Eine Interviewanfrage an den Autor und die Idee für sein Buch war geboren. Denn als er keine Antworten findet, programmiert er eine Clemens-Setz-Bot – wichtigste Datenquelle: sein Tagebuch.
Der österreichische Schriftsteller Clemens J. Setz experimentiert in seinem Interviewband Bot damit, wie intellektuelle Unterhaltungen heute ohne menschliches Gegenüber stattfinden können und präsentiert eine Forschung an den künstlerischen Grenzen der künstlichen Intelligenz.
Smalltalk oder Poesie?
Die kurzen, fragmentarischen Passagen, aus denen das Buch besteht, verfallen nicht in seichte Tagebuch-Schwärmereien. Der Autor wirft einen wachen und ironischen Blick auf die Welt, wenn er das Baugerüst an den Türmen des Kölner Doms als dessen Headset beschreibt. Durch seine fantasievollen Erklärungsversuche enthüllt er einmal mehr die Absurdität seiner Umwelt. Der Suhrkamp Verlag hätte Setz‘ Notizen ohne Probleme als das Reisetagebuch eines charmanten Weltraumtouristen verkaufen können, der zufällig in Graz oder Berlin gestrandet ist. Wie ein literarischer Ethnologe analysiert er die Szenen und Nebenschauplätze des Alltags. Die Genauigkeit der Beschreibungen und die Suche nach Kausalitäten erinnern an Walter Benjamins Kindheitserinnerungen um 1900. Wenn Setz zum Beispiel im Vorbeigehen an einer Kurbel dreht, wird diese für ihn zum Überbleibsel eines Projektors, der längst vergessene Schwarz-Weiß-Filme zeigt.Wer spricht da eigentlich?
Von der 3Sat-Kulturzeit bis zu den Feuilletons loben die Kritiker die innovative Methode. Tatsächlich ist Setz ein herausragendes Stück Literatur gelungen. Vielleicht ein so erstaunliches, dass es die Vermarktung über den Dauerbrenner-Diskurs „Können Computer Kunst?“ nicht nötig hat. Die Texte stammen ja ganz klassisch vom Autor selbst, sozusagen von der Alpha-Offline-Version.Die künstlerische Arbeit des Bots ist also schlichtweg das Kombinieren der Fragen mit Auszügen aus den Journalen des Autors. Wie ein leicht schielender Blick streifen Frage und Antwort einander nur sanft oder gehen gleich ganz aneinander vorbei. Erinnert diese „innovative Methode“ nicht verdächtig an die Cut-up-Technik der Beat-Generation? Sie schnitten in den 1960er und 1970er Jahren eigene und fremde Texte auseinander, arrangierten sie neu und produzierten so ganz ähnliche Brüche, Neuverbindungen und Irritationsmomente. Auch Max Frisch, James Joyce und David Bowie provozierten den Zufall schon mit ganz ähnlichen Verfahren. Vielleicht ist die Bot-Literatur vor dem Hintergrund der Beat-Literatur also doch nur halb so innovativ wie gedacht.
Verstehen und Nichtverstehen im digitalen Zeitalter
Wozu dient dem sonst so ideenreichen Autor die Aktualisierung der Cut-up-Technik? In einem Interview zu seinem Buch Die Stunde zwischen Frau und Gitarre (2015) weist Setz darauf hin, dass in E-Mails und Chats ständig Sätze kombiniert werden, die einzeln betrachtet Sinn ergeben. Aneinandergereiht verfehlen und verpassen sie einander jedoch ständig. „Non sequitur“ nennt er diese Phrasen, die inhaltlich nicht aufeinander folgen, aber dennoch hintereinanderstehen. Sie entwickeln sich vom Nischenphänomen beim Flüstern in vertrauten Momenten zur Regel in der digitalen Kommunikation. Setz nutzt also keine vollkommen neue Methode, zeigt mit ihr aber auf ästhetische Weise einen hochaktuellen, linguistischen Konflikt.Dieses Buch ist unverwechselbar und erfrischend. Clemens Setz‘ Methode ist vielleicht weniger innovativ als gedacht, sie verhandelt aber ohne Weltuntergangsstimmung oder theoretische Umschweife die neuen Formate und Konventionen des Gesprächs.