In der Nacht vor dem Heiligen Abend wird ein namenloser Junge im Krankenhaus Waldfriede abgegeben. Seine Mutter hat ihn wenige Stunden zuvor allein im Badezimmer ihrer Wohnung zur Welt gebracht. Sein Vater hat nicht einmal gewusst, dass seine Frau schwanger ist.
Die Nacht des 23. Dezember 2002 ist kalt und sternenklar. Peter friert in seiner viel zu dünnen Jacke. Er hat einfach die erstbeste gegriffen, die am Haken im Flur seiner Wohnung hing. Jetzt bibbert der 20-Jährige geradezu. Seine Zähne schlagen aufeinander, die Beine scheinen kurz davor, ihm den Dienst zu versagen. Doch es ist nicht die Kälte, die ihn derart mitnimmt. Es ist das winzige Bündel in seinen Armen, das möglichst schnell ins Warme muss. Das Bündel, ein großes Handtuch, in das ein nackter Säugling eingewickelt ist - sein Sohn.
Er darf jetzt nicht stolpern, nicht so sehr zittern, dass er womöglich die Beherrschung verliert. Er muss sich konzentrieren. Seine Frau ist einfach im Auto sitzen geblieben. Ohne ein Wort zu sagen. Stumm hat sie ihm angedeutet, dass er allein den Weg zur Babyklappe finden und das Neugeborene hineinlegen soll. Ganz weiß war seine Frau im Gesicht. Und so starr. So hilflos, wie er sie noch nie erlebt hatte.
Peter hat sich erst mal nach allen Seiten umgesehen und erleichtert festgestellt, dass die Argentinische Allee vor dem Zehlendorfer Krankenhaus Waldfriede offenbar menschenleer ist. Etwa 30 Meter sind es bis zum Eingang des Krankenhauses. Er sieht ein grünes Schild mit der Aufschrift "Babyklappe". Ein Pfeil zeigt ihm an, wie er weiterlaufen soll. Ganz kurz kommt Panik in ihm hoch. Er hat Angst. Angst davor, dass er jemanden treffen könnte. Davor, dass das Kind zu weinen anfängt. Und auch, dass er plötzlich keine Kraft mehr hat. Sein Herz schlägt schnell - und so laut. Jeder, der jetzt an ihm vorbei ginge, würde es hören, denkt er. Sonst ist es absolut still in dieser Nacht vor Weihnachten. Nur das trockene Laub der Buchenhecke, die sich um einen Teil des Krankenhausgeländes zieht, raschelt leise. Und die Wipfel der Kiefern, von denen mehrere auf dem Gelände stehen, rauschen. Peter hat dafür kein Ohr.
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