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Das allzu einfache Bild vom linken Terrorhaus

In der Liebigstraße kehrt endlich Ruhe ein - sollte man meinen. Vor gut einer Woche waren hier 1.500 Polizist:innen im Einsatz, um eines der letzten besetzten Häuser Berlins zu Räumen: die Liebig 34. Laut Polizei wurden insgesamt 57 Personen ohne physische Gegenwehr aus dem Haus geführt. Es waren Frauen und Transpersonen, die nach eigener Aussage ein anarcha-queerfeministisches Wohnprojekt und einen Schutzraum bildeten.

Nach Aussage von „Bild" war dieser Raum ein „Chaoten-Haus", der „Spiegel" schrieb mehrfach von einem „Zentrum der Gewalt" und selbst in der Ankündigung eines „Kontraste"-Beitrags im RBB war von einer „Festung" die Rede, die „von Autonomen regelrecht beherrscht" werde.

Am Mittwoch nach der Räumung liegt vor der Liebigstraße 34 ein großer Haufen Sperrmüll. Im verregneten Wind rascheln weiße Planen an Bauzäunen rund ums Gelände, die Fenster des Hauses klappen auf und zu. Aus dem Hinterhof dringen Geräusche von splitterndem Glas und dumpfen Gegenständen, die aufeinanderprallen. Das Gelände ist abgeriegelt und rund um die Uhr von Security-Leuten bewacht. Die Nachbarschaft müsste nun beruhigt sein. Laut diverser Berichte haben sie unter der Liebig 34 massiv gelitten.

Bei RBB 24 erzählten bereits im Juli Nachbar:innen, dass sie sich ständigen Bedrohungen und Angriffen ausgesetzt sähen - und das obwohl sie selbst schwul seien oder links wählten. Seit ihre Siedlung enstanden sei, häuften sich Graffiti mit drohenden Reimen. Die Glasscheiben ihrer Haustüren seien inzwischen so häufig beschädigt worden, dass die Bewohner:innen sie nicht mehr auswechseln ließen.

Die Täter:innen der Sachbeschädigungen sind unbekannt, doch der RBB eröffnet die Schilderungen mit dem Satz: „Nachbarn der Liebig 34 leiden unter Gewalt." Und in der Anmoderation des „Kontraste"-Beitrags vom Vortag der Räumung heißt es: „Sie terrorisieren Nachbarn und greifen Polizisten an. Und das jahrelang. Grauenhafte Vorstellung? Genau das passiert. Mitten in der Hauptstadt."

Auch im „Spiegel"-Artikel vom September berichtet eine Nachbarin von Bedrohungen und körperlichen Übergriffen. Und in einem sonst recht unaufgeregten Artikel der „Welt" ist die Rede von „Spuckattacken gegen Nachbar:innen". Der „Focus" berichtet aus der Bäckerei an der Kreuzung von Liebigstraße und Rigaer Straße. Die Angestellten seien bedroht worden, dass sie Polizist:innen nicht bedienen sollen.

Vor Ort zeichnet sich ein anderes Bild ab. Knapp eine Woche nach der Räumung hängen in der Nachbarschaft Baumwolltücher und Plakate an den Fenstern. „Wir sind L34", steht zum Beispiel über der Bäckerei an der Kreuzung. Als die Mitarbeiterinnen der Bäckerei mit dem „Focus"-Bericht konfrontiert werden, schütteln sie schief lächelnd den Kopf. „Auf keinen Fall wurden wir bedroht", sagt eine der beiden. An die Sicherheitsleute würden sie jetzt auch nichts verkaufen - obwohl keine Liebig-34-Leute mehr da sind, die sie durch Drohungen dazu zwingen könnten. „Wir bedienen von drüben niemanden. Das kommt nicht in Frage", sagt die andere.

„Es gibt Linksradikalismus hier im Kiez", sagt Frau Kreuter aus der Liebigstraße 15, „aber es ist nicht alles auf die Liebig 34 zurückzuführen." Familie Kreuter lebt in einer großzügigen Wohnung schräg gegenüber der Nummer 34. Das Wasser in ihrer Küche servieren sie gefiltert. Auch ihr Haus Nummer 15 war einmal besetzt, „vor unserer Zeit", wie Frau Kreuter sagt. In dem Haus wohnen heute „ganz viele unterschiedliche Menschen", sagt ein anderer Bewohner, unter anderem Familien. An der Hausgemeinschaft wirkt nichts radikal, doch die Bewohner:innen wollen ihre richtigen Namen nicht nennen.

„Wir sind jetzt vorsichtig, weil wir uns positionieren", sagt einer der Bewohner. In vergangene Räumungen seien rechte Securities involviert gewesen, die Bewohner:innen angegriffen hätten, und die Häufung der „Einzelfälle" in der Polizei sei auch besorgniserregend.


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