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Wut als Schaffenskraft: Gorki-Autor Necati Öziri wechselt zu den Berliner Festspielen

Hat gut Fuß gefasst im deutschen Kulturbetrieb: Necati Öziri, Sohn eines türkischen Flüchtlings. | Foto: Berliner Zeitung/Markus Wächter

Als er kürzlich mit seiner Freundin in Kreuzberg frühstücken gewesen sei, habe dieser Typ am Nebentisch gesessen, erzählt Necati Öziri, Dramaturg und Autor. „Wir hatten gerade bestellt, da fängt der an, rumzublaffen: Scheißausländer, Kanaken, Flüchtlinge, für alle soll ich zahlen, es geht zu Ende mit Deutschland!" Während die anderen Gäste sich bloß kurz umgeschaut hätten, sei Öziri aufgestanden.

„Lass gut sein, Necati, der ist es nicht wert", habe seine Freundin noch gesagt. Öziri habe erst versucht, ruhig auf den Mann einzuwirken, habe sich dann aber vor dem Nachbartisch aufgebaut und sich ein bisschen in Rage geredet. „Du hast recht, alter, weißer Mann", habe er gesagt. „Es geht zu Ende mit euch. Wir übernehmen den Laden, euer schönes Deutschland. Von euch wird nichts mehr bleiben als eine neblige Erinnerung." Der Mann habe zu Öziri aufgeschaut, beinahe traurig, und sei dann gegangen, ohne zu zahlen.

Künstlerischer Durchbruch

Kurz habe der Typ ihm leid getan, erzählt Öziri, nun in einem türkischen Teehaus sitzend. Er holt tief Luft, so als müsste er den Rest seiner Wut runterschlucken und greift danach beherzt in eine Tüte mit Nüssen. „Aber ich musste den Raum einfach sichern." Vor kurzem hat der erst 29-jährige Öziri als Dramaturg bei den Berliner Festspielen angefangen, wo er das internationale Forum des Theatertreffens leiten wird.

Bislang war er Dramaturg am Gorki-Theater, auch in gehobener Funktion: Er leitete zwei Jahre lang das Studio. Er spricht begeistert vom Gorki, davon, sich dort kreativ austoben zu können, aber er wollte weiter.

Öziri kam 2010 nach Berlin

Sein am Haus herausgekommenes Stück „Get deutsch or die tryin'" hat in Berlin Aufmerksamkeit erregt. Öziri hat es geschafft, seine Wut auf Deutschland, aber auch seine zärtlichen Gefühle für die Deutschen in Kunst zu übersetzen - und wird vom Betrieb mit offenen Armen empfangen. Dass er dort einmal landen sollte, war keinesfalls ausgemacht.

Aufgewachsen in Recklinghausen, studierte er in Bochum und kam 2010 nach Berlin. Auf der Suche nach einer Wohnung stolperte er ins Ballhaus Naunynstraße. „Ich hatte zuvor, abgesehen von einem Schulausflug nach Dresden, keinen Fuß in ein Theater gesetzt", erzählt Öziri.

"So etwas kannte ich nicht: intellektuelle Türken"

Im Innenhof fiel ihm ein Plakat mit dem Autorennamen Deniz Utlu auf. „Deniz mit z: So hießen die Typen, mit denen ich am Bahnhof abhing, aber nicht die aus dem Deutschunterricht", sagt er. „Kanaken, die ganze Sätze bauen!"

Öziri war angetan von dem Haus, dem Hinterhof, den Leuten, die er noch am selben Tag kennenlernte, ihrer Sprache, ihrem Soziolekt. „So etwas kannte ich nicht aus dem Ruhrgebiet: intellektuelle Türken."

Steiniger Weg zum Dramaturgen

Es folgte ein Dramaturgie-Praktikum an der Akademie der Autodidakten, Praktika im Ballhaus, Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften, Inszenierungen und die Aufführung seines ersten Stücks im Ballhaus Naunynstraße: „Vorhaut".

Zudem schrieb er Gedichte und trug sie auf der Bühne vor. 2013 erhielt er eine Anfrage vom Gorki-Theater, eine SMS der Assistentin von Shermin Langhoff. Wenige Monate später war er dort Dramaturgieassistent. Cool, dachte sich Öziri: ein erster richtiger Job, aber kein Jackpot. Bis dahin war sein Weg steiniger als der vieler anderer.

Öziris Vater kam als Flüchtling nach Deutschland, in der Türkei hatte er als politischer Gefangener im Gefängnis gesessen. Obwohl in Deutschland geboren, war Öziri, bis er 18 wurde, kein deutscher Staatsbürger. Das bedeutete eingeschränkte Bewegungsmöglichkeiten, wenige Reisen, anstrengende Behördengänge: Wohl hat er sich hierzulande nicht gefühlt.

Verzicht auf Böll-Stipendium

Seine Mutter war alleinerziehend, sie lebten von Hartz IV, das Geld musste abgezählt werden. Hausaufgabenhilfe? Daran war nicht zu denken. Es hat auch ohne geklappt. Öziri legte sein Abitur mit der Note 1,2 ab, studierte Germanistik und Philosophie. Doch obwohl er ein Stipendium der Heinrich-Böll-Stiftung bekam, lief etwas schief.

„Stell dir vor, du hast auf einmal 1000 Euro im Monat! Ich war total überfordert mit der Kohle."Er machte mit seiner langjährigen Freundin Schluss, schmiss sein Studium, verzichtete auf das Stipendium. Er wollte einen Neustart in der Türkei. „Heute bin ich froh, dass ich nicht geflogen bin, aber damals wollte ich nach einem kurzen Aufenthalt in Istanbul einfach nicht mehr in Deutschland leben", sagt er.

In Deutschland hatte er es sich angewöhnt, jedes Mal, wenn er sich vorstellte, sofort seinen Nachnamen zu buchstabieren: „Ökonom-Zeppelin-Ida-Richard-Ida." In der Türkei habe er das aus Gewohnheit auch so gemacht. „Dabei wussten die einfach, wie man meinen Namen schreibt." So fühlt es sich an, wenn man selbstverständlich ist.

Mit der Wut kommt die Schaffenskraft

Zurück in Deutschland fiel Öziri in ein Loch. „Ich hätte mich beinahe tot getrunken", sagt er. Er habe immer viel auf Partys runtergekippt, so sei das im Pott. Aber was er seinem Körper zu jener Zeit antat, hatte eine andere Qualität. Eine Flasche Jack Daniel's am Tag. Nach zwei Wochen landete er auf der Intensivstation. Er hatte eine Leberentzündung, einer der Ärzte dachte, der Körper würde das Organ abstoßen.

Zehn Wochen war er im Krankenhaus, ein Jahr stand er unter Aufsicht, musste Kortison nehmen, bis heute trinkt er keinen Alkohol mehr, kein Bier, keinen Wein. „Ich dachte, ich muss ein neues Leben leben bei meinen Leuten in der Türkei", erzählt er. „Wer aber all die Wochen neben mir am Krankenbett saß, das war meine Freundin." Heute sind die beiden seit 14 Jahren ein Paar - und Öziri erfolgreich, gesund, den deutschen Pass hat er inzwischen auch.

Aber da ist wieder was: „Spätestens seit dem 24. September müssen wir uns alle fragen, was wir tun können", sagt er. Er meint den Einzug der AfD in den Bundestag, einen wie Alexander Gauland, der jemanden wie ihn in Anatolien entsorgen würde. Da ist sie wieder, die Wut, und mit ihr die Schaffenskraft. Hoffentlich verschwinden die Rechtsradikalen bald wieder. Öziris Wut aber kann gerne bleiben.

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