Hollywoodstar Riggan Thomson ( Michael Keaton) feierte zu Beginn der 90er Jahre als Superheld „Birdman" riesige Kinoerfolge. Doch diese Zeiten sind längst vorbei. Nachdem er „Birdman 4" ablehnte, ist Thomson im Karrieretief versunken. Mit der Aufführung eines ambitionierten Theaterstücks am Broadway will er nun sein Comeback schaffen. Er inszeniert ein Raymond-Carver Stück und spielt selbst die Hauptrolle. Allerdings verfällt er vor den finalen Publikumsproben in akute Panik, was seinen Manager und Produzenten Brandon ( Zack Galifianakis) gewaltig ins Rotieren bringt. Schließlich scheint ihm auch noch der schwierige Vollblutdarsteller Mike Shiner ( Edward Norton) die Show zu stehlen. Heißsporn Shiner versucht spontan, auf der Bühne mit Co-Star und Ex-Freundin Lesley ( Naomi Watts) zu schlafen, rastet aus, wenn er Requisiten bespielen muss und jagt auch noch dem Rock von Thomsons Tochter Sam ( Emma Stone) hinterher, die als Assistentin an der Produktion beteiligt ist. Der Regisseur wird zudem von seiner Freundin Laura ( Andrea Riseborough) und seiner Ex-Frau Sylvia ( Amy Ryan) geplagt, während die Premiere immer näher rückt. Kann sich Riggan Thomson zusammenreißen, von Birdman freimachen, sein Comeback feiern und endlich ernst genommen werden?
Anhand der Synopse wird bereits klar: Birdman nimmt sich viel vor. Man könnte auch sagen: Birdman nimmt sich ALLES vor. Existenzialistisches Philosophie-Drama, beißende Hollywood-Kritik, schrille Showbusiness-Satire, Arthouse mit Blockbuster-Einlagen - hier wird alles an die Wand geworfen, in der Erwartung, dass auch alles kleben bleibt. Das tut es keineswegs, aber doch bleibt da viel hängen. Zuallererst und ganz besonders Michael Keaton, der natürlich für diesen Part wie geschaffen ist. Eigentlich könnte das kaum jemand anderes spielen, so nah dran an dem echten Keaton ist Protagonist Riggan Thomson. Ex-Batman Keaton legt für die Rolle jegliche Eitelkeit ab, keine Falte, kein Altersfleck, keine Geheimratsecke bleibt vor der Kamera verborgen. Eine nahezu exhibitionistische Performance, die an Mickey Rourke's epochale Tour de Force in Darren Aronofskys The Wrestler erinnert. Bleibt Keaton nur zu wünschen, dass ihm nicht, wie Rourke damals, der finale Oscartriumph verwehrt bleibt. Auf den darf sich auch Edward Norton berechtige Hoffnungen machen, in der Rolle des impulsiven Hitzkopfes Mike Shiner darf er wieder einmal beweisen, was für ein natürlich mitreißender Schauspieler er ist. Doch ist der Film auch von den schauspielerischen Leistungen abgesehen ein Meisterstreich?
Finde! Mich! Genial!Birdman ist wie ein Kanye West-Album. Sowohl was den Film selbst, als auch seine Rezeption angeht: Die Kritiker springen vor Begeisterung im Dreieck, es hagelt eine Awardpreisauszeichnung nach der anderen und am Ende des Jahres ist er von den vorderen Plätzen diverser Toplisten nicht mehr wegzudenken. Goutiert man das Werk selbst, gibt es sehr vieles, was gelobt und geschätzt werden kann. Eine tolle schauspielerische Leistung im Zentrum, etliche furious aufspielende Nebendarsteller, viele kreative Einfälle.
Doch es hängt ein beißender Geruch von Arroganz und Selbstzufriedenheit über diesem Projekt. Birdman will nicht gemocht, dieser Film will verdammt nochmal geliebt und verehrt werden. Aus der Vorstellung sollen die Leute nicht herauskommen und sagen „Toller Film", sie sollen bitteschön rufen „das war das epochalste cineastische Erlebnis, dass ich jemals hatte!" Als ich Birdman sah, kam es mir so vor, als würde mir selbst ein kleiner Birdman auf der Schulter sitzen und mir ständig flehentlich ins Ohr rufen: „FINDE! MICH! GENIAL! Bitte bitte bitte!" Der Film schielt so sehr nach dem tosenden Applaus, dass ich mich schnell gefragt habe, ob er diesen auf tatsächlich verdient hat.
Ohne Schnitt ist nicht ohne doppelten BodenVieles, was Birdman auffährt, um sein Publikum zu begeistern, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als aufmerksamkeitsheischender Budenzauber. Da wäre zum einen die Entscheidung von Regisseur Alejandro González Iñárritu, den kompletten Film als vermeintlichen One-Take zu inszenieren, also nahezu völlig ohne Schnitt ablaufen zu lassen. Das beeindruckt auf den ersten Blick, schließlich lässt es Birdman noch mehr wie eine unermüdliche Tour de Force wirken, die dem Zuschauer und dem Protagonisten keine Ruhe zu gönnen scheint. Auf dieser Ebene funktioniert das auch, dennoch drängt sich die Technik ab einem gewissen Punkt nahezu auf. In vielen Momenten hätte ein Schnitt gut funktioniert, vielleicht sogar besser, als absurde Schwenks und Kameraakrobatik. Doch Alejandro González Iñárritu scheint in diesen Momenten weniger am Inhalt interessiert zu sein, als daran, für das konsequente Durchziehen dieser Methode Beifall einfahren zu wollen. Dazu muss ganz grundsätzlich gesagt werden: Wäre Birdman im Jahr 1980 produziert worden, hätte er diesen Beifall auch verdient. Aber anno 2014 ist das nun wahrlich keine große Kunst mehr. Denn natürlich wird da getrickst. Mehrere Einzelaufnahmen werden später digital aneinander montiert und das ist in etlichen Momenten auch deutlich zu sehen. In einem Zeitalter, in dem sich solche Tricks mit einem handelsüblichen iPhone produzieren lassen, verdienen sie wirklich keine besondere Betrachtung mehr. Aber was ist mit dem losgelösten Schauspiel, dass sich komplett ohne Netz und Schnitt auf sein pures Talent verlassen muss? Sicher, das ist nett. Aber das findet jeden Tag auf tausenden Theaterbühnen dieser Welt statt und ist daher auch nichts wirklich besonderes.
Hier zeigt sich, dass Iñárritu die inhaltliche Konsequenz seines Landsmannes Alfonso Cuarón abgeht, der in Filmen wie Children of Men und Gravity genau wusste, wie man lange Einstellungen einsetzt, um einen maximalen dramatischen Effekt zu erzielen. Der dann aber auch weiß, wann sie unnötig sind. Ebenso geht es mit dem fortwährend auf dem Zuschauer einprasselnden Percussion-Soundtrack, der in Birdman fast die komplette Laufzeit beschallt. Während das in den ersten 30 Minuten noch begeistert und wie die „One Take"-Technik eine gewisse Brisanz in das Geschehen bringt, geht die monotone Schlagzeugerei spätestens im letzten Drittel nur noch auf die Nerven. Auch hier weiß Iñárritu nicht, wann er einen Gang zurückschalten muss, um seinem Film Platz zum Atmen zu lassen, seine eigene Stimme zu finden. Die Überbeanspruchung dieser Techniken verleiht Birdman etwas durchkalkuliertes, was ja eigentlich im Gegensatz zu dem Gefühl des wilden, spontanen unberechenbaren Furors steht, den der Film so gerne entfesseln möchte. Das gelingt ihm trotzdem in manchen Szenen, etwa der, in der Riggan aus dem Theater ausgesperrt wird und, nur mit Unterhose bekleidet, durch eine Smartphone-zückende Menschenmenge am Times Square laufen muss. Das funktioniert, doch die Manie, Szenen und Momente mit zuviel „Regie" anzureichern, schwächen den Gesamteindruck.
Sehenswert, aber nicht wegen der SchauwerteAuch inhaltlich zeigt Iñárritu eine gewisse Schizophrenie in Bezug auf die Rezeption seines Films: Denn es steht außer Frage, dass Birdman kein Film für ein Massenpublikum ist, sondern gerade einer kleinen, cineastisch geschulten Gruppe besonders gefallen will. Iñárritu heischt den Beifall der Kritiker, scheint sie aber trotzdem zu verachten, so wie er sie schreibt und inszeniert. So gibt es in Birdman die Figur einer Theaterkritikerin (gespielt von Lindsay Duncan), die komikhaft beleidigend geschrieben ist und nahezu alle schlimmen Kritikervorturteile (Voreingenommenheit, blinde Arroganz bei völliger Ahnungslosigkeit, verbitterte Eifersucht auf Künstler) in sich zu vereinen scheint. Das ist man schon gewillt, persönlich zu nehmen und hier zeigt der Regisseur und Co-Autor das Feingefühl eines M.Night Shyamalan. Vielleicht möchte er aber auch nur an den inhärenten Masochismus der Kritikergemeinde appellieren?
Ist Birdman trotz seiner überkandidelten Tricksereien sehenswert? Ja und das vor allem wegen Michael Keaton, der hier endgültig das Leading-Man Comeback hinlegt, das schon seit Jahren überfällig war. Wie Protagonist Riggan schmeißt er sich mit faltigen Haut und Haaren in diesen Wust aus Film und spielt und entlarvt sich, als ginge es um alles. Tut es auch. Dafür hätte er den Oscar verdient. Wer ihn allerdings ganz sicher nicht verdient hat, weder als Autor, noch als Regisseur, ist Alejandro González Iñárritu.