Die Figur des Frank Underwood, die Kevin Spacey in der erfolgreichen US-Politikserie House of Cards verkörpert, wird von Kritik und Publikum gleichermaßen gefeiert. Was dabei jedoch oft übersehen wird: Erstens dreht sie die Fortschritte brillanter Figurenzeichnung in Serien wie Six Feet Under, The Wire und anderen um mindestens zwei Jahrzehnte zurück. Und zweitens hat ihr Protagonist keinerlei Ähnlichkeit mit den realen Politprofis. Im Gegensatz zu vielen anderen Serien lebt House of Cards aber gerade von seinen direkten Bezügen zum aktuellen politischen Geschehen. Das könnte man leichtfertig für Realismus halten. Manche Kritikerinnen und Kritiker tun es bis heute.
Die dritte Staffel der Serie treibt das Spiel mit den Bezügen zum aktuellen Weltgeschehen mit dem Auftritt zweier Pussy-Riot-Mitglieder auf die Spitze. Doch selbst hier bleibt die Serie wenig mehr als eine schön anzuschauende Bestätigung abgeschmackter Ressentiments: Diese Politiker, völlig prinzipienlos. Politik verlangt im Universum von House of Cards drei Charaktereigenschaften: Rhetorik, Rücksichtslosigkeit und Timing. So funktioniert House of Cards zwar als beste und teuerste Seifenoper der Welt, aber eben nicht als politische Analyse.
In ihren zahlreichen schwachen Momenten ist House of Cards die Hochglanzvariante einer Stammtischdiskussion. Der einzige Unterschied zwischen der Parole von "denen da oben" und dieser hochgelobten Serie besteht in genau 100 Millionen Dollar - so teuer waren die ersten beiden Staffeln.
Unterwürfiger GehilfeDie dritte Staffel konfrontiert Underwood nun erstmals mit Gegenspielern von Format: Lars Mikkelsen spielt einen fast charmanten russischen Präsidenten Petrov, der in der besten Folge der Staffel versichert, er müsse Stärke zeigen, weil die Wahlbevölkerung nun mal traditionalistisch und religiös sei. Auch Douglas Stamper, der ehemals engste Mitarbeiter Underwoods, scheint nach dem Liebesentzug durch den Präsidenten die Seiten zu wechseln und eine parteiinterne Konkurrentin zu unterstützen.
Doch die gradlinige Erzählweise, die in den ersten zwei Staffeln angelegt ist, setzt sich auch hier fort: Schnell wird deutlich, dass Underwood auch weiterhin die bestimmende Figur bleiben muss. Stamper bleibt also schlussendlich doch ein treuer, unterwürfiger Gehilfe, dessen Loyalität schnell unglaubwürdige Ausmaße annimmt, gerade weil er als einer der wenigen Underwood offensichtlich strategisch und intellektuell ebenbürtig ist. Es wird in drei langen Staffeln nicht verständlich, woher Stampers Gier nach Underwoods Zuwendung eigentlich genau kommt.
Das ist programmatisch für Underwoods unmotivierte Überlegenheit. Immer ist er den anderen voraus, immer hat er den einen rettenden Einfall mehr. Damit gibt House of Cards die Möglichkeit auf, über sich hinauszuweisen: Underwood ist leer, nichts bewegt ihn außer seinem gigantischen Ego. Die Politikserie House of Cards leidet unter ihrem eklatanten Mangel an politischer Theorie. Sie könnte beispielsweise von Niklas Luhmann lernen, dass Macht immer ein graduelles Phänomen ist und von Erwartungen und Drohpotenzialen abhängt. Die Serie jedoch kennt Macht nur im Extrem: Entweder man hat sie (Underwood) oder man bleibt irgendwann ohnmächtig zurück (alle anderen). Und wer wie die ehemalige Prostituierte Rachel aus den Verhältnissen ausbrechen könnte, bezahlt seine Naivität mit dem Leben.
Das Problem ist hausgemacht
Die simplen Überzeichnungen berauben die Figur Underwoods jeglicher psychologischer Tiefe. Als Underwood ein einziges Mal verzweifelt ist, wirkt die Szene grotesk, ja albern: Weinend sitzt Underwood neben dem Schreibtisch, angeblich zutiefst verletzt, dass seine eigene Partei ihm die Kandidatur für die nächste Wahl streitig machen will. Sogleich kommt seine Ehefrau Claire Underwood vom Joggen in sein Büro, erblickt den weinenden Ehemann, nur um sofort zur Tat zu schreiten und das Häufchen Elend mit spontanem Sex aufzumuntern oder, je nach Lesart, zu disziplinieren. Was sie da genau vorhat, ist letztlich unerheblich und genau das ist das Problem.
Die Episode des verzweifelten Underwood bleibt nur eine Durchgangsstation, an der die Serie viel zu plötzlich angelangt, um sie auf peinliche Weise sogleich wieder hinter sich zu lassen, als wäre nichts gewesen: Mit lachhaft pathetischem Chor im Hintergrund wird die Szene ausgeblendet. Die nächste Einstellung zeigt allen Ernstes den Springbrunnen vor dem Weißen Haus. Das ist auch handwerklich schlicht unterirdisch. Ein Filmschulen-Kalauer.
Das Problem, eine komplexe Geschichte um einen eindimensionalen Charakter herum erzählen zu müssen, hat sich die Serie selbst aufgehalst: Zwei Mal hat sie Francis Underwood zum Mörder gemacht, ohne dass diese Taten an seinem Selbstbild etwas geändert hätten. Wie soll man dieser Figur danach noch Zerrissenheit, Selbstzweifel, menschliche Gefühle abnehmen? Hier müssten endlich Wunden aufbrechen, die nicht eine Folge später schon wieder geschlossen sind. Underwood müsste fallen. Tief fallen. Bislang ist das nicht absehbar.
Keine Geduld
Kevin Spacey sagt, er habe mit Insidern gesprochen und diese hätten ihm versichert, die Serienrealität träfe zu 99 Prozent perfekt die politische Wirklichkeit. Einzig die Effizienz des Kongresses sei in der Wirklichkeit nicht so hoch. Dass Underwood eine Karikatur bleibt, eine wahnwitzige Überzeichnung machiavellistischer Tugenden, die permanent bekommt, was sie wünscht, scheint keinem aufzufallen.
Die Politik in House of Cards ist kein Max Webersches Bohren dicker Bretter. Hier gibt es kein Vor und Zurück, kein ewiges Ringen, keinen Stillstand. Genau das hat allerdings die Serie The Wire so brillant gemacht: Es ging mitunter im Schneckentempo voran, auf fesselnde Weise passierte gar nichts. House of Cards fehlt hierzu die Geduld, es geht ständig mit großen Schritten voran. So sah Geschichtsschreibung noch vor Jahrzehnten aus: Große, weiße Männer treiben durch ihre genialen Entscheidungen die Weltgeschichte voran. Underwood ist einer von ihnen. Nur eben ohne menschliche Größe, dafür mit umso größerem Killerinstinkt.
Die Serie wird von dem amerikanischen Streaminganbieter Netflix produziert, der in der Lage ist, mit seiner Big-Data-Technologie den Erfolg einzelner Story-Elemente zu messen. Netflix wusste daher, welche Themen besonders beliebt sind, welche Schauspieler Zuschauer binden usw. Deshalb ist es in diesem Fall ausnahmsweise einfach mal wahr, wenn man sagt: House of Cards ist, was der Durchschnitt will. Und das ist offensichtlich die Bestätigung eigener Klischees.
erschienen bei ZEIT ONLINE, 15.4.2015.
Rétablir l'original