Archaeen sind echte Klimakiller: Die Mikroorganismen produzieren das hochwirksame Treibhausgas Methan. Nun sollen sie den Ausbau der erneuerbaren Energien voranbringen.
Rinder und Kühe werden die meisten Klimaschützer nicht gerade zu ihren Lieblingstieren zählen. Schliesslich produzieren diese beim Verdauen ihres Futters grosse Mengen des hochwirksamen Treibhausgases Methan. Schuld daran ist eine Untergruppe der Archaeen - Einzeller, die sich im Magen von Wiederkäuern besonders wohl fühlen. Die Mikroorganismen, die sich vor mehr als drei Milliarden Jahren entwickelten, setzen bei ihrem Stoffwechsel Wasserstoff und Kohlendioxid zu Methan um.
Genügsame UrbakterienNun wollen Forscher mithilfe dieses Mechanismus den Ausbau der erneuerbaren Energien voranbringen. Archaeen sollen helfen, Windräder und Solarsysteme ins Energiesystem zu integrieren, indem sie die sogenannten Power-to-Gas-Anlagen flexibler machen. Diese Anlagen dienen als Energiespeicher: Liefern Wind und Sonne mehr Strom als gerade benötigt, spalten sie per Elektrolyse Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff. Der Wasserstoff lässt sich dann in einem zweiten Prozess zu Methan, dem Hauptbestandteil von Erdgas, verarbeiten. Das Methan wird ins öffentliche Gasnetz eingespeist, um damit Häuser zu heizen, Kraftwerke zu befeuern oder Motoren anzutreiben. In der Schweiz sind derzeit acht Power-to-Gas-Anlagen installiert, in Deutschland rund dreissig. Sie haben vor allem den Zweck, Erfahrungen mit der Technologie zu sammeln.
Bis anhin erfolgt die Methanisierung auf chemischem Wege. Dabei reagiert der Wasserstoff aus der Elektrolyse unter Zufuhr von Wärme mit Kohlendioxid zu Methan und Wasser. Eine Leistung, die nach Ansicht des deutschen Startups Electrochaea - an dem unter anderem der Zürcher Versorger Energie 360° sowie die Schweizer Venture-Capital-Gesellschaften B-to-V und Caliza beteiligt sind - Archaeen viel besser erbringen können. "Die Mikroorganismen sind nicht wählerisch, was das für den Prozess notwendige Kohlendioxid betrifft", erklärt Doris Hafenbradl, Technologie-Chefin von Electrochaea. Anders als bei der chemischen Methanisierung benötigten die Archaeen kein reines Kohlendioxid, sondern kämen auch mit verunreinigten Gasmischungen zurecht, etwa aus Biogasanlagen.
Vor allem aber, so Hafenbradl, gewährleisteten die Einzeller mehr Flexibilität beim Betrieb von Power-to-Gas-Anlagen. Denn während bei der chemischen Methanisierung der Reaktor auf mehrere hundert Grad aufgeheizt und unter hohen Druck gesetzt werden müsse, komme das biologische Verfahren mit einer Temperatur von 65 Grad und Umgebungsdruck aus. Das spare nicht nur Energie, sondern ermögliche auch eine variable Fahrweise, so Hafenbradl. Ein grosser Vorteil, weil Power-to-Gas-Anlagen nicht rund um die Uhr gebraucht werden, sondern immer nur dann, wenn gerade sehr viel Wind weht oder die Sonne kräftig scheint - wenn also genug überschüssiger Ökostrom zur Verfügung steht. "Je öfter der Prozess unterbrochen wird, desto besser schneidet die biologische gegenüber der chemischen Methanisierung ab", sagt Hafenbradl. Den Einzellern macht ein solch diskontinuierlicher Betrieb nichts aus, denn sie benötigen sehr wenig Energie für ihren Stoffwechsel. "Wenn sie nicht gefüttert werden, begeben sie sich in eine Art Winterschlaf, aus dem sie aber schnell wieder erwachen können", erklärt Urs Baier, Leiter der Fachstelle Umweltbiotechnologie an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Mikroorganismen dieser Art haben sich über sehr lange Zeiträume an extreme Umgebungen angepasst. Daher sind sie äusserst robust.
Erste Anlagen sind schon in BetriebDass das Verfahren praxistauglich ist, zeigt eine Demonstrationsanlage, die Electrochaea mit Partnern aus der Industrie im vergangenen Sommer nahe Kopenhagen in Betrieb genommen hat. In Solothurn will das Unternehmen zusammen mit Forschungspartnern im Laufe dieses Jahres eine weitere Pilotanlage errichten. Auch eine Tochterfirma des deutschen Heiztechnikherstellers Viessmann arbeitet in mehreren Testanlagen an der biologischen Methanisierung. Zudem hat Electrochaea angekündigt, in Ungarn einen ersten kommerziellen Bioreaktor zu installieren.
Trotz langjähriger Forschung und ersten funktionierenden Anlagen steckt das Konzept indes immer noch in den Kinderschuhen. Das chemische Verfahren dagegen kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. "Die chemische Methanisierung wird in der chemischen Industrie schon seit Jahrzehnten angewandt. Der Prozess ist ausgereift", sagt Andreas Borgschulte von der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa). Er ist überzeugt, dass der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien Power-to-Gas-Kapazitäten im grossindustriellen Massstab erfordert. Von Experimenten rät er daher ab. "Bei dieser Aufgabe sollten wir besser auf die erprobte, verlässliche chemische Methanisierung setzen", meint der Forscher. Das biologische Verfahren hat in Borgschultes Augen seine Berechtigung eher in der Nische: "Die Bioreaktoren eignen sich vor allem für spezielle Anwendungsfälle, zum Beispiel als Ergänzung einer Biogasanlage", so Borgschulte.
Ein überflüssiger Schritt?Ob nun biologisch oder chemisch - für die Methanisierung muss in Technik investiert und Energie aufgewendet werden. Da stellt sich die Frage, ob dieser Schritt sich überhaupt lohnt. Die Betreiber bestehender Power-to-Gas-Anlagen verzichten beispielsweise oft auf diesen Schritt und speisen stattdessen Wasserstoff direkt ins Gasnetz ein. Das allerdings ist nur in sehr geringen Mengen erlaubt, da Wasserstoff die Flamm- und Explosionseigenschaften des Erdgases verändert. In der Schweiz etwa darf der Anteil von Wasserstoff im Gasnetz zwei Prozent nicht überschreiten. Werden im Zuge des Ausbaus erneuerbarer Energien mehr Power-to-Gas-Anlagen errichtet, stösst die Einspeisung von Wasserstoff also schnell an ihre Grenzen. "Ohne Methanisierung müsste man jeden Heizkessel, jedes Gaskraftwerk und jeden anderen Verbraucher an die jeweilige Wasserstoffkonzentration im Gasnetz anpassen", sagt Empa-Forscher Borgschulte. "Das wäre viel zu aufwendig und zu teuer."