Der Rektor der Universität Zürich führt den Umbau der Studienarchitektur entschieden weiter. Bis 2020 dürfte sich an der grössten Universität des Landes einiges verändern.
Michael Hengartner, Kritiker des Bologna-Prozesses monieren, das Modell sei zwar eingeführt, doch lebten wir noch immer im alten System.
In vielen Fächern wird das in der Tat so gemacht. An der Universität Zürich etwa in der Medizin: Nach drei Jahren bekommt man zwar einen Bachelor. Aber abgeschlossen ist gar nichts. Auch in anderen Studiengängen wurde einfach alter Wein in neue Schläuche abgefüllt. Die Idee von Bologna sollte aber sein, dass die Bachelorstufe ein breit angelegtes Studium darstellt. Sie sollten im Bachelor nicht Mittellatein oder die Geschichte Südostasiens studieren. Sie sollten Latein oder Geschichte studieren.
Also eine eigenständige Bachelorstufe, darauf aufbauend ein vertiefender Master. Warum kommen wir da nicht voran?
Grundsätzlich kann man das durchaus umsetzen. Nehmen wir zum Beispiel die Biologie an der Universität Zürich, die ich gut kenne. Vor Bologna gab es ein Diplom in Anthropologie, Paläontologie, in Molekularbiologie, Ökologie und so weiter. Wir haben uns entschieden, auf Bachelorstufe keine Spezialisierungen, sondern einen einzigen Studiengang anzubieten. Darin setzen sich die Studierenden mit all diesen Themen auseinander und können so die Breite der Biologie wahrnehmen. Erst im dritten Jahr fangen sie an, sich zu spezialisieren. Auf Masterstufe schliesslich haben wir 16 verschiedene Vertiefungsstudiengänge.
Woran liegt es, dass die Neustrukturierung gerade in der Biologie geklappt hat?
Es bestand ein Konsens innerhalb der Professorenschaft, dass Biologen zunächst einen Abschluss als Biologen und eine breite Basis haben sollten, bevor sie eine Vertiefung wählen. Andere haben das auch so gemacht, etwa die Chemiker. Aber es war harte Arbeit, wir mussten das Curriculum wirklich umkrempeln.
Ist es in den Naturwissenschaften einfacher als in den Geisteswissenschaften?
Ich verstehe andere Fachkulturen zu wenig, um zu behaupten, es sei gleich einfach. Möglicherweise kommt es auch auf das spezifische Fach an, sowohl in den Natur- wie auch Geisteswissenschaften. Aber ich würde behaupten, dass auch Geschichte zunächst breit betrachtet werden kann und dann eine Spezialisierung auf Masterstufe möglich ist. Auch in den Kunstwissenschaften muss man vermutlich nicht sofort wissen, ob man sich auf Film oder Fotografie konzentrieren möchte.
Was gedenken Sie nun zu tun, um Ihre Visionen einer besseren Studienarchitektur zu verwirklichen?
Vorweg: Man kann Bologna nicht überall umsetzen; in der Medizin, die ich vorhin erwähnt habe, hat das wenig Sinn. Dort muss man Bachelor und Master anders denken, ja man muss sich sogar fragen, ob das die richtige Form für dieses Studium ist. Aber an anderen Fakultäten ist das durchaus umsetzbar. An der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät und an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät haben wir in Zürich die Studiengänge gerade neu strukturiert, an der philosophischen Fakultät müssen wir eine Diskussion in Gang setzen, um zu einem gemeinsam Verständnis davon zu gelangen, was wir erreichen wollen.
Wo stehen Sie in dieser Diskussion?
Am Anfang! Wir diskutieren grundsätzlich schon seit meinem Amtsantritt. Und so, wie wir die Strukturen jetzt denken, wird die Neugestaltung mindestens so tiefgreifende Änderungen mit sich bringen wie die Einführung von Bologna selbst. Daher müssen wir das sauber aufgleisen und sicher sein, dass wir es besser machen als jetzt. An der philosophischen Fakultät ist zum Beispiel das Verhältnis von Bachelor- und Masterprogrammen zu klären. Forschungsorientierung und Internationalisierung sind beim Masterangebot wichtige Ziele. Auf der Bachelorstufe geht es um den Erwerb breiter Kompetenzen. Es muss beispielsweise nicht jedes Fach und Institut in den Sozialwissenschaften einen eigenen Bachelor anbieten.
Wo verorten Sie Probleme?
Ich möchte das wiederum anhand der Biologie aufgreifen. Meine Kollegen aus der Paläontologie oder auch Anthropologie - ich nenne jetzt einfach zwei Beispiele - hatten durchaus Bedenken: plötzlich hat man nur noch ein einziges Biologiestudium. Was bedeutet das? Will man die Paläontologie, die Anthropologie nicht mehr? Ist das ein erster Schritt zur Abschaffung dieser Bereiche? Wie ist es um deren Sichtbarkeit bestellt? Man muss als Erstes die Menschen davon überzeugen, dass man nicht von der Bildfläche verschwunden ist, nur weil man einen gemeinsamen Bachelor ausrichtet. Im Gegenteil: Man trägt vielmehr ein interessanteres Angebot mit, in das mehr Studierende involviert sind.
Geht es also um Besitzstandsängste?
Ich würde das nicht so nennen. Wir wollen alle einen wichtigen Beitrag leisten, nützlich und sichtbar sein. Das gilt genauso in der Geisteswissenschaft. Wir reden auch immer von Orchideenfächern. Doch genau diese Breite ist eine Stärke der Universität Zürich, die wir beibehalten möchten. Zuweilen besteht die Angst, die eigene Identität verschwinde, wenn man gemeinsam etwas macht. Aber mit einem eigenen Master kann man diesen Befürchtungen ja begegnen.
Würde man beispielsweise einen disziplinenübergreifenden Bachelor für Germanisten, Romanisten und Historiker anbieten, wäre das schon ein radikaler Bruch mit der jetzigen Kultur.
Nicht unbedingt radikal und auch nicht zwingend sinnvoll. Wir sind daran interessiert, dass Studierende Wissen verknüpfen. Fächerübergreifende Breite fördern wir bereits jetzt mit dem Modell Hauptfach/Nebenfach. Oder mittels Crosslisting: Da erlaubt eine Studienordnung, Angebote anderer Fachbereiche zu nutzen. Weil es sinnvoll scheint. Dennoch wollen und sollen die Fächer eigenständig und sichtbar bleiben.
Wie sollen denn die Curricula in Zukunft aussehen?
Modularität ist gut. Aber vielleicht haben wir es übertrieben. In dem Sinne, dass die Module zu kleinteilig sind und wir dadurch zu viel prüfen. Es gibt noch Kollegen an dieser Universität, deren erste Prüfung die Dissertationsprüfung war. Das ist ein wenig radikal und heute schwer vorstellbar. Aber die Universität hat auch so gute Juristen ausgebildet. Man muss nicht acht Prüfungen pro Semester durchführen, um gute Akademiker zu erhalten. Die Frage ist also: Wie können wir mit Prüfungen sicherstellen, dass die Studierenden den Stoff gelernt haben, logisch denken, analysieren können, ohne dass wir ein Mikromanagement durchführen?
Sehen Sie einen zeitlichen Horizont?
Das Projekt an der philosophischen Fakultät heisst "Bologna 2020". Als optimistischer und auch ungeduldiger Mensch hoffe ich, dass wir früher fertig sind. Ich will aber lieber etwas langsamer vorankommen und alle an Bord haben, als alleine an der Ziellinie zu stehen.
Interview: Ronald Schenkel, Anna Chudozilov
Rétablir l'original