Malz und Hopfen sind vermischt, die Hefe auch, da rufen die Muezzins zum Nachtgebet. Kurz schaut Verim von seiner Dachterrasse auf, die hoch oben im Istanbuler Abendhimmel liegt. Dann greift er wieder zu Bier Nummer 7, seinem Liebling, und nimmt einen kräftigen Schluck.
Was Verim und seine drei Freunde in der türkischen Millionenstadt tun, ist nicht illegal, nicht tollkühn. Und dennoch ist es alles andere als das, was sich Präsident Erdogan mit seinen islamischen Umbauplänen für die Türkei vorstellt: Sie brauen Bier.
Vor einem Jahr bestellten Verim, Emin, Özgür und Görken im Internet für etwa 80 Euro eine Grundausstattung zum Bierbrauen und ein erstes Kit mit Malz, Hopfen und Hefe. Seitdem brutzeln die vier Computeringenieure zum Feierabend nicht nur Köfte und essen Salat, sondern sie brauen auch Bier. Emin zeigt stolz seine Brautabelle auf dem Smartphone. Jeder Brauvorgang ist aufgelistet, die Mengen, die Gärzeiten - die vier wollen nichts dem Zufall überlassen.
"Normalerweise brauen wir zuerst, bevor wir trinken"Bier 7 sei besonders gut gelungen, meint Emin, und lässt einen seiner Freunde ein paar Flaschen holen. Auf dem Tisch stehen nun die Nummern 6 bis 9. Jedes wird geöffnet und feierlich in Gläser gegossen. Bitte Ruhe, der Gast kostet. Das Biertrinken wird hier regelrecht zelebriert. Auch die vier Freunde kosten nochmal, halten die Gläser ins Licht, stecken die Nase tief herein. Die 7 schmeckt besonders frisch und ein wenig süß, besser als die anderen.
Heute wird ein weiterer Versuch unternommen. Verim führt nach drinnen, wo seine und Özgürs Frau sitzen - und den Männern belustigt zusehen. Beide sind schwanger und können nicht mittrinken. Die Männer haben schon gut einen sitzen. Wer Bier braut, trinkt eben auch. „Normalerweise brauen wir zuerst, bevor wir trinken. Das Ergebnis ist dann besser", sagt Verim lachend.
Zuerst werden Eimer und Werkzeuge desinfiziert. Danach darf kein Finger mehr in den Eimer hinein. Das Malz ist bereits zu einer Würze verarbeitet und wird mit heißem Wasser aufgegossen. Später kommt der Hopfen dazu, der für den typischen bitteren Biergeschmack sorgt. Welches Malz, welcher Hopfen, welche Mengen, zu welchem Zeitpunkt was hinzugefügt wird - all das wirkt sich auf den Geschmack aus und wird von den vier Freunden jedes Mal variiert.
Mit dem Alkohol in der Türkei ist das aber so eine SacheUnd Geschmack steht hier über allem. Die vier Türken sind Genussmenschen. Verim stammt aus der Ägäis. Seit 150 Jahren stellt seine Familie aus Trauben Raki her, den traditionellen Anis-Schnaps, ein türkisches Nationalgetränk. „Mein Vater hat mich als Kind schon probieren lassen", sagt er. „Der Alkohol gehört in meiner Kultur einfach dazu."
Mit dem Alkohol in der Türkei ist das aber so eine Sache. Nach Daten der Weltgesundheitsorganisation trinken vier von fünf Türken gar keinen Alkohol. Weil so wenig Bier gekauft wird und es deswegen länger in den Läden steht, muss es auch länger haltbar sein. Das meistverkaufte türkische Bier, Efes Pilsen, ist deswegen lange Zeit pasteurisiert worden. Das Aufkochen macht es haltbarer, doch so verliert es deutlich an Aroma.
Dennoch ist es für türkische Verhältnisse teuer, im Laden umgerechnet 1,50 Euro, in der Bar mindestens 4 Euro. Die schlechteste Flasche Wein kostet im Laden 5 Euro, für guten Wein oder Hochprozentiges muss man richtig tief in die Tasche greifen. Die hohen Preise sind Ergebnis einer religiös motivierten Politik der AKP-Regierung.
Der sowieso geringe Alkoholkonsum wird vor allem mittels hoher Steuern bekämpft, die binnen weniger Jahre verdoppelt und verdreifacht wurden. Zwischen 22 und 6 Uhr darf kein Alkohol mehr in Läden verkauft werden, im Umfeld von Schulen und Moscheen ganztägig nicht. Viele kleine Läden mussten schließen. Oder sie verkaufen unter der Hand weiter, auf eigenes Risiko.
Daneben gilt ein strenges Werbeverbot. Wer auf die Internetseiten von Bierfirmen klickt, hat das Gefühl ein Krimineller zu sein. Die Website von Efes Pilsen ist sogar gesperrt. Auf der Seite der Mutterfirma Anadolu Efes gibt es schöne Fotos von Hopfen und Gerste, aber bloß kein Bier zeigen. Die Facebook-Seite Craft Beer Istanbul leitet jede Ankündigung von Events mit „Das ist keine Werbung!" ein.
Ein Akt der Selbstermächtigung
Haben Verim und seine Freunde Angst, dass auch das private Brauen bald verboten wird? „Noch ist es nicht so schlimm", sagt Verim. „Aber lange gebe ich dem nicht mehr. In der Türkei weiß man nie, was als nächstes kommt." Görken sieht es eher mit Humor: „Jedes Mal, wenn wir Bier kaufen, bestellen wir eins auf Tayyip mit. Der wird das schon nicht verbieten, denn der macht durch die Steuer ordentlich Kohle. Also trinken wir quasi auf ihn."
Özgür vergleicht die Steuererhöhungen mit denen im Iran, wo schließlich weitere Verbote folgten, und sagt: „Man denkt schon darüber nach, ins Ausland zu gehen, bei allem, was hier passiert." Jetzt wird es hitzig. „Quatsch, wir machen hier nichts Illegales, das ist für Spaß und Genuss", wirft Emin ein.
Gleichwohl sehen die Jungs ebenso wie viele andere Selbstbrauer ihr Tun als einen Akt der Selbstermächtigung. Der Staat will nicht, dass wir Alkohol trinken? Dann erst recht. Abgesehen davon trifft man sich beim gemeinsamen Bierbrauen und Biertrinken natürlich mit seinesgleichen. Das schafft Vertrauen in sich und sein soziales Umfeld, in einer Zeit, die für politisch aufgeweckte Türken ansonsten wenig Hoffnung bietet.
Nur durch ständiges Probieren kann das Bier besser werdenAuf der Dachterrasse von Verim ist die Mische nun fertig und wird in den Abstellraum gehievt. Mit Kraft heben die Männer den Biereimer ins Regal, mit Gefühl bringen sie nun die Hefe ins Spiel. Der Deckel wird leicht angehoben, die Hefe hinein gerieselt, dann ist Ruhe im Eimer. Das Bier wird zur Gärung etwa zwei bis drei Wochen lagern, dunkel, ohne Bewegung.
Zwischendurch wird gerne mal gekostet. Noch bevor die Hefe in den Topf kommt, gibt es einen Schluck. Es schmeckt ein wenig wie Wein, süffig, ohne Kohlensäure, die macht ja erst die Hefe, noch gab es keine Gärung. Und auch später, wenn die Gärung läuft, werden die Männer in die Abstellkammer schlüpfen. Dann probieren sie das Gemisch, schreiben das Geschmackserlebnis auf. Nur durch ständiges Probieren kann das Bier besser und besser werden.
So kann man viele Abende und Stunden verbringen und alles durchdiskutieren. Das macht das Bier zu einem Kulturgut, bei dem Wissen, Erfahrung und ganz viel Kommunikation mit dranhängen. Und dieses Kulturgut gehört ganz offensichtlich zur Türkei. Genauso wie der Ruf des Muezzins, die Moschee, die Enthaltsamkeit. Verim und seine Freunde wollen dafür sorgen, dass es so bleibt.
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