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Der Verfassungsschutz und die Vernehmung von V-Mann "Piatto"

Der Verfassungsschutz und die Vernehmung von V-Mann “Piatto”

Dass Quellenschutz bei Geheimdiensten oberste Priorität genießt, wird derzeit beim NSU-Prozess in München einmal mehr deutlich. Der Verfassungsschutz Brandenburg behindert die Vernehmung des V-Mann "Piatto". Einige meinen sogar: Der Geheimdienst will sie verhindern. Von Patrick Gensing

Am 4. November 2014 soll der Zeuge Carsten Szczepanski vernommen werden. Nach Angaben von Vertretern der Nebenkläger liegt für den Zeugen erstmals eine sogenannte Sperrerklärung vor. Der Brandenburger Verfassungsschutz möchte, dass sein ehemaliger V-Mann „Piatto" nicht in München aussagt. Allenfalls sei eine Videovernehmung mit einem unkenntlich gemachten Zeugen in Begleitung eines Rechtsbeistandes möglich.

Von diesem Rechtsbeistand sei nicht klar, wessen Interessen er eigentlich vertreten soll und wer ihn dafür bezahlt, betont Rechtsanwalt Scharmer. Der Anwalt betont, dass der Beistand darauf achten solle, dass keine Fragen über die Aussagegenehmigung hinaus beantwortet werden. Zudem soll die Öffentlichkeit aus der Verhandlung ausgeschlossen werden, weil Carsten Szczepanski im Zeugenschutzprogramm sei. Zu groß sei angeblich die Gefahr, dass von rechtsextremistischen oder vermeintlichen linksextremistischen Kreisen Gewalt gegenüber dem Zeugen ausgeübt werden könnte.

Rechtsanwalt Scharmer erklärt dazu: "Wir haben insoweit den Senat darum gebeten, dem Verfassungsschutz Brandenburg noch einmal die realen Bedingungen in München mitzuteilen. Der Angeklagte Carsten Szczepanski sitzt seit über 150 Verhandlungstagen im Saal. Gefahren für Gewalttätigkeiten sind insoweit nicht ersichtlich. Fotos von ihm kursieren in der Presse nicht. Er hat separaten Zugang und wird von Beamten des Zeugenschutzes abgeschirmt. Tino Brandt, ebenfalls ehemaliger V-Mann, hat umfangreich und ohne Zeugenschutzmaßnahmen ausgesagt. Gefahren für ihn sind nicht ebenfalls ersichtlich, obwohl sein aktueller Aufenthaltsort bekannt ist. Das Thüringer Landesamt für Verfassungschutz hat für keinen V-Mann bislang eine Sperrerklärung abgegeben. Der Angeklagte Holger G. war ursprünglich auch im Zeugenschutzprogramm. Inzwischen läuft er ohne Beschränkungen und Bewachung im und vor dem Gericht herum. Gefahren für ihn sind nicht ersichtlich, obwohl er jedenfalls in seinen BKA-Vernehmungen belastende Angaben gemacht hat."

Scharmer stellt fest, dass der Brandenburger Verfassungsschutz die Vernehmung des ehemaligen V-Manns "stark erschweren, wenn nicht sogar verhindern" will. Er "sabotiert damit die notwendige Aufklärung des Strafverfahrens und vergrößert damit Chancen für mögliche Rechtsmittel der Angeklagten". Die Gründe dafür erscheinen vorgeschoben, so Scharmer. Der Verantwortliche SPD-Innenminister Holzschuher aus Brandenburg sollte diese Entscheidung dringend überdenken.

Kooperation mit einem Schwerverbrecher

Es lohnt sich in diesem Kontext, sich noch einmal die Geschichte des Weißen Wolfs anzuschauen, wo bekanntermaßen im Jahr 2002 ein Gruß an den NSU veröffentlicht worden war. Ein Jahr zuvor hatte das von kriminellen Neonazis unter staatlicher Aufsicht gegründete Fanzine zudem einen Artikel über "Ausländerviertel" in Hamburg gebracht - just zu dem Zeitpunkt, als der NSU in der Hansestadt mordete. Das radikale Neonazi-Fanzine wurde 1996 in Brandenburg gegründet - in einer Justizvollzugsanstalt. Offenkundig konnten sich die kriminellen Neonazis auf die Infrastruktur im Knast stützen - Papier und Kopierer wurde den völkischen Fanatikern zur Verfügung gestellt - und so konnten sie ihren Rundbrief für Gefangene vervielfältigen.

Der Weiße Wolf wurde nach übereinstimmenden Berichten maßgeblich von Carsten Szczepanski ins Leben gerufen. Der saß im Knast, weil er beteiligt war, als 1992 ein Asylbewerber auf brutalste Weise fast totgeprügelt wurde. Das Urteil: acht Jahre Haft. Der Geheimdienst warb den Schwerverbrecher 1994 als Partner an (Deckname "Piato" oder auch "Piatto" geschrieben). Szczepanski soll zu diesem Zeitpunkt bereits eine Größe im internationalen Rechtsextremismus gewesen sein - mit besten Kontakten beispielsweise zum KKK in den USA.

Das Antifa-Infoblatt berichtete: "[Ein] 1992 geführtes Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft gegen Szczepanski wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung in Form einer terroristischen Teilorganisation des KKK wurde wegen nicht hinreichender Bestätigung eingestellt. Dabei wurden in diesem Zusammenhang in einer von ihm vormals angemieteten Wohnung vier Rohrbomben, chemische Substanzen und eine Zündvorrichtung sichergestellt." Schon damals war Szczepanski als Fanzine-Macher aktiv, in den Blättern wurde über den bewaffneten Kampf diskutiert - die Idee war, über kleine Zellen ein Netzwerk zu bilden.

Anführer einer Terror-Zelle?

Der Rechtsextremist Nick Greger behauptete in seinem Buch "Verschenke Jahre - Eine Jugend im Nazi-Hass" zudem über Carsten Szczepanski, dieser habe offenkundig einen Brandanschlag auf sein eigenes Auto vorgetäuscht, um seine Kameraden zu terroristischen Aktionen gegen Antifas anzustacheln. Greger behauptet weiter, es habe daraufhin einen Deal gegeben, damit er nicht aussage, dass Szczepanski Anführer dieser quasi terroristischen Zelle gewesen sei. Greger vergisst allerdings zu erwähnen, dass auch er vorübergehend mit dem Geheimdienst kooperierte, wie nun enthüllt wurde.

Kurzum: Der Verfassungsschutz könnte angesichts dieser Geschichten und Verwicklungen gute Gründe haben, möglichst wenig aus Szczepanskis Werdegang und Wissen herauskommen zu lassen. Allerdings geht es in dem NSU-Prozess nicht um die Interessen des Geheimdienstes, sondern um die Aufklärung einer terroristischen Mord- und Anschlagsserie.

Weiterführende Informationen zum Thema:

Ministerium verharmloste rechte Propaganda aus dem Knast - Die Zeit über den Weißen Wolf

Nick Greger: Verschenkte Jahre - eine Jugend im Nazi-Hass

Spitzel im NSU-Umfeld - eine Übersicht des Antifa Infoblatts

Der Fall Carsten S. - Artikel bei NSU-watch

V-Mann "Piatto" - Antifa Infoblatt mit zahreichen Details über Carsten S.

Um- statt aussteigen - Antifa Infoblatt über Nick Greger

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