Alles Leben basiert auf DNA-Sequenzen aus vier Bausteinen. Bis jetzt. Genforschern ist es gelungen, neuartige Lebensformen im Labor herzustellen. Ihr Erbgut besteht aus sechs Bausteinen. Ein Durchbruch.
Das ist tendenziell schon ein Hammer: Ein kalifornisches Forscherteam hat das Alphabet des Lebens um zwei Buchstaben erweitert und eine Lebensform kreiert, die es vorher noch nicht gegeben hat. Also ja, es wird hier gleich noch um Frankenstein und Aliens gehen. Doch für die Zwecke dieses Artikels wollen wir kurz ins kalte Wasser springen und einen kleinen Exkurs in den Bio-Unterricht der neunten Klasse wagen. DNA, ATGC, Doppelhelix - da war doch was?
Und zwar: Es gibt für jeden Organismus auf der Erde einen genetischen Bauplan, die DNA. Dieses Biomolekül besteht aus zwei Strängen von sogenannten Nukleotiden, den Grundbausteinen des Erbguts. Die vier Varianten von Nukleotiden werden mit den Buchstaben A, T, G und C abgekürzt. Je zwei der Bausteine bilden Basenpaare; ein A auf dem einen Strang ist verbunden mit einem T auf dem anderen, und umgekehrt. Gleiches gilt für G und C.
Diese Anordnung ergibt die typische DNA-Doppelhelix. Sie steckt in jeder Zelle und enthält den kompletten Bauplan eines Organismus'. Der ist durch eine charakteristische Abfolge von Nukleotiden definiert. Diese Abfolge wird bestimmt durch Vererbung und spontane Mutationen - und zunehmend auch durch uns Menschen. Genome Editing ist das Stichwort.
DNA-Bausteine von MenschenhandMit der revolutionären Crispr-Methode lassen sich bereits Abschnitte eines Erbguts austauschen. Vereinfach gesagt: Aus CAAT können Forscher mithilfe der Gen-Scheren GTGA machen, oder jede andere Kombination.
Das Team des Scripps Research Institute in La Jolla, Kalifornien, ist noch einen Schritt weitergegangen. Die Wissenschaftler haben dem Erbgut von Bakterien Sequenzen aus künstlich hergestellten Nukleotiden (X und Y) hinzugefügt. Die DNA dieser E.-coli-Bakterien besteht also zum Teil aus menschengemachten Bausteinen, sie ist halbsynthetisch.
Wie ein Alphabet mit 39 BuchstabenDie Ergebnisse der Studie, veröffentlicht in den „Proceedings of the National Academy of Sciences", sind beeindruckend, gelinde gesagt. Warum? Stellen wir uns vor, unser Alphabet hätte nicht 26, sondern 39 Grundbuchstaben. Wie viele neue Wörter sich damit bilden ließen ... undenkbar! Und stellen wir uns jetzt vor, der genetische Code bestünde nicht aus vier, sondern sechs Bausteinen. Wie viele neue Lebensformen sich damit ... genau.
Aktuell sind in unserem Erbgut die Baupläne für 20 Aminosäuren angelegt. Aus diesen sogenannten kanonischen Aminosäuren produzieren Zellen Proteine, einen der wichtigsten und vielseitigsten Baustoffe unseres Körpers. Mit sechs verschiedenen Bausteinen ließen sich mehr unterschiedliche Kodierungen für Aminosäuren in der DNA speichern. Und mehr Arten von Aminosäuren ergeben mehr denkbare Varianten von Proteinen.
Die neuen Bausteine habe noch keine FunktionGanz so einfach ist es natürlich nicht. Die Forscher um Floyd Romesberg haben fünfzehn Jahre an ihrem Durchbruch gearbeitet. 2014 gelang es ihnen erstmals, Bakterien mit X- und Y-Bausteinen auszustatten. Die überlebten jedoch nicht lange. Und auch die nun erschaffenen, lebensfähigen Bakterien sind noch einiges entfernt von etwaigen prometheischen Albträumen, die Kritiker des Genome Editing umtreiben.
Die „Alien-Bakterien" leben zwar mit synthetischen Basenpaaren in ihrem Erbgut, die X- und Y-Bausteine können aber nicht ausgelesen werden. Sie haben keine Funktion. Zudem wurden die Moleküle bewusst so konstruiert, dass sie keine Ähnlichkeit mit den natürlichen Nukleotiden haben. Eine spontane Mutation im Erbgut eines Bakteriums würde also nicht reichen, um diesen evolutionären Graben zu überspringen und die neuen Bausteine lesbar zu machen.
Die Perspektive: Lebewesen aus dem LaborBei aller Relativierung: Die Studie ist ein großer Schritt, dem weitere folgen werden. Die Forscher wollen als nächstes DNA-Bausteine entwickeln, die von den Bakterien gelesen werden können. Ist das erreicht, lassen sich die Organismen dazu einsetzen, neuartige Proteine herzustellen, die in der Natur nicht vorkommen.
Sollte die Technik so weit voranschreiten, eröffnen sich einerseits ungekannte Möglichkeiten für die Entwicklung neuer Medikamente. Andererseits macht sie uns Menschen ein bisschen mehr zu Gott. Wenn wir eines Tages ein vollständiges und funktionierendes Erbgut im Labor zusammensetzen können, dann sind wir nicht mehr so weit von Mary Shelley's Frankenstein entfernt.
Der Mensch, ein postmoderner Prometheus - eine Vorstellung, die man durchaus noch gruseliger finden kann, als die Erinnerung an den Bio-Unterricht der neunten Klasse.