sei bei ihm nun mal Arabisch. Eine andere habe er nicht. „Manchmal denke ich, wie froh ich doch bin, diese wunderbare Sprache zu haben." Sicherlich, in Ländern wie Deutschland sei Arabisch nicht besonders beliebt, es werde vor allem als die Sprache von Orten des Krieges und Terrors betrachtet. „Doch für mich hat sie eine andere Bedeutung. Ich kenne noch immer nicht all ihre Geheimnisse."
Der Geheimdienst vor der TürKhaled Khalifa ist ein leidenschaftlicher Schriftsteller. Und es ist ein großes Glück, dass mittlerweile drei seiner Werke im Rowohlt Verlag auf Deutsch vorliegen, übersetzt von Hartmut Fändrich und Larissa Bender. Er wurde 1964 in Aleppo geboren und wuchs mit 13 Geschwistern in einer Familie auf, die aus einem arabischen Dorf in der für ihre Olivenbäume berühmten Region Afrîn stammt. Auch in Khalifas Familie gibt es seit Generationen Olivenbauern. Sobald die Oliven reif sind, heuern Nomaden für die Erntesaison bei den Bauern an - Khalifa kennt das seit Kindertagen, ebenso den Prozess der Ölherstellung. Er hat einen Roman darüber verfasst (er liegt noch nicht auf Deutsch vor).
In seiner Familie glaubte man an den Kommunismus, erzählt er. Wie damals weltweit unter Parteigenossen üblich, sah auch seine Familie in Maxim Gorkis „Die Mutter" große Literatur. Khalifa sorgte als Jugendlicher für einen Eklat, als er offen zugab, dass ihm das Buch nicht gefällt. Mit 14 Jahren veröffentlichte er seine ersten Gedichte, später schrieb er sich an der Universität Aleppo im Fach Jura ein. Seiner Familie eröffnete er, lieber Schriftsteller werden zu wollen. Es war der Auftakt eines sechs Jahre währenden innerfamiliären Kampfes. Für seine Eltern bedeutete Schriftstellerei vor allem: Man hat kein Geld, dafür aber Probleme mit dem Regime. Und letzteres hatte sie wegen zwei ihrer Söhne schon genug: Der eine war damals im Gefängnis, der andere wurde vom Geheimdienst gesucht, dessen Schergen Tag und Nacht bei der Familie auftauchten. Khaled Khalifa jedoch ließ von seinem Wunsch nicht ab.
Seinen ersten Roman schriebt er als Student, verbrannte ihn allerdings, als er fertig war: Er habe den Eindruck gehabt, das Werk sei der Roman eines anderen, die Sprache nicht die seine, sagt er in Berlin. Anstatt sich, wie seine Familie es sich wünscht, einen gut bezahlen Anwaltsjob zu suchen, verfasste er einen weiteren Roman. Acht Stunden täglich, immer noch im Streit mit seiner Familie. Nebenbei begann er, Drehbücher fürs Fernsehen zu schreiben. Als er das erste verkaufte, war zumindest die Frage des Geldes vom Tisch. Und dann: Einstieg in die glamouröse Filmwelt, Ruhm, noch mehr Geld. Und im Dorf seiner Familie galt der Beruf des Autors plötzlich als erstrebenswert. „Drehbuchautor, wohlgemerkt", sagt Khalifa und lacht, „nicht Romanautor".