Norwegen hat immer auf gute Beziehungen zum Nachbarn Russland wert gelegt. Doch die einstige Balance-Politik funktioniert nicht mehr. Das hat Folgen.
Oslo - Man hätte keinen passenderen Ort wählen können: Hinter den starken Mauern der mittelalterlichen Festung Akershus am Fjord von Oslo liegt die Hochschule für Verteidigung (FHS) der norwegischen Streitkräfte. Über die Jahrhunderte hat das Bollwerk vielen Angriffen standgehalten und die jungen Männer und Frauen, die an der FHS studieren, sollen lernen, wie militärische Verteidigung geht. Wer hier eingeschrieben ist und für den Masterabschluss büffelt, hat in der Regel schon Einsatzerfahrung - in Akershus beginnen Offizierslaufbahnen. Die norwegische Regierung will die Zahl der Studienplätze in diesem Jahr deutlich erhöhen, es wird bald voll in der Festung.
Nato-Land Norwegen investiert mehr Geld in Rekrutierung200 Millionen Kronen (etwa 17 Millionen Euro) insgesamt steckt die Regierung von Norwegen zusätzlich in Rekrutierung und Ausbildung, das Land will mehr Soldaten. „Das braucht Zeit. Es reicht nicht, zu sagen: Wir erhöhen das Budget. Neue Leute müssen ausgebildet werden und im ersten Schritt braucht man Leute, die wiederum ausbilden können, auf allen Ebenen, vom Spezialisten zum Stabsoffizier", sagt Robin Allers. Er ist Associate Professor am Institut für Verteidigungsstudien (IFS) an der FHS. „Das Bereitschaftsniveau muss angesichts der Sicherheitslage erhöht werden."
Sicherheitssituation an der Nato-Nordflanke seit Ukraine-Krieg verschlechtertMit „Sicherheitslage" meint er vor allem die neue Situation, vor der die Nato und damit auch Bündnispartner Norwegen seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine stehen. „Die direkte Bedrohung an der Grenze ist nicht unbedingt größer geworden. Aber die gesamte Sicherheitssituation hat sich verschlechtert", so Allers. Das könne sich auswirken auf die Gebiete, für die Norwegen eine besondere Verantwortung trage. „Immerhin ist der Norden Norwegens als nördliche Grenze der Nato am nächsten an den nuklearen Kapazitäten Russlands auf der Kola-Halbinsel."
Die Halbinsel nahe der norwegischen Grenze ist ein strategisch überaus wichtiger Standort für Russland. Der dortige Hafen von Murmansk ist wegen der Golfstrom-Ausläufer auch im Winter oft eisfrei, Schiffe und U-Boote können gut anlanden. Ein großer Teil des russischen Atomwaffenarsenals lagert auf der Kola-Halbinsel.
Norwegen kontrollierte Fischerboote aus Russland: Verdacht der SpionageKein Zufall, dass Norwegens Militär seine Aktivitäten mit Beginn des Ukraine-Kriegs im Norden deutlich erhöht hat: Mithilfe von Aufklärungsflugzeugen und Satelliten beobachtet man, was in dem grenznahen Gebiet passiert. „Wir machen mehr Aufklärungsflüge und setzen neue Flugzeuge ein. Neben den alten P3-Poseidon-Aufklärern nutzen wir zunehmend neue Modelle vom Typ P8 Poseidon", erklärt Brigadegeneral Eystein Kvarving, Kommunikationschef der russischen Streitkräfte. Zuletzt haben die Norweger immer wieder russische Bewegungen im Meer an der russisch-norwegischen Grenze beobachtet, U-Boote und auch Drohnen gesichtet. Und russische Fischerboote werden jetzt viel stärker kontrolliert, dürfen manche Häfen gar nicht mehr anfahren, weil es den Verdacht gibt, dass sie für Spionage benutzt werden.
Für Norwegen ist das in dieser Dimension neu: Das skandinavische Land hatte traditionell auf eine Politik der Balance gesetzt. „Norwegen hat immer darauf geachtet, gute Beziehungen zum Nachbarn Russland zu haben und sich gleichzeitig als Nato-Mitglied abzusichern", sagt Robin Allers. Aber: „Spätestens seit 2014 und erst recht seit Februar letzten Jahres hat man gesehen: Russland ist bereit, seine militärischen Mittel einzusetzen und es ist immer schwieriger geworden, die Balance aufrechtzuerhalten."
„Bei bestimmten Cyberangriffen sagt man jetzt: Das war Russland"Der Ton sei rauer, auch Norwegen gehe stärker auf Konfrontationskurs. „Bestimmte Vorfälle werden nun attribuiert. Bei bestimmten Cyberangriffen sagt man: Das war Russland. Oder wenn Spione ausgewiesen werden, macht man das öffentlich." Das sei ein Schritt in Richtung Konfrontation, den Norwegen früher so vielleicht vermieden hätte, sagt Allers. „Das Signal ist jetzt: Wir lassen uns nichts gefallen."
Nicht zuletzt die Nordstream-Leckage sei ein Weckruf gewesen: „Der Schutz der kritischen Infrastruktur ist sehr viel höher auf der Tagesordnung gerutscht." Norwegen, ein flächenmäßig großes Land mit nur knapp fünfeinhalb Millionen Einwohnern, könne das allein nicht leisten. Deshalb lade man alliierte Kräfte ein, ebenfalls Präsenz zu zeigen. Auch Deutschland. „Deutschland gehört traditionell nicht unbedingt zu den aktivsten Ländern im hohen Norden, nimmt aber an Übungen teil und zeigt inzwischen mehr Präsenz", erklärt Allers. Und nicht nur das: Norwegen und Deutschland bauen gemeinsam neue, hochmoderne U-Boote - ein bislang einzigartiges Projekt. (pen)
Transparenzhinweis: Ippen.Media wurde von der norwegischen Botschaft in Berlin nach Oslo eingeladen.