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Was gegen "Wirtschaft" im Unterricht spricht

Um die ökonomische Bildung der Schüler zu verbessern, führen viele Bundesländer das Fach „Wirtschaft" ein. Ob das gut ist, hängt von der Art des Unterrichtens ab, sagt der Wirtschaftsethiker Thomas Beschorner.

Lange hallte der Ruf nach einer stärkeren Berücksichtigung von ökonomischer Bildung durch die deutsche Schullandschaft. Schüler wüssten zu wenig über Wirtschaft, so klagten - von Studien untermauert - vor allem Zunftvertreter. Seit einiger Zeit hat die Bildungspolitik nun damit begonnen, dem Rechnung zu tragen. In Bayern und Thüringen werden Schüler schon seit Jahren in „Wirtschaft/Recht" unterrichtet, in Baden-Württemberg wurde das Schulfach „Wirtschaft/Berufs- und Studienorientierung" vor kurzem eingeführt. Vor wenigen Tagen präsentierte nun die NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) erste Details zur Einführung eines entsprechenden Schulfachs, das die schwarz-gelbe Landesregierung verpflichtend einführen will. Demnach werden Gymnasiasten vom Schuljahr 2019/20 an im Fach „Wirtschaft - Politik", Realschüler in „Wirtschaft" und Hauptschüler im Lernbereich „Wirtschaft und Arbeitslehre" unterrichtet. Ziel soll es nach Angabe der Ministerin sein, dass die Schüler ökonomische Nachrichten einordnen und die Wirtschaft später mitgestalten können, und nebenbei auch, dass sie wissen, wie man einen Handyvertrag mit Bedacht abschließt.


Doch nicht alle beobachten die Entwicklung ohne Skepsis. Kritiker warnen vor einem unkritischen Lobby-Unterricht, der die Schule von einer Stätte reflektierter Bildung hin zu einem Lebensratgeber umgestalte. Zu ihnen gehört Thomas Beschorner, Professor für Wirtschaftsethik und Direktor des Instituts für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen. Er sorgt sich um die Ausrichtung des Fachs: „Es muss die Frage diskutiert werden, welche Art von Ökonomie vermittelt werden soll", sagt er im Gespräch mit dem Studentenblog.

Beschorner hat die Befürchtung, dass der Wirtschaftsunterricht zu einseitig ausgerichtet werden könnte. Bereits in den Wirtschaftsstudiengängen an den Universitäten würden neoklassische Denkansätze dominieren. Andere Sichtweisen seien deutlich unterrepräsentiert. Mehr und mehr Studierende und Dozenten rufen daher nach einer pluralen Ökonomik. Auch keynesianische, marxistische und feministische Perspektiven auf die Wirtschaft müssten im Studium vermittelt werden. Gleiches gelte für die Schule, findet Beschorner. Die Neoklassik sei immerhin nur ein Ansatz von vielen, ökonomische Zusammenhänge zu erklären. Dabei ist ihm Multiperspektivität wichtig. Schon der Beutelsbacher Konsens schreibt Lehrern der Sozialwissenschaften vor, den Unterricht kontrovers zu gestalten und keine Denkweise priorisiert darzustellen. Beschorner drückt es so aus: „Das Fach darf kein ideologisches Scharmützel sein."


Unzureichende Ausbildung 

Jederzeit sei deutlich zu machen, dass ökonomische Entscheidungen Konsequenzen sowohl für soziale als auch politische Begebenheiten hätten, sagt Beschorner. Zum Beispiel müsse eine umfassende Bewertung der Sparpolitik in Griechenland auch die sozialen Folgen in den Blick nehmen.


Ein Garant für die Vermittlung tiefgreifenden wirtschaftlichen Wissens sei das Schulfach jedenfalls nicht unter allen Umständen, so Beschorner. Viel spräche auch dafür, Sozialwissenschaften als Integrationsfach aus Politik, Soziologie und Wirtschaft zu begreifen und die ökonomische Bildung in diesem Rahmen zu erweitern. Eine Aufstockung der sozialwissenschaftlichen Bildung ermögliche es, ökonomische Fragen in politische und gesellschaftliche Kontexte einzubetten.


Problematisch mag auch sein, dass die universitäre Ausbildung der Lehrkräfte höchst unterschiedlich ausfällt und nicht alle nach Abschluss derselben ausreichend Kompetenzen mitbringen, um den Schülern einen multiperspektivischen Blick auf Wirtschaft zu ermöglichen. Von Bundesland zu Bundesland, gar von Hochschule zu Hochschule schwanken die Rahmenbedingungen. Während an manchen nordrhein-westfälischen Universitäten dezidiert sozioökonomische Elemente im Studium der Sozialwissenschaften enthalten sind, haben Lehrkräfte in Baden-Württemberg nur Kenntnisse in Politik oder Wirtschaft - wenn sie nicht beide Fächer studiert haben. Natürlich gebe es, so Beschorner, noch die Möglichkeit, Berufsschullehrer mit dem Wirtschaftsunterricht zu betrauen. Doch auch sie würden nicht über das notwendige Kombinationswissen verfügen, um den Facettenreichtum unterrichtlich aufzubereiten. Für Beschorner entsteht daher die Frage: Wer soll das Fach unterrichten? Eine Angelegenheit, die auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) umtreibt.


Einseitiges Unterrichtsmaterial

Dass die Lehrerausbildung an den Universitäten diese neuen Schwerpunktsetzungen ins Visier nimmt und die Studiengänge dahingehend reformiert werden, dürfte noch auf sich warten lassen. Doch vor allem für Pädagogen, die bereits im Schuldienst tätig sind, heißt es aus Beschorners Sicht: „Lehrerinnen und Lehrer müssen sich einiges an ökonomischen Fachkompetenzen aneignen." Dabei stehen sie vor großen Hürden. Der Schulbuchmarkt fürs Fach „Wirtschaft" ist noch stark ausbaufähig, und in den vorliegenden Veröffentlichungen macht sich das Problem bemerkbar, dass zum Großteil keine sozialwissenschaftliche Einbettung stattfindet.


Mittlerweile gibt es viele Angebote im Internet. Zum Nulltarif geben Stiftungen und Initiativen Unterrichtsmaterialien heraus, die im Unterricht verwendet werden dürfen. Darauf greifen Lehrer natürlich gerne zurück. Vor einer unkritischen Inanspruchnahme warnt Beschorner aber ausdrücklich. Denn die Materialien ignorieren nicht selten Aspekte, die für die jeweils vertretene Position missbillig sind. Aufgabe der Lehrer ist es in solchen Fällen, im Sinne des Kontroversitätsgebotes Material zu ergänzen, das den Schülern eine kritische und umfassende Urteilsbildung ermöglicht. In der Konsequenz bedeute das, so Beschorner, neben Material der arbeitgebernahen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft etwa auch solches der globalisierungskritischen Nichtregierungsorganisation Attac in den Unterricht einfließen zu lassen.


„Ökonomische Bildung ist ein wichtiges Thema für die Gesellschaft, aber es hängt davon ab, welche Art von Wirtschaft unterrichtet wird", so Beschorner. Die Grundstrukturen für das Fach Wirtschaft erweisen sich jedenfalls als ungünstig. Bestenfalls oberflächlich ausgebildete Lehrer sollen mit oftmals einseitigem Unterrichtsmaterial einen kontroversen Wirtschaftsunterricht gestalten. Ob damit das Ziel, Schülern zu ökonomischer Mündigkeit zu verhelfen, erfüllt wird, darf angezweifelt werden.

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