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Als der Himmel brannte

Das durchstoßene Herz. So nennt sich eine Figur im Kunstflug. Der Titel eignet sich aber auch ausgezeichnet für das Schicksal von Roland Fuchs aus Waibstadt. Dessen Leben zerriss der 28. August 1988 jäh in zwei Teile: den vor der Flugschau-Katastrophe von Ramstein und den danach.


Von Ralph Bauer für WEB.DE


Mit seiner kleinen Familie - Frau Carmen und der fünfjährigen Tochter Nadine - besucht der damals 23-Jährige wie mehr als 300.000 andere Menschen den Flugtag auf der US-Airbase in Ramstein. Das Trio genießt den Vormittag, wie er sich auf Anfrage unseres Portals erinnert: "Volksfeststimmung, amerikanisches Eis, Hamburger, Pommes und als besondere Attraktion die Flugzeuge." Besonderer Höhepunkt des Tages sollte die Flugschau der italienischen Staffel "Frecce Tricolori" werden.

Als letzten Punkt der Vorführung fliegen die zehn Piloten mit ihren zehn Düsenjets die anfangs genannte Figur "Das durchstoßene Herz". Familie Fuchs ist zu diesem Zeitpunkt schon unterwegs in Richtung Parkplatz. "Wir schauten ab und zu beim Gehen hoch in den Himmel", erzählt er. Dann kommt der Augenblick, der sein Leben grundlegend von einer auf die andere Minute verändert.

Um 15.48 Uhr kollidieren drei der Flugzeuge in gut 50 Meter Höhe über den Zuschauern. "Es war ein dumpfer Schlag, nur eine Sekunde und dann Stille", fasst er seinen Eindruck von damals zusammen. "Ich sah Feuer und Trümmerteile. Aber erst, als eines der Flugzeuge direkt auf uns zuflog, begriff ich die Gefahr." Seiner Frau ruft er noch zu "Renn", doch es ist zu spät. Ein großes Trümmerteil schlägt ihr von hinten auf den Kopf. "In dem Augenblick wusste ich, dass sie tot ist", blickt er mit leiser Stimme zurück.

Es sei keine Zeit gewesen, wegzulaufen. Und so packt das Inferno Sekunden später auch ihn. Ein Trümmerteil erfasst den jungen Mann und wirft ihn meterweit nach hinten, dann kommt das Flammeninferno. Kerosin spritzt auf ihn, das sich sofort entzündet. "Ich lag brennend am Boden."

Unbeschreiblich grausam

Als es ihm gelingt, ein Trümmerteil von seinem Bein wegzuschieben und aufzustehen, erfasst er erst das Ausmaß der Katastrophe: "Es lagen viele Tote und Verletzte herum. Viele waren schwarz verkohlt, andere brannten noch. Was ich sah und hörte, war unbeschreiblich grausam."

Obwohl ihm selbst die Haut in Fetzen vom Leib hängt, sucht er seine Tochter Nadine. Sie liegt am Boden auf dem Bauch, ihre langen blonden Haare teils weggebrannt. Ihr Gesicht, ihre Hände und Arme ebenfalls verbrannt. Es gelingt ihm, mit bloßen Händen die Flammen etwas einzudämmen und er ruft verzweifelt um Hilfe. Einige Amerikaner bringen das schreiende Mädchen weg. "Das Letzte, was ich von Nadine sah, waren ihre Arme, die sie nach mir ausstreckte. Ich wurde dann wohl bewusstlos."

Roland Fuchs kam über Umwege ins Krankenhaus nach Koblenz. 60 Prozent seiner Körperfläche waren verbrannt. Zum damaligen Zeitpunkt bedeutete das eigentlich keine Überlebenschance, doch er schaffte es. Im Gegensatz zu seiner Tochter Nadine. Sie starb am 9. September in Ludwigshafen an den Folgen ihrer Verbrennungen. Am gleichen Tag wurde ihre Mutter beerdigt.

"Ich lebe jeden Tag damit"

Fuchs' Frau und seine Tochter waren zwei von 70 Todesopfern, welche das Flugschau-Unglück von Ramstein forderte. Nach diesem benannte sich später auch die deutsche Rockband Rammstein, deren erste Auftritte als "Rammstein-Flugschau" liefen. Rund 1.000 Menschen erlitten Verletzungen, viele von ihnen leiden noch heute darunter. Auch der Witwer, der 1994 wieder heiratete. Seinen Beruf als Schreiner musste er aufgeben, aus dem einstmals aktiven und sportlichen jungen Mann wurde ein zurückgezogener. Seinen Glauben, den er damals sporadisch pflegte, hat er verloren: "Für mich gib es Gott nicht. Mir hat einmal ein Arzt gesagt, dass ich mein Überleben meiner ungeheuren Kraft und meinem Willen zu verdanken habe."

Noch immer plagen ihn Kreislaufprobleme, Kopfschmerzen, Schwindel und Lungenprobleme. Oft kann er sich kaum bewegen. Für die unzähligen Operationen und Behandlungen wurde er vom Amt für Verteidigungslasten entschädigt. "Zahlen nenne ich keine. Aber es ist nicht annähernd die Summe, die es heute geben würde oder in den USA üblich ist", gibt er Auskunft.

Der 25. Jahrestag der Katastrophe, der am Mittwoch begangen wird, ist für ihn eigentlich kein besonderer: "Ich lebe jeden Tag damit." Zusammen mit rund 100 Hinterbliebenen und Opfern wird er an der Gedenkminute auf der Airbase teilnehmen und die Absturzstelle besuchen.

Pilotenfehler oder eine Verschwörung?

Was bleibt ist die Frage nach dem Warum. Niemand habe den Opfern eine offizielle Erklärung geliefert oder sich entschuldigt, sagt Fuchs. Laut dem Bericht des Bundestagsuntersuchungsschusses war ursächlich der Fehler eines der drei Piloten, welche bei dem Unglück ebenfalls ums Leben kamen. Dieser habe durch ein "riskantes Manöver" versucht, seinen zeitlichen Rückstand aufzuholen. So habe er die Flugbahn einer der beiden Formationen gekreuzt. Der Unfall sei durch den Gesamtleiter nicht vorhersehbar gewesen.

Es heißt in dem Papier aber auch: "Das Überfliegen der Zuschauerbereiche ist grundsätzlich verboten. Ausnahmen können nur vom Gesamtleiter für besonders sichere Nichtkunstflugmanöver und Überflüge, die eine Gefährdung oder Belästigung der Zuschauer ausschließen, genehmigt werden".  Diese Genehmigung lag aber in Ramstein nicht vor.

Nicht alle glauben zudem an ein Unglück. Hartnäckig halten sich Verschwörungstheorien. Demnach starben bei der Katastrophe zwei der Piloten, die im Zusammenhang stehen mit dem bis heute ungeklärten Absturz eines italienischen Passagierjets 1980 im Tyrrhenischen Meer nördlich der Insel Ustica. Dabei kamen alle 81 Passagiere ums Leben. Die Piloten hätten eine Woche nach der Flugschau vor einem italienischen Untersuchungsausschuss aussagen sollen.

Klar ist nur, dass es damals zu einem Luftkampf zwischen einigen Nato-Jägern und zwei libyschen MIGs kam. Der Passagierjet wurde von einer Luft-Luft-Rakete getroffen und stürzte ab. Gerüchten zufolge galt der Angriff aber der baugleichen Maschine des libyschen Diktators Gaddafi, der in der Region auf dem Weg zu einem Staatsbesuch in Polen flog.

Selbstvorwürfe und schmerzhafte Erinnerungen

Roland Fuchs - der seine Erlebnisse auf einer eigenen Internetseite aufgearbeitet hat - hält diese Erklärung zwar für "sehr plausibel", bis das Gegenteil bewiesen ist, doch mit Schuldzuweisungen beschäftigt er sich nicht. Viel mehr sucht er die bei sich selber. "Ich hätte so schlau sein sollen und erst gar nicht nach Ramstein fahren", sinniert er. "Und hätten wir noch ein Eis gegessen, wären wir an einem ganz anderen Ort gestanden."

Das Unglück lässt ihn auch im Alltag nicht los, ergreift immer wieder Besitz von ihm. So erinnert ihn der Duft von frischgemähtem Gras an den Moment, als er brennend mit dem Gesicht nach unten im Gras lag. Und wenn seine Kinder aus zweiter Ehe eine Packung Gummibärchen oder Chips aufreißen, beginnt sein Herz zu rasen. Weil sich dies genauso anhört wie das Öffnen der Packungen beim Verbandswechsel.

Sein erstes Leben vor Ramstein lässt ihn nicht los, auch 25 Jahre danach: "Meine Tochter wäre jetzt 30 Jahre alt geworden. Ich überlege mir oft, wie sie jetzt wohl aussehen würde." 

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