Wenn Brian Eno nun zu Neujahr sein x-tes Ambient-Album „Reflection" herausbringt, ist wieder der musiktheoretische Impuls spannend: Eno liefert in „Deluxe Generative Versions" ein Programm mit, das aus den Versatzstücken des Originals die Musik prinzipiell auf ewig weiterspinnt. Eno verglich das mit der Gärtnerei: Er pflanze bloß. Danach ginge es weiter. Und, soviel sei vorweggenommen, „Reflection" ist ähnlich großartig wie die Ambient-Alben Enos aus den 70ern und 80ern. Warum die aus den 90ern und 2000ern meist eher Mist waren - das ist gar nicht leicht zu sagen. Weil Ambient von Hause aus die Dinge so lange runterkürzt, bis das Ergebnis der Langeweile im Wortsinn möglichst nahe kommt, kommen will.
„Reflection" bleibt sanfter Wohlklang, die ganze Stunde. Es gibt keinen Ausbruch, kein Spiel mit den Extremen, kein Störgeräusch oder keine Lautstärke, die da hineinkröche. Enos letztes Album „The Ship" machte genau das. Nun fließen wieder, wie 1978 auf „Music for Airports", ruhige Synthesizerflächen über scheinbar ungezählte Stunden, ein Keyboard tupft Rosa und Orange und Rot darauf, alles ist warm und weich und ja, man kann dazu schlafen. Viel besser, sicherlich, als die Wäsche zusammenzulegen, das wäre schon zu viel, zu hektisch, zu aufregend.
Da ist ein Retrofuturismus in Enos Ambient-Werken, man kann erahnen, wie sich Ambient auswuchs zur Space Music, die ab Ende der 70er den Weltraum als Sehnsuchtsort ausmachte. Indem sich diese Musiken kontemplativ wegträumen, mit dem neuen Instrument Synthesizer Raum schaffen sollen für eine neue Aufmerksamkeit, kann man das mit Gründen für progressiv und fortschrittsfreundlich halten - oder aber mit ebenso guten Gründen für esoterische Fahrstuhlmusik, als kurzer Hörurlaub, der die Menschen wie bei einem Powernap wieder fitspritzt für das Danach der Mittagspause.
Einerseits zeigt das das Dilemma der Kunstkritik an: Die setzt andauernd dogmatisch die eigenen Wertungen anhand eigener Kriterien. Andererseits ist Ambient auch deswegen so spannend, weil es durch die radikale Verknappung so viele Deutungen und Ideen zulässt. Auch „Reflection" ist so gedacht, unabschließbar. Es ist unklar, wo es losgeht und wo es aufhört. Es ist wie mit dem Denken.
Nimmt man andere Klassiker-Alben der letzten fünfzehn Jahre wie William Basinskis „Disintegration Loops I-IV" oder „And their Refinement of the Decline" von Stars Of The Lid, dann ist Enos Ambient 2017 noch radikaler. Basinski arbeitet oft mit Störgeräuschen, da ist viel Rauschen, Stars Of The Lid drehen irgendwann die Regler hoch, aus dem Fließen wird ein Dröhnen.
„Reflection" bleibt friedlich in einer Konsequenz, die man weltabgewandt finden kann. Es gehe Brian Eno mal wieder um „die Suche nach dem geringstmöglichen Sound" formulierte eine schöne Besprechung. Das ist eine Musik des „Ich möchte lieber nicht", vielleicht. Oder etwas anderes. Vieles ist möglich. Und in dieser Hinsicht ist „Reflection" ziemlich befreiend.
erschienen in der Frankfurter Rundschau, 5.1.2017.