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NBA-Star Schröder: Ich bin halt der Dennis

Basketball-EM vor zwei Jahren: 4,6 Sekunden sind noch zu spielen, ein letzter, kurzer Angriff bleibt den deutschen Basketballern, um sich beim Heimturnier gegen Italien durchzusetzen. Doch der Einwurf landet nicht etwa bei Superstar Dirk Nowitzki. Er landet bei Youngster Dennis Schröder, der zwei Verteidiger abschüttelt und entschlossen zum Korbleger ansetzt. Es ist eine gute Idee, die richtige Idee. Doch Schröder trifft nicht - Deutschland muss in die Verlängerung, verliert und scheidet aus.

Zwei Jahre später steht der DBB vor der nächsten EM-Endrunde (Auftaktspiel gegen die Ukraine am heutigen Donnerstag, 14.45 Uhr). Wieder wird das Team auf Italien treffen. Wieder mit Dennis Schröder, diesmal aber ohne Dirk Nowitzki. Der 39-Jährige beendete nach besagter Europameisterschaft seine Länderspielkarriere und übergab die Führungsrolle im Nationalteam damit endgültig in die Hände von Schröder.

Nowitzki selbst hatte den Führungswechsel während seines Abschiedsturniers 2015 eingeleitet. Auch wenn in der Kabine weiterhin der Altstar das Sagen hatte, gestand er Schröder öffentlich die Rolle des Anführers zu. So ermöglichte der Routinier dem damals 21-Jährigen einen Testlauf als Führungskraft und Nowitzki wiederum bestätigte einmal mehr seinen Ruf als bescheidener und demütiger Sportsmann.

An Tugenden wie Demut oder Bescheidenheit denkt man im Zusammenhang mit Schröder eher selten: In der Auffahrt seiner Villa parken luxuriöse Sportwagen, sein Körper ist übersät mit Tattoos, er trägt Goldkettchen und teure Uhren. Schröder mag es extravagant, er hat einen markanten Haarschnitt und betreibt seine eigene Modemarke. Mit anderen Worten: Er ist kein Nowitzki. Er lebt anders, er spielt anders. Und er führt anders.

Das zeigte sich schon 2015, als Schröder nach der Niederlage gegen Italien öffentlich Bundestrainer Chris Fleming kritisierte. "Nicht smart" nannte er eine taktische Maßnahme seines Coaches. Es regnete Negativschlagzeilen, und das nicht zum ersten Mal.

Schröder polarisiert. Nur selten gleichen seine Statements den weichgespülten PR-Phrasen, wie man sie aus der Fußball-Bundesliga kennt. Seine Kritiker? "Nur neidisch auf meine Karriere". Seine Rolle in Atlanta? "Das Team gehört jetzt mir." Finanzieller Übermut? "Ich habe gerade meinen ersten Vertrag über 70 Millionen Dollar unterschrieben, und das ist erst der Anfang."

Der junge Spielmacher ist außerordentlich selbstbewusst, zu selbstbewusst für manchen Geschmack, und damit eckt er an. Das weiß auch Liviu Calin, der Schröder 2004 in einem Braunschweiger Park entdeckte und ihn in der Jugend ausbildete. Er sagt jedoch: "Ohne diese Selbstsicherheit wäre Dennis niemals so weit gekommen." Die regelmäßigen Vorwürfe der Arroganz und Eigensinnigkeit hält der Rumäne für ein deutsches Phänomen: "In Deutschland musst du Krawatte tragen und um 7 Uhr im Büro sitzen. Wenn dann um 9 Uhr jemand mit roter Mütze und grüner Hose kommt, wird er kritisiert, selbst wenn er die bessere Arbeit macht."

Calin mag als Fürsprecher seines ehemaligen Schützlings auftreten, doch im Kern hat er nicht unrecht. Tatsächlich ist Schröders Image in den USA ein anderes. Für zu selbstbewusst oder gar arrogant hält ihn in einer Liga voller Selbstdarsteller und aufgepumpter Egos niemand. Mit breiter Brust hat sich Schröder bei den Atlanta Hawks zu einem der besten jungen Point Guards der NBA entwickelt, in seiner neuen Heimat an der Ostküste ist er ein Star.

Wohl auch aufgrund der ambivalenten Wahrnehmung seiner Persönlichkeit forderte Schröder zuletzt mehr Rückendeckung vom deutschen Basketballbund und drohte andernfalls sogar mit dem Abschied aus der Nationalmannschaft. Ein Worst-Case-Szenario, das es aus Verbandssicht zu vermeiden gilt.

Denn sportlich ist Schröder schlicht unverzichtbar: seine Schnelligkeit und Dynamik, sein Zug zum Korb, seine Giftigkeit in der Defensive, die Unberechenbarkeit beim Ballvortrag. Danilo Barthel, Maodo Lo oder Mannschaftskapitän Robin Benzing sind fraglos gute Basketballer. Aber Schröder ist es, der dieses Team auf ein neues Level hieven kann - insbesondere während des kommenden Turniers, das der DBB ohne etliche Stammkräfte bestreiten muss.

Mitte August, beim Supercup in Hamburg, lief Schröder erstmals seit der EM 2015 wieder für die Nationalmannschaft auf, sein Einfluss war auf Anhieb immens. Vor allem seine 28-Punkte-Gala gegen Russland machte Lust auf mehr: Schröder diktierte das Geschehen, er dominierte. Mit teilweise spektakulärem Tempo-Basketball riss er das Spiel an sich, ganz anders als einst der kontrollierte Scharfschütze Nowitzki. Schröder ging vorneweg, er trieb seine Teamkollegen an und gab Kommandos, selbst in den wenigen Minuten, die er auf der Bank saß. Und die Mannschaft folgte ihm.

Für das kommende Turnier hat sich Schröder einiges vorgenommen. "Ich muss auf jeden Fall einen besseren Job machen als vor zwei Jahren. Ich will ein besserer Führungsspieler werden, auch abseits des Feldes mit meinen Mitspielern", sagte er Sport1.

Es sind selbstkritische Worte eines selbstbewussten Anführers, der langsam in seine Rolle hineinwächst. Schröder ist ein streitbarer Charakter, zweifellos, und manche Kritik an ihm durchaus berechtigt. Doch auch als "Anti-Dirk" kann man eine Mannschaft erfolgreich führen. Oder wie Schröder selbst es in der "Welt" formulierte: "Manche wollen mich gar nicht verstehen. Sie kennen eben nur Dirk Nowitzki. Aber ich will nicht wie Dirk sein. Ich bin halt der Dennis."

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