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„Räumungs-Paragraf in letzter Minute eingeschoben" - hat Politik mit RWE in Sachen Lützerath gemauschelt?

Ist die Räumung des Dorfes Lützerath verfassungswidrig, wie Klima-Aktivisten behaupten? Fest steht: Ein Aspekt bei der Entscheidung ist mindestens ungewöhnlich und unterscheidet Garzweiler von allen anderen Tagebaugruben.

Köln - Das Ortseingangsschild in Lützerath markiert die Grenze: Wer sich dahinter aufhält, handelt illegal. Der Kreis Heinsberg hatte am 20. Dezember eine Allgemeinverfügung zur Räumung des besetzten Dorfes Lützerath bekannt gemacht - das Gebiet ist im Besitz von RWE, der Energiekonzern will das Dorf abreißen, um die Kohle darunter abzugraben.

Lützerath-Räumung ist für Mitte Januar geplant

Derzeit halten rund 100 Aktivistinnen und Aktivisten Lützerath besetzt, um es vor dem Abriss zu bewahren. Dutzende Polizeibeamte sind bereits vor Ort, die Räumung des Weilers am Tagebau Garzweiler II beginnt wahrscheinlich am 11. Januar. Die zuständige Polizei Aachen rechnet damit, dass der Einsatz in Lützerath vier bis sechs Wochen dauern wird, denn die Aktivisten haben erheblichen Widerstand angekündigt. Schon Anfang Januar kam es zu ersten Auseinandersetzungen und Festnahmen.

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Dabei ist umstritten, ob die Räumung von Lützerath tatsächlich rechtens ist. Für die Aktivisten im Camp ist die Sache klar: Die Räumung ist verfassungswidrig, sagen sie. Doch stimmt das?

Abriss von Lützerath stützt sich auf umstrittenen Paragrafen

Streitpunkt ist das Kohleverstromungsbeendigungsgesetz, kurz KVBG. In dem Gesetz mit dem Bandwurmnamen ist das schrittweise Ende der Kohleverstromung in Deutschland bis 2038 geregelt. Die Räumungsverfügung stützt sich auf den Paragrafen 48 des KVBG. „Der Paragraf 48 wurde gewissermaßen in letzter Minute eingeschoben", sagt Thomas Schomerus. Er ist Professor für Öffentliches Recht und Energie- und Umweltrecht an der Leuphana Universität Lüneburg.

„Formal war das in Ordnung, aber ich bin mir nicht sicher, ob alle Abgeordneten wussten, über was genau sie da abstimmen", so Schomerus. Er habe den Eindruck gehabt, dass der Abschnitt seinerzeit „nicht an die große Glocke" gehängt werden sollte.

Tagebau Garzweiler II hat Sonderstellung

Der Paragraf 48 KVBG besagt grob zusammengefasst, dass der Tagebau Garzweiler II energiewirtschaftlich und energiepolitisch notwendig ist. Die damalige Bundesregierung hatte sich 2021 gemeinsam mit RWE auf eine erste Version des Gesetzestextes verständigt. „Der alte Paragraf war von Anfang an verkorkst und in der Form aus meiner Sicht verfassungswidrig", sagt Schomerus, der genau das in einem Gutachten dargelegt hatte.

In seiner Ur-Version fußte der Paragraf auf einer NRW-Leitentscheidung von 2016, die wiederum von einem Kohleausstieg bis 2045 ausging: Sämtliche Daten dazu waren mit der Entscheidung, den Ausstieg vorzuziehen, aber obsolet. Damit waren die Feststellungen im Paragrafen evident unsachlich, so Schomerus' Schlussfolgerung. Das heißt: Der Gesetzestext fußte auf nachweislich falschen Annahmen beziehungsweise Daten, die angesichts der aktuellen Situation keine Gültigkeit mehr hatten. Inzwischen wurde der Paragraf angepasst, und die Rettung der fünf Nachbardörfer von Lützerath, die eigentlich auch hätten abgerissen werden sollen, ist Teil der Neufassung.

Verfassungsrechtler: Entscheidung ist „energiepolitisch verfehlt"

„Ob der neue Paragraf 48 verfassungswidrig ist, habe ich nicht geprüft. Angreifbar wäre er nur, wenn er evident unsachlich ist", erklärt Schomerus. Aber: „Ungewöhnlich ist, dass über Garzweiler auf dieser höheren Ebene entschieden wurde, über alle anderen Tagebaugruben aber nicht. Damit wollte man wohl die NRW-Energiepolitik beziehungsweise RWE unterstützen und klar machen, dass das die letzte Grube sein soll."

Tagebau Garzweiler: Warum ganze Dörfer abgerissen werden

1983 entstand der Braunkohlentagebau Garzweiler als Zusammenschluss der schon existierenden Abbaufelder Frimmersdorf-Süd und Frimmersdorf-West. Der Energiekonzern RWE baut hier pro Jahr 35-40 Millionen Tonne Braunkohle ab.

Die Braunkohle, die für die Energiegewinnung in Kohlekraftwerken verwendet wird, liegt manchmal auch unter Ortschaften. Wenn es zur Sicherung der Energieversorgung notwendig ist, müssen die Ortschaften weichen. Die Einwohner werden dann umgesiedelt, die Dörfer abgerissen.

Die fünf Ortschaften Keyenberg, Kuckum, Unterwestrich, Oberwestrich und Berverath am Tagebau Garzweiler sollten auch zerstört werden. Doch Bund, Land NRW und RWE einigten sich auf den Kohleausstieg 2030 in NRW: Damit bleiben die Orte stehen.

Lützerath hingegen soll geräumt und abgerissen werden. In vielen Dörfern nahe Lützerath findet man jetzt gelbe Kreuze an Hauswänden als Symbol des Protests gegen den Braunkohletagebau.

Dass Garzweiler diesen Sonderstatus erhalten habe, könnte man „energiepolitisch verfehlt" nennen, so der Rechtswissenschaftler. Denn das sei aus seiner Sicht nicht notwendig gewesen. „Auf der anderen Seite kann man sagen, dass der Paragraf nach seiner Änderung gar nicht so schlecht ist. So wurde klargemacht, dass die Orte Keyenberg, Berverath, Kuckum, Ober- und Unterwestrich gerettet werden."

Lützerath ist ein Symbol: Transparent hängt auf dem Uni-Campus

Für Lützerath sei das Thema Rettung indes durch. „Jetzt ist der Ort ein Symbol auch für viele junge Klimaaktivisten. Sogar hier in der Uni hängt ein Transparent mit der Aufschrift: Lützi bleibt."

Strittig bleibt allerdings, ob es tatsächlich eine energiepolitische und energiewirtschaftliche Notwendigkeit gibt, die Kohle unter Lützerath abzubaggern. Denn eine Studie zum Tagebau Garzweiler, an der unter anderem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Europa-Universität Flensburg, der TU Berlin und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) beteiligt sind, widerlegt genau das. Demnach wird die Braunkohle unter Lützerath nicht gebraucht, um die Energieversorgung in Deutschland sicherzustellen. Vielmehr werde das 1,5-Grad-Ziel gefährdet, wenn die entsprechende Menge an Kohle verfeuert wird. Folgt man dieser Logik, wäre der Paragraf in der Tat obsolet.

Jurist: Gesetz wurde auf falscher Ebene erlassen

In eine andere Stoßrichtung geht die Kritik von Verfassungsrechtler Georg Hermes von der Goethe-Universität in Frankfurt. Er sagt: Das KVBG kann gar nicht rechtens sein, weil es ein Bundesgesetz ist. Nach seiner Auffassung werden darin aber Angelegenheiten geregelt, die Ländersache sind. „Diese Auffassung kann man vertreten", sagt Thomas Schomerus. So geht es vor allem im strittigen Paragrafen 48 nicht nur um Energiepolitik, die auf Bundesebene geregelt wird, sondern auch um Raumordnung, die wiederum Ländersache ist: Nämlich um die Frage, ob und welche Gebiete der Braunkohleförderung weichen müssen.

„Das ist aber ein Diskurs und letztlich müssten Gerichte darüber entscheiden", so der Rechtswissenschaftler. (pen)

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