Bei Austras drittem Album „Future Politics" deutet schon der Titel an, dass die Ansprüche hoch sind. Es geht ihrem Synthie-Pop um eine Politisierung, der Kapitalismus ist das Thema. Die Vision ist eine allumfassende Grenzenlosigkeit. In den Köpfen, auf den Karten.
„Future Politics" ist in einer Hinsicht großartig: der Musik selbst. Das Album ist nun näher an Techno und Trip Hop, es hat Druck und viele Momente, die brillant zusammengefügt sind: Da wäre der an beste Nine Inch Nails erinnernde Basslauf in „Freepower". Oder der traumhaft groovende Beat von „We were alive", und wenn etwas später die Streicher sich darüberlegen, dann ist Austra das, was The XX hätten sein sollen: Eingängig und besoffen vom Pathos - und dennoch nicht gefällig. Auch wie „Future Politics" einerseits die Souveränität des Synthie-Pops und des Techno mit schroffen Konturen aufruft und andererseits warm und menschlich klingt, das ist selten in einem gerne mediokren Genre. Austra ist vielleicht das musikalische Äquivalent zum skandinavischen Design: Funktional, minimalistisch, warm. Und das boomt, durchaus zu Recht.
Problematischerweise nun gibt es Texte auf diesem Album - und die formulieren aus, wo das Problem im Hier liegen soll und was es bräuchte: eine Zukunft. Hier verheddert sich Hauptsongwriterin Katie Stelmanis ausdauernd in Phrasen, da sind keine Andeutungen und keine fordernden Fragen. „I've been living in a garden, distant, I was in a fortress. Those tough walls crumbling. And I think I see how we've been cheated, the lies" heißt es in „We were alive". Und natürlich, irgendwann kommt der Satz „Doctor, what's the cure for apathy?" Es ist nicht so schwer, sich diese Zeilen bei Linkin Park vorzustellen. Burg, Wände, Käfig. In etwa: Haus, Maus, raus.
In „Future Politics" fällt tatsächlich der Satz „The system won't help you when your money runs out". Das dürfte vierzig Mal wahr sein, ein Satz wie dieser müsste dennoch unter Quarantäne stehen. Nicht nur, weil der Gedanke so schrecklich unsubtil entwickelt wird, sondern auch, weil nicht erkennbar ist, wo sich hier Austras linke Vision unterscheidet vom Gegröhle von rechts: Wir werden belogen. Die Armen müssen verhungern. Es gibt da dieses „System", das an all dem schuld ist. Das erinnert ein wenig an Anohnis Album. Großartige Musikerinnen kommen zu sehr einfachen Botschaften.
Der tolle Mark Fisher, der kürzlich seinem Leben nach langer Depression ein Ende setzte - und der immer wieder darauf hinwies, wie die scheinbar privaten Krankheiten Teil eines größeren, politischen Ganzen sind - spricht vom „kapitalistischen Realismus" als der vorherrschenden Ideologie: Gesellschaft und Kultur erscheinen als unveränderlich, Mensch kann sich nicht mehr vorstellen, dass eine andere Ordnung auch nur möglich wäre. Die Zukunft verschwindet.
„Future Politics" scheint gegen genau diesen Zustand zu sprechen. Während aber Stelmanis die Dystopien verteufelt, argumentiert Fisher, gerade in der dunklen Welt des Postpunk ginge es doch darum, sich Gedanken zu machen, wie es anders aussehen könnte. Fisher denkt in Kontingenzen, Austra in Gut und Böse. Zu einer wirklich subversiven Platte auch im Wort fehlt diesem Album das selbsteinholende Moment. Austra sprechen von einer Zukunft in abgehangenen Routinen der Kritik. Aber: Die Musik hat Kraft.
erschienen in der Frankfurter Rundschau, 3.2.2017.