Er ist so etwas wie der Totti von der Schwäbischen Alb. Seit neun Jahren spielt Marc Schnatterer schon in Heidenheim, am Wochenende erzielte er sein 100. Tor für den kleinen Verein. Dabei ist er eigentlich zu gut für die zweite Liga.
Marc Schnatterer, wer ist der am meisten unterschätzte Spieler der zweiten Liga?
Puh, das ist schwierig. Ich beschäftige mich zwar genau mit meinen Gegenspielern, aber darauf kann ich keine Antwort geben.
Sie wissen doch, worauf die Frage abzielt.
(Lacht.) Schon möglich.
Seit Jahren sagen die Experten: Der Schnatterer müsste eigentlich längst in der Bundesliga spielen, der ist viel zu gut für die zweite Liga.
Aber vielleicht bin ich ja auch einfach ein Spielertyp für die zweite Liga? Ich bin jemand, der marschiert und kämpft, der aber auch technisch ein bisschen was drauf hat. Ich kann eine Mannschaft mitziehen und mitreißen. Das alles spiegelt die zweite Liga ziemlich gut wider. Vielleicht komme ich in dieser Liga deswegen ganz gut zurecht.
Man liest immer mal wieder, Sie hätten konkrete Angebote von Erstligisten gehabt. Stimmt das?
Es gab zwar mehr oder weniger lose Anfragen vor einigen Jahren, aber nichts wirklich Konkretes. Hätte sich die Chance geboten, direkt in die erste Liga zu wechseln, dann hätte ich mir das gut überlegt. Ich war damals ja schon nicht mehr der Allerjüngste, fußballtechnisch gesehen. Da hätte ich die Gelegenheit vielleicht einfach am Schopfe gepackt und probiert, ob es funktioniert. Aber es war nie so weit, dass mir jemand ein Papier vorlegte und sagte: Jetzt kannst du entscheiden, ob du dabei bist oder nicht. Aber es gab in den vielen Jahren, die Sie jetzt in Heidenheim sind, schon ernste Angebote von anderen Klubs? Als wir 2013 den Aufstieg in die zweite Liga verpassten, gab es konkrete Anfragen von Zweitligisten. Aber der Verein hat mir aufgezeigt, dass er nächstes Jahr wieder angreifen wollte. Ich fand die Vorstellung einfach schöner, mit Heidenheim den Aufstieg in eine Liga zu schaffen, als durch einen Wechsel direkt in diese Liga zu springen.
Sie haben sich selbst mal als "Wohlfühlfußballer" bezeichnet. Sind Sie vielleicht einfach ein Angsthase?
Gar nicht. Wohlfühlfußballer heißt: Wenn das Drumherum passt, kann ich meine beste Leistung bringen und der Mannschaft helfen. Nehmen wir mal an, ich hätte tatsächlich mehrere Angebote aus der Bundesliga gehabt. Dann hätte ich sicher nicht einfach nur eines davon angenommen, um in der ersten Liga zu spielen. Ich hätte schon geschaut, welcher Verein mit welcher Struktur am besten zu mir passt.
Welche Vereine aus der ersten Liga würden denn zu Ihnen passen?
Vermutlich ein Klub wie Freiburg. Vielleicht auch Augsburg oder Mainz. Da ist natürlich alles etwas größer als in Heidenheim, aber es gibt auch Parallelen. Das sind Mannschaften, bei denen das Menschliche und Familiäre nicht zu kurz kommt. Ich glaube, dieses Gefühl ist wichtig, um auch mal Teams zu schlagen, die auf dem Papier vielleicht besser sind, denen aber diese Werte ein bisschen verloren gegangen sind. Ich bin halt so ein Typ, der sich reinhaut und manchmal auch sehr emotional sein kann, der aber im Endeffekt alles nur für den Erfolg der Mannschaft macht. Das versuche ich jetzt seit neun Jahren in Heidenheim, und bisher klappt es ganz gut.
Am Wochenende erzielten Sie ihr 100. Tor für Heidenheim. Dass sie diese Marke schaffen würden, hätten Sie 2008 wohl selbst nicht erwartet, als Sie von der Reserve des KSC innerhalb der Regionalliga nach Heidenheim gewechselt sind.
Ich hatte sportlich nicht die beste Zeit beim KSC. Ich habe versucht, mich durchzubeißen, aber ich saß meistens auf der Bank. Und wenn du nicht regelmäßig spielst, dann kannst du dir nicht gerade aussuchen, wohin du gehen willst. Da bist du darauf angewiesen, welche Mannschaften auf dich zukommen. Heidenheim hatte schon länger Interesse an mir. Und der Verein hatte die Vision, einen Schritt nach vorne zu machen.
Sie sollen aber mit einem Studium geliebäugelt haben.
Die Regionalliga war damals so ein Mittelding zwischen dem Amateurfußball der Oberliga und dem Profifußball in der Dritten Liga. Ich habe mich gefragt, ob es nicht sinnvoller wäre, einfach ein bisschen Fußball zu spielen und gleichzeitig ein richtiges Studium zu machen. Damals habe ich mich auch an zwei Fachhochschulen beworben. Aber schließlich entschied ich mich dazu, die Sache mit dem Fußball komplett durchzuziehen. Es war ja im Endeffekt auch der richtige Weg. Aber seitdem ich hier bin, mache ich nebenbei ein Fernstudium.
Was studieren Sie denn?
Sportmanagement. Bis zum Ende meiner Karriere will ich Sportfachwirt sein.
Nehmen wir an, Sie wären Manager. Wie würden Sie einem jungen Spieler Heidenheim schmackhaft machen?
Ich würde ihm die Entwicklung aufzeigen. Wir haben uns stetig entwickelt, sportlich, aber auch infrastrukturell. Wir sind ein Kollektiv. Hier gibt es keine Stars. Wir kommen über das Malochen. Heidenheim ist eine Industriestadt, da hauen sich die Leute von morgens bis abends rein. Deshalb wollen auch wir schuften. Da muss keiner meinen, es im Training locker angehen lassen zu können. Wir haben eine Verantwortung den Menschen gegenüber. Es geht darum die Stadt zu repräsentieren. Wenn die Menschen darauf angesprochen werden, woher sie kommen, dann ist Heidenheim mittlerweile ein Begriff.
Würden Sie Spieler auch mit einer Aufstiegsprämie locken?
Ich sehe ja jedes Jahr, wie eng es in der Liga ist. Welche Mannschaften auf einmal unten mitspielen, wo jeder sagt, die hätten wir viel weiter oben erwartet. Ich sehe es so: Wenn ich dauerhaft zweite Liga spiele, dann ist das schon eine Riesensache.
Aber die Bundesliga hat ihren Reiz.
Auf jeden Fall! Unsere letzte Hinrunde war super. Da schnupperst du an den Aufstiegsplätzen und kriegst auf einmal Lust auf mehr. Aber dann kam die Rückrunde und es ging ganz schnell in eine andere Richtung.
Gibt es ein Stadion, in dem Sie gerne mal spielen möchten?
Wir durften ja in der zweiten Liga schon München kennenlernen und vergangenes Jahr auch Stuttgart. Das war für mich persönlich eine super Geschichte, weil ich ja aus der Region komme. Das war schon richtig geil: 54 000 Zuschauer waren da, 5000 aus Heidenheim!
Das dürfte Ihre bisher größte Kulisse gewesen sein.
Die größte ever. Mit Abstand. Und dann haben wir das Spiel noch gewonnen! Ich habe danach viele Komplimente bekommen. Aus meinem Umfeld, aber auch von Leuten, die beim VfB arbeiten. Ich habe mich unglaublich gefreut, weil es für mich immer ein Traum war, mal in diesem Stadion zu spielen. Was noch interessant wäre, ist Köln. Weil ich einfach das Lied so gut finde, die Torhymne. Man kennt das ja von Après-Ski-Partys und Schlagerfesten. Unabhängig davon herrscht dort auf jeden Fall ein richtig gutes eigenes Flair. Ansonsten wäre Dortmund toll, mit der Gelben Wand. Oder die Kulisse auf Schalke.
Gibt es auch Stadien, die Sie aus Ihrer Regionalligazeit vermissen?
Waldhof Mannheim hat so ein Stadion. Als wir dorthin fuhren, war ich nervös und sehr angespannt. Aber ich habe mich auch total gefreut, weil ich wusste, dass wir jetzt zu einer Mannschaft fahren, die viel Tradition und viele Zuschauer hat. Es ist sehr schade, dass sie den Aufstieg wieder nicht geschafft haben. Mit den Fans und dem Stadion gehören sie mindestens in die Dritte Liga.
Hier in Heidenheim ist zwar alles noch beschaulich, aber mittlerweile auch sehr modern geworden. Was vermissen Sie aus Ihrer Anfangszeit?
An meinem zweiten Tag habe ich den Laktattest im Stadion gemacht. Damals gab es noch eine Tartanbahn. Wo heute die Stehplätze sind, war nur ein grüner Hügel. Das Stadion wurde für Leichtathletik und Schulsport genutzt. Alles war etwas rustikaler, aber auch das hatte was.
Früher konnten Sie mit den Fans ein Bier in der Kneipe trinken. Ist das heute noch möglich?
Ich kenne viele von denen, die auf der Tribüne stehen und uns jedes Wochenende anfeuern. Wenn wir in Heidenheim ausgehen und die Jungs da sind, dann stoßen wir gerne auf einen Sieg an. Die Stadt ist nicht groß. Da ist es ganz normal, dass wir auch Leute treffen.
Das klingt ganz genau so familiär, wie man sich Heidenheim vorstellt.
Wir haben eben kurze Wege hier. Wenn ich mich mit meinen Mannschaftskollegen ganz spontan zum Essen verabrede, dann sind fünf Minuten später alle Mann vor Ort.
Sie kochen angeblich auch regelmäßig für die Mannschaft Spaghetti Bolognese.
Es ist komisch, dass diese Geschichte bei allen hängenbleibt. Ich habe das nur einmal irgendwo erwähnt. Es ist so: Für mich wurde es irgendwann zur Gewohnheit, freitags nach dem Abschlusstraining daheim zu essen. Ich koche Spaghetti, esse gemütlich und schaue dabei vielleicht noch zweite Liga. Manchmal koche ich für mich alleine, manchmal kommen auch zwei oder drei Kollegen dazu. Aber es war noch nie die ganze Mannschaft da.
Klingt aber nicht gerade nach Low-Carb.
Ich bin keiner, der ein Buch studiert und sagt: Als Sportler muss ich mich exakt so ernähren. Gesunde Ernährung ist wichtig, keine Frage, aber man sollte auf seinen Körper hören. Für mich gehört deshalb genauso dazu, dass ich mir auch mal was anderes gönne. An einem freien Tag kann ich mir mal einen Döner reinhauen, kein Problem.
Es scheint Ihnen nicht zu schaden: Sie haben seit März 2013 kein Ligaspiel verpasst.
Ich glaube, ich bin jemand, der öfters mal kleinere Blessuren hat, die aber relativ schnell wegbekommt. Und irgendwie habe ich einfach den Antrieb, dass ich zum Wochenende immer fit sein möchte. Auch wenn ich mittwochs Probleme habe und nicht trainieren kann, probiere ich alles, um am Samstag auf dem Platz zu stehen.
Ein weiterer Grund: Sie haben in mehr als 400 Spielen noch nie eine Rote Karte erhalten. Können Sie überhaupt dazwischenhauen?
Es würde einfach nicht zu mir passen, wenn ich ohne Rücksicht auf Verluste reinhaue. Wenn es drauf ankommt, mache ich auch mal ein Foul. Aber ich habe noch nie einen Gegner so weggewichst, dass ich eine Rote Karte verdient gehabt hätte.
Das hört sich alles so normal an. Gibt es denn irgendwas Verrücktes an Ihnen?
Tatsächlich bin ich eher der Typ Nachbarsjunge. Ich fahre gerne Ski, aber das habe ich die letzten drei Jahre eingestellt. Jetzt mache ich nur noch Après-Ski. (Lacht.) Vielleicht ist es das: Dass ich beim Skifahren nur noch in die Hütte gehe. Aber ich bin spontan und auch bereit, mal was Verrücktes zu machen.