Mit dem ersten UN-Gipfel zum Schutz der Ozeane rückt die Staatengemeinschaft auch den Plastikmüll ins Blickfeld. In den deutschen Küstenregionen sucht man bereits nach Lösungen, von denen nicht nur die Natur profitieren könnte.
Manchmal lassen sich globale Probleme auf Quadratzentimetern nachvollziehen. Das gilt zum Beispiel für den Mageninhalt verendeter Seevögel: Mikroplastik, Reste von Fischernetzen, Handyteile und anderen Müll haben Umweltschützer in den Bäuchen von Möwen, Kormoranen und Albatrossen gefunden. Rund 322 Millionen Tonnen Plastik wurden nach Angaben des Weltwirtschaftsforums (World Economic Forum) 2015 produziert, Tendenz steigend. Allein von den Plastikverpackungen gelangen nach WWF-Angaben weltweit 32 Prozent in die Umwelt - ein Teil davon ins Meer.
Das wird auch an den deutschen Küsten sichtbar. Nach jüngsten Daten des Umweltbundesamts finden sich in den Küstenregionen auf 100 Metern Strand durchschnittlich 389 Müllteile - eine Zahl, die ohne die funktionierende Abfallwirtschaft in Deutschland nach Ansicht von Experten weit höher wäre.
Schon 2050 könnte das Gewicht des in den Ozeanen treibenden Plastiks größer sein als das Gesamtgewicht der dort lebenden Fische, wenn nicht mehr gegen den Müll getan werde, warnte UN-Generalsekretär António Guterres bei der ersten UN-Konferenz zum Schutz der Meere Anfang Juni. Doch nicht nur Staaten ringen um gemeinsame Positionen, auch Unternehmer planen Systemlösungen, was nicht einfach ist.
Aufbau von AbfallsystemenEin im vergangenen Jahr in Kiel gestartetes Netzwerk aus zehn Unternehmen, das im Rahmen des Zentralen Innovationsprogramms Mittelstand (ZIM) vom Bundeswirtschaftsministerium gefördert wurde, scheiterte noch im Entstehungsprozess. "Einige der Partner haben sich in dem Projekt mit ihren Ansätzen nicht mehr wiedergefunden", sagt Projektkoordinator Dirk Lindenau: "Es gab unterschiedliche Lösungsansätze und Philosophien."
Nun will der Kieler Schiffsbauer und Unternehmer ein neues Netzwerk aufbauen. "Ein Netzwerk aus Industrie und Wissenschaft in ganz Deutschland - das ist unser Ziel." Interesse haben unter anderem ein Hersteller von Schiffsbedarf, ein Institut für Meeresfischerei und eine Reederei signalisiert. Bei erfolgreichem Antrag winken Fördermittel. Und die Unternehmer dürfen auf Aufträge und neue Geschäftsfelder hoffen.
Wer wolle, dass sich auch Schwellenländer für den Schutz der Meere einsetzten, müsse sie beim Aufbau funktionierender Abfallsysteme unterstützen und Anreize schaffen, sagt Lindenau. "Wenn sie keinen Zugang zu Trinkwasser und Nahrung haben und möglicherweise in einem Krisengebiet leben, sind ihnen andere Themen wichtiger. Diese Spannbreite dürfen wir bei unseren Lösungen nicht außer Acht lassen."
Umweltschutz als GeschäftsmodellBeim Ringen um globale Lösungen könne die norddeutsche Küstenregion als maritimer Wissensstandort eine Vorreiterrolle einnehmen. Und die deutsche Abfallwirtschaft könnte Pate stehen für Länder ohne funktionierendes Entsorgungssystem, glaubt Lindenau. Wie der Wissenstransfer vom Recycling-Weltmeister Deutschland zu Ländern ohne moderne Abfallwirtschaft gelingen könnte, zeigt ein System, das der Unternehmer für die Kapverdischen Inseln entwickelt hat: Ein Schiff soll zwischen den Inseln pendeln und den Müll einsammeln, ein anderes dient als Recyclinganlage, auf dem der Müll verdichtet und aufbereitet wird. Auf einem weiteren Schiff wird aus dem Abfall Energie gewonnen. Die Erträge sollen das Abfallsystem mitfinanzieren.
Einen anderen Ansatz testet die Umweltstiftung WWF unter anderem in der Ostsee. Mit einer kleinen Harke - ein etwa 20 Zentimeter langes Gerät mit Widerhaken - bergen die Umweltschützer dort seit März 2016 Geisternetze. Das sind verloren gegangene Fischernetze aus Kunststoff, die sich auf den Meeresböden ablagern und über Jahrhunderte zur tödlichen Falle für Meerestiere werden.
Offen ist, wie sich das Harken auf empfindliche Lebensräume auswirkt. "Wir gehen grundsätzlich nicht auf Seegraswiesen oder an Muschelbänken auf die Suche. Auch Schiffswracks, die unter Denkmalschutz stehen, umfahren wir", sagt Angela Stolte vom WWF-Büro in Stralsund. Erkenntnisse sollen im August in einer Studie veröffentlicht werden. Es zeichne sich aber bereits ab, dass "die Schadwirkung im Vergleich zu anderen Geräten gering" sei, sagt Stolte.
Auch beim WWF geht es um Kreislaufwirtschaft, um die Frage, wie aus Müll ein nachhaltiger Rohstoff wird, wie aus Nylonnetzen Outdoorklamotten und Rucksäcke werden können. Es ist die Vision eines Umweltschutzes, der nicht nur auf Idealismus setzt, sondern auch Geschäftsmodelle und Aufträge für Unternehmer bereithält.
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