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Polen-Besuch: Von der Leyens östliche Charmeoffensive

Polen empfängt die künftige Kommissionschefin so herzlich wie lange keinen EU-Politiker. Brüssel und Warschau wagen einen Neuanfang in ihren Beziehungen. Die Streitthemen umschifft man elegant - denn niemand weiß, wie man sie lösen soll.

Es scheint die Sonne an diesem Donnerstag in Warschau. Eine leichte, angenehme Brise weht, als Mateusz Morawiecki Ursula von der Leyen vor seiner Kanzlei im Stadtzentrum empfängt. Das Sommerwetter ist dem polnischen Premierminister eine willkommene Kulisse. Es fällt ihm leicht, gegenüber der gewählten EU-Kommissionspräsidentin freundliche Töne anzuschlagen. Zeitgleich postet sein Presseteam ein Foto des Treffens auf Twitter.

Darunter wird Morawiecki mit den Worten zitiert: „Ich empfange Frau von der Leyen mit großer Aufgeschlossenheit und der Hoffnung, dass wir in den kommenden Jahren eine neue Öffnung und ein Europa der Kompromisse schaffen werden." Damit also ist der Ton für von der Leyens Antrittsbesuch in Polen bereits vor der Pressekonferenz gesetzt. So viel Harmonie war selten zwischen einer Vertreterin der EU-Kommission und der nationalkonservativen polnischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS).

Denn eigentlich liegt Polen mit der Kommission seit nunmehr fast vier Jahren über Kreuz. Wegen der sogenannten Justizreform hat Brüssel mehrere Vertragsverletzungsverfahren und erstmals ein Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 gegen das Land eingeleitet. An dessen Ende könnten Polen Stimmrechte in der EU entzogen werden. Erst im Juni erklärte der Europäische Gerichtshof (EuGH), Teile der Reform seien „nicht vereinbar" mit europäischem Recht.

Aus polnischer Sicht war der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, die Inkarnation dieser Strafandrohungen. Er war besonders bemüht um das Thema Rechtsstaatlichkeit, reiste oft nach Polen, traf sich mit Oppositionellen. In regierungsnahen Medien wurde er dafür regelmäßig heftig angegriffen. Die polnische Regierung schließlich setzte zusammen mit Ungarn all ihr politisches Gewicht in der EU ein, um Timmermans als Kommissionspräsidenten zu verhindern - mit Erfolg. Die Wahl von der Leyens wurde daraufhin in Warschau als „Sieg Polens" verkauft, wie eine regierungsnahe Zeitung titelte.

Tatsächlich tritt die neue Kommissionschefin in Sachen Rechtsstaatlichkeit nun wesentlich zurückhaltender auf als ihr niederländischer Kollege Timmermans. Es sieht aus wie ein Neuanfang in den bisher eisigen Beziehungen zwischen Warschau und Brüssel. Von der Leyen umschmeichelt die nationalkonservativen Polen, deren 26 Abgeordnete im EU-Parlament für sie gestimmt haben.

Kurz davor war CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak in geheimer Mission nach Warschau gereist und warb beim mächtigen PiS-Vorsitzenden Jaroslaw Kaczynski um Stimmen für seine Parteikollegin von der Leyen, wie mit der Angelegenheit vertraute Personen WELT und der Tageszeitung „Gazeta Wyborcza" bestätigt hatten. Nach von der Leyens Wahl sprach Morawiecki dann vom „Zünglein an der Waage", denn ohne das Wohlwollen aus Osteuropa - auch die Abgeordneten der ungarischen Fidesz von Viktor Orbán haben für von der Leyen votiert - wäre sie wohl nicht Kommissionspräsidentin geworden.

Wie schon während ihrer Bewerbungsrede im EU-Parlament streift von der Leyen am Donnerstag in Warschau lediglich das Streitthema der polnischen Gerichte. Es gebe schwierige Fragen wie die Migration und die Rechtsstaatlichkeit, sagt sie während der Pressekonferenz mit Morawiecki. Und weiter: Wichtig sei, dass man zuhöre. Die Freude über von der Leyens sanfte Rhetorik ist dem polnischen Premierminister anzusehen.

Auch darüber, dass sie über Verteidigungspolitik reden möchte: ein wichtiges Thema in Polen. Immer wieder blickt er zufrieden drein. Er lässt es sich nicht nehmen, die Deutsche dann vor der versammelten polnischen Presse zu loben. Eine „geeignete Person" für das Amt, nennt er sie.

Nach ihrem Antrittsbesuch bei Emmanuel Macron in Paris war Warschau die zweite Station der designierten EU-Kommissionschefin: Auch das wird in Polen mit Genugtuung wahrgenommen. Denn nichts möchte die polnische Regierung trotz aller EU-Kritik lieber, als in der Union ein wichtiger Partner für Deutschland und Frankreich zu sein. Vor allem wegen der Justizreform war das in den vergangenen Jahren jedoch nicht möglich.

Die Signale, die von der Leyen aussendet, deuten darauf hin, dass das unter ihr als Kommissionschefin anders werden könnte. Wie Morawiecki nach dem länger als zwei Stunden andauernden Gespräch mit von der Leyen am Nachmittag behauptete, sei das Thema Rechtsstaatlichkeit nicht angesprochen worden. Er habe zudem Krzysztof Szczerski, bisher Stabschef von Staatspräsident Andrzej Duda, als polnischen Kandidaten für das Amt eines EU-Kommissars vorgeschlagen.

Die Freude in Warschau scheint groß zu sein. Wie allerdings der Konflikt über die polnischen Gerichte zu lösen ist, ist vollkommen offen. Die Reform nämlich ist für die PiS zentral, und auch die Kommission dürfte beim Thema Rechtsstaatlichkeit allein schon wegen ihrer Glaubwürdigkeit keine Kompromisse machen - freundliche Empfänge hin oder her.

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