„Ist'n Zwei-Meter-Kanak mit langen Haaren, der sich Apache nennt. Come on!" ruft Xatar, Gründer des Bonner Musiklabels Alles oder Nix Records, und er könnte es nicht positiver meinen. Two-Sides-Labelchef Bausa ( Was du Liebe nennst) will beim ersten Hören 30 Sekunden gebraucht haben, um zu wissen, dass er ihn unter Vertrag nehmen will. Es sind zwei von unendlich vielen Lobeshymnen, die in der gerade auf Amazon Prime erschienenen Dokumentation Apache bleibt gleich auf den 1997 geborenen Rapper Apache 207 gehalten werden - von Freunden, Geschäftspartnern, Kollegen, selbst ehemaligen Lehrerinnen.
Spätestens seit Roller (2019) ist Volkan Yaman etabliert: schwarze Haare bis zur Brust, Tanktop, auffälliger Schmuck. Und die stets hinter einer Sonnenbrille verborgenen Augen. Auch im Film sind sie nicht zu sehen, schließlich seien sie das Tor zur Seele, so Yaman in einer der ersten Szenen. Und von der solle man nur sehen, was er bereit sei, zu offenbaren.
Bisher war das nicht viel und die Dokumentation erhebt den Anspruch, das ändern zu wollen. Den erzählerischen Rahmen bildet die erste eigene Show im Oktober 2021. Bevor der Mensch Volkan Yaman durchleuchtet wird, bekommen wir eine gute Portion Apache 207 serviert. Vor dem Spiegel Haare richtend, dann auf dem Rücksitz eines teuren Autos, unterwegs zum ausverkauften Auftaktkonzert seiner ersten eigenen Tour. Er umarmt seinen Bruder. „Davon haben wir geträumt, Mann." 30.000 Menschen schreien seinen Namen.
Kurz darauf stapfen wir mit diesem Superstar durch eine verlassene Schneelandschaft, pusten einsam Zigarettenrauch in die Nacht, parken auf dem Schulhof eines Ludwigshafener Gymnasiums. Der Film legt Wert auf Kontraste. Und so kommt eine Szene zustande, die in über dreißig Jahren deutscher Hip-Hop-Geschichte wohl ein Novum sein dürfte: ein Nummer-eins-Rapper im Kreise seiner ehemaligen Lehrerinnen und Lehrer. Niemand von ihnen hat auch nur ein schlechtes Wort über ihren ehemaligen Schüler zu sagen, der lässig-schäkernd im Türrahmen des Klassenraums der 6b lehnt. Apache, ein „ teacher's pet". Warum nicht.
Rauchen im engen BadSein älterer Bruder Hakan, heute sein Manager, scheint zu Anfangszeiten das Korrektiv gewesen zu sein, das vielen Nachwuchsrappern fehlt. „Schlecht ist es nicht, aber ich würde damit nicht an die Öffentlichkeit", habe er gesagt, als sein kleiner Bruder ihm erste Texte zeigte, erzählt Hakan. Und so fällt die Debütsingle Kleine Hure - bis auf ihren selbst für Deutschrapverhältnisse bemerkenswert frauenverachtenden Inhalt - so souverän und hochwertig aus, dass sich in der Szene prompt alle Augen auf Apache richten. Ab hier geht es steil bergauf, der Film schwelgt ausgiebig in den erwähnten Lobgesängen. Producer und Labelchefs kommen zu Wort, preisen Stimme und Sound, Aura und Stilsicherheit. Alles an Apache ist „ fresh as fuck".
Geschlagene zwanzig Minuten vergehen, bis der Film den ersten Bruch wagt. Markiert wird der von einer Handyaufnahme, die Yaman auf einer Preisverleihung zeigt, in herzerwärmend gebrochenem Dritte-Generation-Türkisch seiner Mutter dankend. Also dann, auf in die Vergangenheit.
Eingebetteter MedieninhaltDie beiden Brüder besuchen ihre alte Plattenbauwohnung, werden im Kinderzimmer emotional, rauchen im engen Bad. Unterbrochen sind die Szenen von Interviewsequenzen in betont luxuriösen Hotelzimmersettings. Als wolle der Film sichergehen, dass auch der Letzte begreift, dass wir es hier mit einer Aufsteigergeschichte zu tun haben, lässt er den Protagonist von „Schattenseiten" seiner Jugend berichten, inklusive Pfandflaschen abgeben im Supermarkt. Musikalisch begleitet wird das Ganze von einer melancholischen Slow-Version seines Hits Brot nach Hause. Manipulativ? Bestimmt. Und doch: man kann nicht anders, als ihm die Welt zu gönnen. Auch dann noch, als er in einem barocken Schlosssaal unter einem Deckenfresko sitzt und versichert, früher sei sein Leben schöner gewesen.
Die zweite Hälfte des Films lässt sich mit DJ Khaleds Albumtitel Suffering from Success zusammenfassen. „Natürlich wollen wir alle geschäftlichen Erfolg haben", gesteht Patrick Mushatsi-Kareba, Manager bei Sony Music, und schürzt die Lippen. Der - nicht näher beschriebene und schon gar nicht bezifferte - Vertrag diktiere „gewisse Ziele". Erfolg erzeugt Erfolgsdruck, so läuft die Branche. So richtig daran scheitern sehen wir Yaman nie, dafür ist er zu gut. Nur scheint der Film das nicht wahrhaben zu wollen. Der Spannungsbogen, den die immer wieder eingeblendete Information, wie viel Zeit noch bis zum Konzert bleibt, erzeugen soll, fällt in sich zusammen. Ebenso, was offenbar als dramaturgischer Höhepunkt gedacht ist: eine Videopremiere wenige Wochen vor der Show. 500.000 Aufrufe, für Apache-Verhältnisse ein Flop. Noch bevor die Zuschauerin darüber in Sorge geraten kann, darf sie schon wieder aufatmen. „Das war eine sehr interessante Erfahrung für mich", resümiert Yaman. „Wenn du so einen hohen Standard gewöhnt bist, fühlst du dich manchmal vielleicht zu sicher." Der Film endet mit einem erfolgreichen Auftritt und einigen Learnings zum Thema Erwartungsmanagement.
Eingebetteter MedieninhaltMacht der Film Spaß? Und wie. Hält der Film, was er verspricht - einen Eindruck vom Seelenleben eines der talentiertesten deutschen Musiker seiner Generation zu vermitteln? Nicht im Geringsten.
Was dem noch am nächsten kommt, sind die Einblicke in seine Beziehungen. Bei der rührend ehrlichen Bromance zwischen Volkan, Hakan und Schulfreund Johannes kann man schon mal über einen unausstehlichen Lucas Teuchner hinwegsehen, der partout nicht aus dem Marketingsprech kommt und die Dollarzeichen in seinen Augen während der Entstehung einer gelungenen Hookline mit einer beidhändigen Geldzähl-Geste untermalt. Business is business. Auch, dass Frauen sowohl im Film als auch in Apaches Leben in eine der beiden Kategorien fiktives lyrisches Du und ikonisierte, weil aufopfernde Mutter zu fallen scheinen, verzeiht man ihm ohne Probleme. Denn, wie er der FAS kürzlich sagte, man kann mit ihm über alles reden: „Ich werde bestimmt immer wieder mal etwas sagen, was nicht so schlau ist. Aber keiner ist fehlerfrei. Ich gebe einfach immer mein Bestes." Und das ist bei Apache einfach verdammt gut.
Apache bleibt gleich Nepomuk Fischer Deutschland 2022, Prime Video