Dialoge an der Schmerzgrenze, Intrigen ohne Sinn und Verstand: "Lobbyistin" bei ZDFneo soll eine Politserie über Berliner Strippenzieher sein - und scheitert erbärmlich. Von Peter Luley
Ein Stoff voller aktueller Bezüge auf Lobbyismus, schwarze Konten und Sexismus im Job. Ein Sender, der mit "Eichwald, MdB" bereits eine wunderbar entlarvende Comedy über den Berliner Politikbetrieb produziert hat. Und mit Rosalie Thomass eine tolle Hauptdarstellerin, die 2009 als junge Hannelore Kohl in die TV-Landschaft trat ("Der Mann aus der Pfalz") und mehrfach bewiesen hat, dass sie schwierigste Rollen meistert.
Es klingt vieles vielversprechend an "Lobbyistin", der neuen ZDFneo-Dramaserie, die laut Begleitwort "Debatten anstoßen, polarisieren und Fragen in den Raum stellen" will. Umso brutaler ist nun allerdings die Enttäuschung. Die sechs halbstündigen Folgen sind so dilettantisch geschrieben und inszeniert, dass im Handumdrehen jede Glaubwürdigkeit verspielt ist.
Schon die Prämisse der Handlung gibt Rätsel auf. Da wird die idealistische, für erneuerbare Energien kämpfende Bundestagsabgeordnete Eva Blumenthal (Thomass) als bestechlich denunziert, belastende Unterlagen werden dem Wirtschaftsminister zugespielt. Sie glaubt an eine Attacke der Atomindustrie und zeigt sich keiner Schuld bewusst. Doch sie spricht weder mit ihren Parteikollegen noch mit ihrem Lebenspartner darüber, sondern legt umgehend ihr Mandat nieder - und wechselt auf die Gegenseite, zur Beratungsfirma PPC, um der vermuteten Intrige auf die Spur zu kommen.
Was macht diese Frau?
Wenig später stellt sich heraus, dass sie sich vom Chef der Agentur (Bernhard Schir) vorübergehend 50.000 Euro geliehen hatte, um Schulden ihres psychisch kranken Bruders zu begleichen - die kompromittierenden Fotos, die sie eben noch als böswilligen Fake gebrandmarkt hatte, zeigen die Geldübergabe. Beim neuen Arbeitgeber verfolgt sie unterdessen nicht etwa die Strategie, sich zum Schein auf dessen Spiel einzulassen, um Vertrauen zu gewinnen, sondern gibt wieder die aufrichtig empörte Öko-Aktivistin. Spätestens da verlässt den Zuschauer der Glaube, das Handeln der Protagonistin irgendwie nachvollziehen zu können.
Womöglich im Bestreben, die umfassende Verderbtheit des Politikbetriebs vorzuführen, hat Autor und Regisseur Sven Nagel ("heute-show") auf zu vielen Ebenen ein paar Lügen zu viel eingebaut. Da hilft es auch nicht, dass er Eva Blumenthal im weiteren Verlauf noch eine sehr eigenwillige Libido, einen Herzfehler und eine LSD-Vergangenheit andichtet.
Hinzu kommen die Dialoge. Schmerzlich deutlich dienen sie der Informationsvermittlung ("Ist das so 'ne Art Retourkutsche, weil wir was hatten, und ich nicht mehr wollte?"), hier und da hätten sie in ihrer Schlampigkeit auch eine Nachsynchronisation vertragen (ein Lobbyist spricht davon, "dass die Fahruntüchtigkeit wohl erst bei 0,4 Promille beeinträchtigt sein soll").
Und ihren ersten Erfolg als Lobbyistin, das Kippen einer Vorlage für ein Null-Promille-Gesetz, erzielt Eva Blumenthal mit diesen mitreißenden Sätzen Heiterkeit: "Warum vergessen wir nicht mal die ganzen Studien und hören auf unseren gesunden Menschenverstand. Jeder von uns hatte doch schon mal 'nen schwierigen Moment im Leben, wo 'n Pils oder 'n Whisky dein bester Freund war, oder?" Gelächter im Ausschuss, Stimmung gedreht.
Rosalie Thomass hat sich für die unspielbare Rolle einen leeren Blick aus wächsernem Gesicht zugelegt, der immer alle Deutungsmöglichkeiten zulässt. Wer wirklich bis zur letzten Folge durchhält, bekommt dort von den Hauptfiguren Erklärmonologe nachgereicht, was eigentlich ihre Motivation war, sie selbst kommentieren das gelegentlich mit "Wow". Eine irrwitzige Wendung wird auf die andere gesetzt, und der finale Satz an Eva Blumenthal ("Ich möchte, dass du bleibst") ließe sogar eine Fortsetzung zu. Ach, danke nein, das muss dann doch nicht sein.
"Lobbyistin", ab Mitttwoch, 21.45 Uhr, ZDFneo
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