Das dachten sich auch die Macher der neuen Netflix-Produktion "Ragnarök": Sie stellen die Klimakrise in den Mittelpunkt des Dramas. Und garnieren das Ganze dann mit ein paar norwegischen Göttern.
Das erste Netflix-Original aus Norwegen ist der ambitionierte Versuch, eine Fantasy-Endzeit-Serie radikal in der Gegenwart zu verorten: Keine Zombies, kein kalter Krieg, sondern die Erderwärmung als größte Gefahr. Dramaturgisch ist das netflixtypisch gut erzählt, mit spannenden Cliffhangern und glaubhafter Charakterentwicklung.
Doch anstelle einer Auseinandersetzung mit den Einflussmöglichkeiten und der Verantwortung der Menschen - also dem, was aktuell wirklich diskutiert wird - weicht Netflix auf eine sehr flache Metaebene aus. Und das ist nicht nur ärgerlich, sondern auch gefährlich.
Der Name "Ragnarök" kommt aus der nordischen Mythologie und bedeutet etwa "Schicksal der Götter". Es ist die Geschichte vom letzten Kampf der Götterbande rund um Thor und Odin gegen die Riesen, die in der literarischen Vorlage letztlich gewinnen und die Welt zerstören.
Thor? Nein, mit den gleichnamigen Marvel-Verfilmungen hat all das nichts zu tun. Der Hammer fliegt trotzdem.Das liegt am "Ragnarök"-Protagonisten Magne. Er ist neu in der norwegischen Kleinstadt Edda, und entwickelt dort schon nach kurzer Zeit übermenschliche Fähigkeiten. So unterbietet er mal eben den Weltrekord über 100 Meter Sprint um zwei Sekunden oder spürt Veränderungen des Wetters.
Trotzdem bleibt er Außenseiter - so wie seine Mitschülerin Isolde, die auf eigene Faust gegen das mächtigste Unternehmen der Stadt, Jutul-Industries, ermittelt. Dieses steht im Verdacht, die Umwelt zu verschmutzen. Also nimmt Isolde Wasserproben, stellt Clips davon auf YouTube und setzt den Chef des Unternehmens unter Druck. Was Teenager 2020 eben so machen.
Magne und Isolde werden, natürlich, Freunde. Und für einen kurzen Moment wirkt "Ragnarök" wie eine ganz normale Coming-of-Age-Serie, irgendwo im norwegischen Nichts. Nach einem mysteriösen Unfall wirft der wütende Magne allerdings einen Hammer - 1,5 Kilometer weit. Es blitzt und donnert, während der Hammer in die Autoscheibe des Jutul-Chefs kracht.
Nicht nur die Helden, auch die anderen Schüler haben etwas zu verbergen: Magnes Klassenkameraden, die Kinder des bösen Unternehmers, führen in der ersten Folge folgenden Dialog: "Findest du nicht, ich sehe etwas zu alt aus für einen älteren Schüler? Ich könnte jünger aussehen, oder?" - "Du sollst aussehen wie 19, das passt doch."
Großindustrielle Gestaltwandler also - das Reptiloiden-Radar von Verschwörungstheoretikern klingelt bei solchen Gesprächen schon recht heftig. Wirklich glaubwürdig ist das allerdings nicht. Die Fäden der Macht ließen sich für für fiese Oberbösewichte sicher woanders besser ziehen als an einem kleinstädtischen Gymnasium.
Klingt verschwörerisch? Soll es auch.
Denn "Ragnarök" will gern eine Parabel auf aktuelle Klimaprobleme und deren Verursacher sein. Das wird aber leider mit Thors Vorschlaghammer vermittelt: Arm gegen Reich, Gut gegen Böse - es gibt keine Zwischentöne. Das Örtchen Edda hängt wirtschaftlich von genau einem Unternehmen ab, dieses Unternehmen zerstört die Umwelt, so einfach endet die Rechnung.
Bürgerinnen, Konsumenten, Politik? Trifft keine Verantwortung.
Denn generell sei etwas faul im Staate Norwegen, wissen Magne und seine Mitschülerin: Im Referat über die Demokratie stellen sie fest, dass die eigentliche Macht im Land allein bei der Wirtschaft liege. Und der Familienname der Unternehmer, "Jutul", bedeutet auf Deutsch nicht weniger als "Riese". Da glüht der Aluhut!
"Ragnarök" zeichnet so leider ein Bild, in dem der Einzelne keine Schuld oder Verantwortung für das Problem des Ganzen trägt. Wochenendtrips nach New York oder Südfrüchte im Januar? Egal, es sind die bösen Unternehmen - und nur die allein - die unserer armen Erdkugel schlimme Dinge antun.
Kapitalismuskritik ist gut und wichtig, wird in "Ragnarök" aber leider auf eine so platte und naive Art praktiziert, dass es einen glatt aus den von Kinderhand produzierten Sneakern haut.Das ist nicht nur schade, sondern gefährlich. Die reale Greta Thunberg redet nicht nur mit den Eliten, sondern ist mahnendes Vorbild für ihre und andere Generationen, die gemeinsam durch ihr Konsum- und Wahlverhalten die Klimakatastrophe mitverantworten. Denn Unternehmen könnten ihre klima- und umweltschädlich hergestellten Produkte und Dienstleistungen einfach einpacken, wenn die Politik sie verbieten würde. Oder, wenn sie niemand mehr kaufen würde.
Wenn es eine Weltverschwörung zur Vernichtung des Klimas gibt, dann sind wir alle darin involviert - womit sie dann eben keine Verschwörung mehr ist.
In "Ragnarök" sind es aber nicht wir Normalsterblichen, sondern Übermenschen, die den Klimawandel verantworten und auch bekämpfen müssen. Fast höhnisch taucht Thunbergs "How dare you?"-Rede in der YouTube-Seitenleiste auf, während Magne ein Video von Isolde schaut.
Die Macherinnen und Macher der Serie verorten ihre Serie damit zumindest ein wenig in unserer Realität. Sie suchen die Schuld aber nur auf einer Seite und tun damit leider vor allem eins: Sie vereinfachen die wahrscheinlich größte Herausforderung, vor der die Menschheit je stand.
Natürlich bleibt die Serie fantastische Fiktion, aber gerade die kann helfen, komplexe Zusammenhänge besser zu begreifen - und Lösungsansätze aufzeigen. Bei "Ragnarök" bleibt das Vergnügen darauf beschränkt zu sehen, wie einem gemeinen Umweltverschmutzer mal richtig eine verpasst wird.
Also stampft man sich ein paar importierte Avocados (aber bitte bio!), dippt Tortillas rein und schaut der Welt beim Untergang zu - ist ja unterhaltsame Fiktion. Alles andere wird schon irgendwer richten.
"Ragnarök", eine Staffel mit sechs Folgen á 45 Minuten, ab 31. Januar in Deutschland auf Netflix verfügbar.