Eine queere Band veröffentlicht im Jahr 2023 ein neues Album. Eigentlich ist das keine Meldung mehr wert, belegt der Erfolg internationaler Popstars wie Harry Styles, Cardi B oder die Rockband Maneskin, dass Songs über sexuelle Gleichberechtigung, Selbstbestimmung und die Auflösung von Geschlechterrollen im Mainstream angekommen sind. Der Sammelbriff queer stellt Gendernormen in Frage und ist eine politische Zuschreibung, deren Wirkkraft beim jungen Publikum auch die Musikindustrie erkannt hat. Viele Bands beginnen ihre Karriere heutzutage schon mit dem Label queer. Dabei ist im Einzelfall nicht immer sofort klar, ob queere Themen in der Musik aus echter politischer Überzeugung geäußert werden, oder sich einem woke-queeren Zeitgeist anpassen.
Auch die Hamburger Band Schrottgrenze bedient auf ihrem zehnten Album »Das Universum ist nicht binär« einen woke-queeren Zeitgeist, allerdings liegt ihrer Politisierung eine authentische Geschichte zugrunde: die der persönlichen Veränderung der Sängerin Saskia Lavaux.
War Schrottgrenze zu Anfang noch eine wilde Teenager-Punkband aus der niedersächsischen Kleinstadt Peine, entwickelte sich die Band sehr schnell zu einer Indie-Rockband, die sich in den 2000er Jahren stilistisch irgendwo zwischen »Tomte« und »Kettcar« verortete. Es entstanden Indie-Hits wie »Fernglas« oder »Belladonna«. Melancholische Rockmusik für Nietengürtel tragende Jugendliche, in einer Zeit, in der man Turnschuhe der Marke Vans noch mit roten Edding verzierte und es noch die Subkultur Emo gab. Auch aus dieser Phase entwickelte sich die Band weiter, es gab jetzt mehr Pop als Punk, die Texte wurden poetisch verdichteter, einfach besser. Trotzdem löste sich die Band nach internen Problemen 2010 auf. Sieben Jahre später fand sie wieder zusammen.
Und das in wortwörtlich neuem Gewand. Sängerin Saskia Lavaux hatte sich während der Bandpause als Trans geoutet. Die Veränderung der Sängerin veränderte die Inhalte der Songtexte. Jetzt ging es Schrottgrenze nicht mehr darum, nur zu unterhalten. Seit ihrer Wiedervereinigung 2017 will die Band eine queere Lücke in der deutschsprachigen Musiklandschaft schließen. Sängerin Lavaux sieht dringenden Nachholbedarf und sagte kürzlich in einem Interview. »Ich habe es satt, ausschließlich von hetero-normativen, zweigeschlechtlichen Lovesongs beschallt zu werden.«
Zwischen »Boomer-Tränen« und »Happyland«
Folgereichtig, dass die Sängerin auf dem albumgegebendem Titeltrack keine halben Sachen macht und die inhaltliche Marschroute mit den Zeilen »Stell dir vor, wir wachen auf, und es wär' der allerschönste Morgen/ denn das Patriachat wäre gestorben« vorgibt. Auf »Das Universum ist nicht binär« befassen sich Schrottgrenze mit aktuellen Debatten, richten in »Boomer-Tränen« das Wort an eine ewig gestrige Generation, die sich aktuellen Debatten um Klimaschutz verschließt. (»Sie kennen keine Limits/ Keine Tempolimits Und immer nur das eine alte Lied/auf ihrem Weg in die Rentnerrepublik.«)
Im Song »Happyland«, der mit der Rapperin Finna entstanden ist, geht es um die Selbstdarstellung in sozialen Netzwerken, um etwas, was die Band selbst als toxische Positivität bezeichnet. »Ich sehe nur good vibes only in den stories/ good vibes only/ ohne worries/ in Happyland«. Doch statt zu mahnen, belächelt die Gruppe diejenigen, die sich vollends dem Instagram-Algorithmus ergeben haben.
Musikalisch erfinden sich die früheren Vorstadtpunks auf ihrem neuen Album allerdings nicht neu. Sanfter Gittarrenpop umhüllt die politischen Aussagen der Band, statt der Kompositionen stehen die Texte im Vordergrund. Am Ende bleibt die Erkennntnis, dass das Universum nicht binär ist – und die Welt, in der wir leben, nicht gerecht. Aber zumindest Letzteres lässt sich ja vielleicht ändern.