"Meine Erwartung ist, dass das auch künftig so bleibt": Der Schriftsteller und Bonnier-Konzernchef Jonas Bonnier nimmt im Interview Stellung zur Finanzkrise, zu kreativen Ideen, deutschen Verlagen, zur Buchpreisbindung - und erzählt auch über sich.
Ungewöhnlich, Ihr neues Machtzentrum: Im Erdgeschoss Läden, dann Esprit, Apple und in der 5. und 6. Etage Bonnier ...
Jonas Bonnier: Bis Jahresanfang war Bonnier AB räumlich aufgesplittet. Wir haben uns hier eingemietet, weil ich gerne im Team arbeiten und alle entscheidenden Personen in meiner Nähe haben möchte. Dann kann man sich besser aufs Wesentliche konzentrieren, die Zusammenarbeit ist einfacher. Außerdem wollte ich die Konzernmutter Bonnier AB gerne von den Bonnier-Töchtern wie Verlage, Zeitungen usw. abgrenzen.
Sie haben auch Romane geschrieben – wie ist es für einen Schriftsteller, an der Spitze des Bonnier-Konzerns zu stehen?Jonas Bonnier: Das sind zwei höchst unterschiedliche Bereiche: Als Autor lebt man sehr zurückgezogen und schreibt an seinen Texten. Und bei einem Schreibtischjob, wie ich ihn jetzt habe, hat man das Gefühl, wieder zurück ins Leben zu kommen. Aber da beide Lebensweisen so verschieden sind, fällt es mir leicht, sie voneinander zu trennen.
Und welches Leben mögen Sie mehr?Jonas Bonnier: Beide sind mir wichtig. Es ist auch eine Wechselbeziehung: Ich wachse in beiden Gebieten nicht, wenn ich nicht von Zeit zu Zeit die Seiten wechsle. Im Moment muss der Autor halt warten ...
Finden Sie das schade?Jonas Bonnier: Nein. Ich habe in den vergangenen 20 Jahren sechs Romane herausgebracht – der Takt ist schnell genug. Die nächsten Jahre werde ich mich nun auf die Arbeit als Konzernchef konzentrieren, der Job macht einfach Spaß. Aber es kann durchaus sein, dass ich wieder zu schreiben anfange. Beim Schreiben bin ich mehr ich.
Was macht denn am meisten Spaß am neuen Job?Jonas Bonnier: Ich bin gerne Chef. Und ich sage auch gerne, wo es lang geht, will Ideen verwirklichen. Der eigentliche Kern meiner Arbeit ist, für wichtige Aufgaben die richtigen Personen zu finden und sie an den Platz im Unternehmen zu setzen, an dem sie am besten aufgehoben sind. Bonnier ist ja ein Konglomerat und hat unzählige Sparten, wir sind mit zahlreichen Projekten in verschiedenen Ländern aktiv. Dort gibt es viele lokale Problemstellungen, um die ich mich gar nicht kümmern kann. Für mich ist es nur wichtig, Personen in diesen Ländern zu haben, denen ich die Lösung der jeweiligen Fragen anvertrauen kann.
Wie würden Sie sich als Chef beschreiben?Jonas Bonnier: Manipulativ und ... ein wenig zynisch.
Sie haben auch als Lehrer gearbeitet – können Sie als Konzernlenker auf manchen pädagogischen Kniff zurückgreifen?Jonas Bonnier: Sicher. Ich habe damals Teenager unterrichtet. In dieser Lebensphase sind die jungen Leute einerseits sehr offen, andererseits aber auch sehr rebellisch. Als Lehrer hat man die Herausforderung, Aufmerksamkeit und Interesse der Schüler aufrechtzuerhalten. Keine leichte Aufgabe. Es gibt Probleme, vor die man gestellt ist und die man lösen muss. Man muss analysieren, kombinieren und vermitteln. Sie sehen die Ähnlichkeiten?
Vor zehn Wochen haben Sie zum ersten Mal in der Bonnier-Geschichte 280 kreative Mitarbeiter, Verleger, Redakteure, Marketingmanager aus 110 Bonnier-Firmen eingeladen, um Ideen für neue Geschäftsmodelle zu finden. Hat sich das große Meeting gelohnt?Jonas Bonnier: Ja, das war richtig klasse! Wir haben uns in Alfred Nobels alter Dynamitfabrik von einer schottischen Percussionistin, einer Booker Prize-Gewinnerin, Web 3.0-Pionier Nova Spivack, Gap-minder-Stifter Hans Rosling, Hollywoodmogul Jim Berk, einer Design-Anthropologin und vielen anderen stimulieren lassen. Wenn wir das aufregendste Unternehmen der gesamten Medienindustrie sein wollen, müssen wir Menschen auf ungewöhnlichen, kreativen Wegen erreichen und viel Spaß haben. Auf dem Meeting war es faszinierend, nachzudenken und hinter die Dinge zu schauen. Wir wurden alle mächtig verwirrt.
Verwirrt?Jonas Bonnier: Verwirrt zu sein hat ungemein positive Effekte. Sehen Sie, wenn Sie von einer Konferenz kommen, bei der alle das Gleiche sagen, halten Sie das am Ende für richtig. Sind Sie aber verwirrt, müssen Sie nachdenken und eigene Schlussfolgerungen ziehen. So bewirkt die Verwirrung, dass Sie anfangen, Verantwortung zu übernehmen und Ihre eigenen Beschlüsse zu fassen. Verwirrung ist ein sehr kreativer Prozess.
Bei diesem Meeting sollte sich anfangs jeder Mitarbeiter mit nur sechs Worten beschreiben – wie haben Sie sich beschrieben?Jonas Bonnier: Ich hatte letztlich zwei Buttons – auf meinem roten Button stand: "Rebellischer Autor verwandelt sich in Familien-Schatzmeister". Und auf dem gelben: "Schafft immer Probleme, um sie zu lösen".
Bonnier hat Zeitungen, Bücher, Fernsehprogramme etc. – welche Kernbereiche bringen im Moment am meisten ein?Jonas Bonnier: Das Fernsehgeschäft. Und am wenigsten die Tageszeitungen – deren Reichweite sinkt jedes Jahr.
Werden die Tageszeitungen bald vom Markt verschwunden sein?Jonas Bonnier: Nein, das nicht, aber die Geschäftsmodelle müssen an neue Realitäten angepasst werden. Das Angebot wird künftig nicht mehr so breit gefächert sein. Vor allem wird die Tageszeitung nicht mehr eine Zeitung für alle sein: Sie muss sich viel stärker spezialisieren. Bestimmte Zeitungen wie das "Handelsblatt" laufen ja recht gut.
Werden Zeitungen künftig mehr mit dem Internet oder anderen Medien zusammenwachsen?Jonas Bonnier: Im Gegenteil. Eine Tageszeitung ist doch etwas anderes als ein elektronisches Medium. Nein, sie wird eigenständig überleben.
Gilt das Ihrer Meinung nach auch für andere Medien wie Bücher?Jonas Bonnier: Entscheidend ist, wie lang eine Geschichte oder ein Beitrag ist – entweder ist er länger als drei Minuten oder kürzer. In dieser Zeit muss man den Kunden fesseln. Längerer Beiträge passen nicht in elektronische Geräte, besonders wenn sie nur einen kleinen Bildschirm haben. Kein Mensch möchte sich auf einem winzigen Bildschirm lange Beiträge ansehen. Nein, für längere Geschichten sind der TV-Bildschirm und das Buch auch in Zukunft die eindeutig bessere Wahl.
Hat Bonnier die weltweite Finanzkrise zu spüren bekommen? In welchen Bereichen?Jonas Bonnier: Bisher ist sie nicht bemerkbar, Bonnier ist stabil. Wir erwarten aber, dass wir die Auswirkungen 2009 zu spüren bekommen und bereiten uns dementsprechend vor. Allerdings verzeichnen wir in den USA einen Rückgang um neun bis zehn Prozent bei Anzeigen- und Zeitschriftenverkäufen. In Europa reden wir mehr über eine kommende Krise. Die Frage ist: Wie lang wird die Krise sein und wie umfassend?
Werden denn die Bonnier-Zahlen für dieses Jahr in etwa dem Vorjahr entsprechen?Jonas Bonnier: 2007 war das absolut beste Jahr, das wir je hatten, einfach klasse. Das laufende Jahr wird dieses Niveau nicht ganz erreichen können. Es wird dennoch ein gutes Jahr werden, dessen Ergebnis immerhin über dem von 2006 liegen wird. Na, wir werden sehen.
Mit einem Buchverlag hat Bonnier 1837 begonnen – welche Rolle spielt heute das Verlagsgeschäft?Jonas Bonnier: Eine kleinere als 1837, aber es hat einen bedeutenden Anteil am Gesamtgeschäft und ist immer noch das Herz des Konzerns.
Wie global und wie regional muss heute das Verlagsgeschäft sein, um erfolgreich bestehen zu können?Jonas Bonnier: Extrem lokal. Es gibt natürlich einige internationale Synergien. Aber wenn wir beispielsweise einen norwegischen Buchverlag verkaufen würden, würde das den deutschen Markt gar nicht berühren. Nein, das Buchgeschäft bleibt sehr national orientiert.
In Deutschland gehören Bonnier die Verlage Ars Edition, Carlsen, Piper, Ullstein, Thienemann und der Buchvertrieb Blank sowie ein 30-prozentiger Anteil an Bisnode, zu dem auch der Fachverlag Hoppenstedt und der Wirtschaftsinformationsdienstleister D&B gehören. Wie sieht man in der Stockholmer Zentrale die deutschen Verlage?Jonas Bonnier: Das deutsche Geschäft hat ein großes Gewicht für uns. Schauen Sie nur mal in unseren Flur: Dort finden Sie einen meterlangen Teppich, auf dem die ersten zwei Kapitel von Hjalmar Söderbergs "Das ernsthafte Spiel" zu lesen sind. Als wir hier am Jahresbeginn eingezogen sind, wollten wir selbstverständlich einen Stockholmer Autor haben. Aber da der deutsche Verlagsbereich ungleich größer als der schwedische ist, haben wir uns entschieden, auf dem Teppich den Text in der deutschen Übersetzung abzudrucken; der Roman ist in der Reihe Piper Nordiska erschienen. Sie sehen: Der deutsche Markt ist für uns sehr wichtig.
Insbesondere Carlsen hat durch "Harry Potter" etliche Millionen zum Bonnier-Umsatz eingebracht ...Jonas Bonnier: Carlsen ist extrem wichtig, überhaupt Kinder- und Jugendbücher in Deutschland. Die "Harry Potter"-Verkäufe waren fantastisch, keine Frage. Aber noch fantastischer war Hape Kerkelings "Ich bin dann mal weg" bei Malik, weil es völlig unerwartet zum Bestseller wurde und sich schon lange auf Bestsellerlisten hält. Genauso wichtig ist aber ein breites Sortiment in den Verlagsprogrammen. Denn solche Bestseller halten ja nicht ewig. Dann ist es wichtig, gut aufgestellt zu sein. Und das ist der Carlsen Verlag. Er hat ja auch ohne "Harry Potter" ein vielversprechendes Programm und eine starke Backlist.
Haben Sie besondere Erwartungen an die deutschen Töchter?Jonas Bonnier: Wie gesagt: Deutschland ist für uns im Buchgeschäft das wichtigste Land. Meine Erwartung ist, dass das auch künftig so bleibt. Für Piper war 2007 ein sehr starkes Jahr, im Spätherbst 2007 ist das Geschäft auch bei Ullstein in Gang gekommen, doch, sämtliche deutschen Verlage gehen letztlich besser denn je.
In Deutschland gibt es im Unterschied zu Schweden eine feste Buchpreisbindung. Wie stehen Sie dazu?Jonas Bonnier: Der wichtigste Unterschied zwischen beiden Ländern ist für mich, dass Deutschland zehnmal so viele Einwohner hat: 82 Millionen. Aus der Buchpreisdiskussion möchte ich mich aber lieber heraushalten. Sie hat viele Vor-, aber auch viele Nachteile. Oder sagen wir es so: Ich habe volles Vertrauen zu meinem Deutschlandchef Hartmut Jedicke. Was er denkt, denke auch ich.
Würde in dieser Frage eine einheitliche Lösung für Europa das Geschäft für Bonnier nicht einfacher machen?Jonas Bonnier: Nein, ich finde es gut, so wie es ist. Sicher, hier Buchpreisbindung und da nicht, macht das Geschäft schwieriger. Aber ich mag es auch beim Spiel nicht, einfach zu gewinnen. Es ist schöner mit Regeln, die das Gewinnen schwierig machen.
Sie lieben Herausforderungen?Jonas Bonnier: Oh ja! Ich liebe Regeln, Hindernisse und jede Menge Probleme. Ohne Probleme wäre meine Arbeit langweilig.
Was würden Sie denn von festen Buchpreisen in Schweden halten?Jonas Bonnier: Ich bin ziemlich froh, dass wir in Schweden keine Buchpreisbindung haben.
1911 hat Karl-Otto Bonnier eine deutsche Niederlassung in Leipzig gegründet. Wäre ein Riesenverlag Bonnier Deutschland mit einer ähnlichen Größe wie Random House eine Option?Jonas Bonnier: Größe allein ist nicht so entscheidend. Man muss auch als Verlag interessant genug sein für Autoren, Illustratoren, Übersetzer ... Gleichzeitig muss er auch attraktiv für den Buchhandel sein. Die Frage ist: Wie groß muss man sein, um attraktiv zu sein? Ich glaube, dafür sind wir ausreichend groß. Ich habe nichts dagegen, weiter zu wachsen – Wachstum ist aber kein Selbstzweck. Wichtig ist mir in jedem Fall ein langsames und ein gesundes Wachstum. Zudem braucht man eine gewisse Größe, um Wirtschaftschwankungen gut überstehen zu können. In Deutschland ist das Geschäft auch dafür ausreichend groß.
Wie will Bonnier in Deutschland weiter wachsen?Jonas Bonnier: Nun ... unser Management hat da viele Ideen. Punkt.
Wie sieht es mit dem Wachstum in anderen Ländern aus?Jonas Bonnier: Wir sind gut aufgestellt und in 25 Ländern vertreten. Zurzeit brauchen wir keine weiteren Engagements in neuen Ländern. Wichtig finde ich aber, dass wir unser Engagement in den Ländern, in denen wir vertreten sind, intensivieren. In Deutschland haben wir uns bisher sehr stark auf die Buchbranche fokussiert. Es gibt einige Medien in Deutschland, die für uns schon interessant wären. Etwa Zeitschriften, Internetportale oder anderes.
Sind Sie aktiv auf der Suche, oder warten Sie auf eine passende Gelegenheit?Jonas Bonnier: Beides. Aber wir suchen heute aktiver als noch vor fünf Jahren.
Es heißt, Sie wollen den Umsatz in fünf Jahren auf 60 Milliarden Schwedische Kronen verdoppeln?Jonas Bonnier: Nein, nein, da werde ich stets falsch zitiert – ich habe nie Zahlen genannt. Ich bin der Meinung, ein Unternehmen muss wachsen und darauf sind wir auch fokussiert. Aber es kommt nicht darauf an, wie schnell das geschieht. Gerade in Zeiten der Finanzkrise wird es schwer sein, in den nächsten ein oder zwei Jahren überhaupt zu wachsen. Da muss man realistisch sein.
Bonnier bildet mit Büchern, Zeitschriften, Filmen und Fernsehprogrammen eine große Bandbreite im Mediengeschäft ab. Haben crossmediale Strategien eine Zukunft?Jonas Bonnier: Nein, im Gegenteil. Ich glaube, man unterschätzt häufig die Kompetenz, die nötig ist, um bei dieser Art Geschäft erfolgreich zu sein. Das Verknüpfen von Content setzt nämlich voraus, dass es Menschen mit Kompetenzen in allen Bereichen gibt – nur gibt es davon leider viel zu wenige. Zwar sind zunehmend technische Verknüpfungen möglich, doch das wichtigste sind eben nach wie vor die Inhalte, darauf kommt es an! Das war schon zu Sophokles' Zeiten so und ist bis heute die einzige Konstante – der Verbreitungskanal spielt nur eine untergeordnete Rolle.
Interview: Stefan Hauck, Peter Reelfs