Es ist bezeichnend für die Karriere und auch die Persönlichkeit von Xabi Alonso, dass sein Abschied von der Fußballbühne leise war. Umso lauter verneigen wir uns vor einem der größten Mittelfeldstrategen aller Zeiten.
Am 25. Mai 2005 offenbarte sich der Charakter des damals noch jungen und mit weniger Bartwuchs gesegneten Xabi Alonsos. Der 23-Jährige spielte das Champions-League-Finale im Istanbuler Olympiastadion gegen den AC Mailand und übernahm sofort Verantwortung. Es war seine erste Saison für den FC Liverpool. Das erste große Endspiel.
Es hätte gar nicht schlimmer laufen können. Der AC Mailand führte zur Halbzeit mit 3:0. Doch dann kämpfte sich Liverpool innerhalb von sagenumwobenen sechs Minuten zurück. Beim Stand von 3:2 ging Steven Gerrard im Strafraum zu Boden. Ein Pfiff ertönte: Elfmeter. Doch den Ball schnappte sich kein langjähriger Platzhirsch, sondern Xabi Alonso. Der im Nachschuss verwandelte.
Alonso war die SonneOb bei Real Sociedad, dem FC Liverpool, Real Madrid oder schließlich bei den Bayern: Überall gab es Mitspieler, die mehr herausstachen als Alonso. Aber Alonso, das war die Sonne. Seine Mitspieler die Erde, die in seinem Licht um ihn kreiste.
Es war stets Alonso, der sie in Szene setzte und ihnen den Rücken frei hielt. Ob Steven Gerrard bei Liverpool, Luca Modric bei Real Madrid, Iniesta in der spanischen Nationalmannschaft oder Thiago bei den Bayern. Sie alle wussten, dass jemand an ihrer Seite steht, den sie immer - wirklich immer - anspielen können. Kein anderer Spieler beherrschte es so gut wie Alonso, im richtigen Moment an der richtigen Stelle zu stehen, den Ball entgegen zu nehmen und anschließend weiter zu leiten. Alonso war das Scharnier zwischen Abwehr und Sturm. Das Herzstück seiner Teams.
Alonso düpierte mit seinen Querpässen und diagonalen Flanken regelmäßig Mittelfeld und Abwehr des Gegners. Stets in dieser unnachahmlichen Alonso-Manier: Das linke Standbein durchgestreckt und etwas schräg neben dem Ball, gefolgt von diesem so gefühlvollen rechten Schwenker, dass man Angst hatte, neben dem Ball würde gleich auch sein Herz über den Platz fliegen.
Er schoss deutlich weniger Tore als er anderen auflegte, aber wenn Alonso traf, dann knallte es richtig. Selten erzielte er einen Treffer aus dem Strafraum heraus. Aber 20 bis 30 Meter vor dem Tor wurde es brandgefährlich. Das war sein Revier. Etwas zu viel Platz oder ein Abpraller, der vor seinen Füßen landete: Schon zappelte der Ball im Netz.
Ein Blick auf seine Statur und auch die Position im zentralen, defensiven Mittelfeld lässt anderes erahnen, aber in seinen fast 700 Vereinsspielen sah Xabi Alonso kein einziges Mal glatt Rot. Taktische Fouls: gelegentlich nötig. Die Absicht den Gegner zu verletzen: nie. Vielmehr war es oftmals er selbst, der einstecken musste. Unvergessen bleibt der Tritt vom Niederländer Nigel de Jong gegen Alonsos Brustkorb im Endspiel der Weltmeisterschaft 2010, den er wegsteckte und nach dem er tatsächlich weiterspielte. Viele Gegner versuchten ihn zu provozieren, stichelten, rempelten ihn an, aber Alonso ließ sich nie zu einer Dummheit hinreißen. Eher hätte er auch noch die andere Wange hingehalten.
Auch neben dem Platz zeigte Xabi Alonso stets Klasse. Er sah einfach immer unglaublich gut aus. Vermutlich hätte er auch morgens beim Weg zum Bäcker noch schnell auf einem Laufsteg in Mailand vorbeischlendern können. Und während andere Spieler neben dem Fußballplatz nur die heimische Couch mitsamt Konsole kennen, ging Alonso lieber in eine Kunstausstellung oder auf ein Konzert.
Seine Vereine waren für ihn stets mehr als lediglich ein Arbeitsgeber. Selbst beim FC Bayern München klebte noch ein kleiner gelber Sticker in Alonsos Spind, mit der Aufschrift »Justice for the 96«. Eine Erinnerung an die Liverpool Fans, die bei der Hillsborough-Katastrophe von 1989 starben.
Einer, der den Fußball liebt
Bei der Bekanntgabe des Endes seiner Karriere schrieb Alonso auf seinen Kanälen: »Lived it. Loved it. Farewell beautiful game«. In einer Zeit, in der Social-Media-Kanäle der Fußballstars von professionellen Agenturen betrieben und mit hohlen Phrasen geradezu überschwemmt werden, gibt es kaum einen Fußballer, dem man dieses Statement tatsächlich noch abnehmen würde. Aber bei Alonso wissen wir, dass er jeden Satz genau so meinte.
Sicher hätte er noch etwas Geld in den USA oder China verdienen können, aber das hätte nicht zu ihm gepasst. Sportlich hat er alles erreicht. Er wurde 2010 Weltmeister mit Spanien. 2008 und 2012 Europameister. Er prägte und dominierte mit dieser goldenen spanischen Generation jahrelang den Weltfußball und definierte mit ihr ein neues Verständnis von Ballbesitzfußball. Mit Liverpool und Real Madrid gewann er die Champions League. In England, Spanien und Deutschland gewann er die Meisterschaft und/oder den Pokal.
Mit Alonso geht ein Spieler, der sich bis zuletzt wenig aus bunten Fußballschuhen, Selfies oder Snapchat-Storys machte. Ein Spieler, der den Fußball tatsächlich lebte und liebte. Und der hoffentlich irgendwann als Trainer zurückkehrt. Um seinen Schützlingen beizubringen, was den Fußball eigentlich ausmacht.