Was würde deutlich, wenn sich nicht nur plausibel nachzeichnen ließe, wie Donald Trump zahlreiche Regeln im Wahlkampf ignorierte, dabei Tabu um Tabu brach, sondern wenn sich obendrein nachweisen ließe, dass er faschistische Prinzipien vertritt? Was wäre mit einer solchen Einschätzung gewonnen?
Mit dem Wort „Faschismus" wird die letzte Eskalationsstufe an Gewalt assoziiert, damit verbinden sich rassistische, sexistische, homophobe, antidemokratische Ressentiments und, wie die Geschichte gezeigt hat, Handlungen. Allein mit dem Wort wäre all das angesprochen, zudem eine Verurteilung ausgesprochen, die jedoch den demokratischen Disput auch belastet. Denn mutmaßlich hat man damit nicht nur einen ultimativen Vorwurf ausgesprochen, sondern begibt man sich in ein simples Schema, sitzt womöglich einer Strategie auf, ist man in genau der Welt angekommen, in die sich viele rechtsaußen hineinwünschten: in einer Welt von Freund oder Feind. Wir oder sie? Und dann, und jetzt?
Es mag helfen, den Blick auf die Vordenker dessen zu riskieren, was mal „Rechtspopulismus" heißt, mal „Faschismus". Es geht dabei um Weltsichten, wie sie Autoren der zwanziger und dreißiger Jahre formuliert haben, und die heute durch den Aufzug „rechter" Positionen, symbolisiert durch die AfD in Deutschland, durch den Brexit in UK, durch Trump in den USA, wieder an Popularität gewonnen haben.
Carl Schmitt, wohl der berühmt-berüchtigste Jurist des zwanzigsten Jahrhunderts, ein Kronjurist des Dritten Reiches, wertete die harsche Formel von Freund und Feind auf, indem er argumentierte, auf diese letzte Unterscheidung ließe sich „das Politische" zurückführen. Genauer: Das Politische bezeichne den „höchsten Intensitätsgrad von Assoziation und Dissoziation". Freunde stehen besonders eng zusammen, vom Feind trennt uns ein gigantischer Abgrund. Das heißt: Es könnte zur Gewalt kommen, es könnte zum Krieg kommen. Schmitt schrieb drei unterschiedliche Fassungen des kurzen, epochemachenden Textes „Der Begriff des Politischen", 1927, 1932, 1933.
In der ersten Fassung sprach er noch nicht von Intensitätsgraden der Verbindung und der Trennung, sondern er hatte eine Trennung der Gebiete im Kopf: das Politische als Unterscheidung von Freund und Feind sollte entschieden getrennt werden von der Moral, die über Gut oder Böse befindet.
Früher, 1922 schon, hatte Schmitt seine „Politische Theologie" veröffentlicht, in der er die Frage aufwarf, wer der politische Souverän sei. Er schrieb: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet." Das Verhältnis von Normalzustand und Ausnahme durchzieht das Buch, von bewährter Routine, in der bloße Automatismen ablaufen, und einer politisch so neuen Situation, dass sich die Entscheidenden an keine Rezepte halten. Souverän ist der, der bestimmen kann, was normal ist und was nicht. Es ist derjenige souverän, der die Verhältnisse bestimmen kann, der sagen kann: Dies hier darf so sein.
Schmitt lehnte den Rationalismus ab, der davon ausging, man könne durch „Berechnung" oder bloßen Vernunftgebrauch die Ideallösung finden. Damit lehnte er ab, was ein Niklas Luhmann, Jahrzehnte später, die Legitimation durch Verfahren nannte. Schmitt verfemte die sachliche Debatte im Parlament, dadurch werde die eigentliche politische Frage nach der Macht verschleiert. Einer müsse ja doch entscheiden. Die Routine, das Gängige, müsse zum Überwundenen werden.
Eine solche Perspektive steht nicht zuletzt auf Kriegsfuß mit einem moralischen Traditionsbewusstsein, das aus „Anstand" und Moral bestimmte Verhaltensweisen im politischen System sanktioniert und andere herbeiwünscht. Was Donald Trump im Wahlkampf sagte, über Mexikaner als Vergewaltiger, über zu bauende Mauern, über gefälschte Wahlen und einzusperrende Clintons, über verrückte Frauen, über Frauen, die man bei ihren Geschlechtsteilen packen solle - das ist kein bürgerlicher Konservatismus, der sich traditionsbewusst zurückwendet.
Attacken auf den Anstand, Provokationen gegen den Konsens erscheinen attraktiv geworden nach dem Moto: Da traut sich einer. Trump spricht von einem „Make America great again", aber dieses Amerika, so scheint es, muss erst völlig umgekrempelt werden, gegen die demographischen Verhältnisse, gegen die Liberalität, für die große Teile der Bewohner an den Küsten stehen, gegen die Beharrungskräfte des Establishments, gegen gängige Muster eines Wahlkampfs, dessen Regeln er nicht anerkannte. Trump hat dagegen die schiere Entschiedenheit aufgeboten. Die Provokation, das Herausfallen aus allen Skripten und dem, was für „anständig" oder moralisch richtig gehalten wird.
Faszination für Provokation, Sprengstoff, IntensitätEin weiterer Blick zurück gilt dem Schweizer Autor Armin Mohler, Jahrgang 1920, der zunächst Privatsekretär Ernst Jüngers war und später zu einem der wichtigsten Vordenker der „Neuen Rechten" wurde. Er zählte die Bücher Carl Schmitts zu seinen wichtigsten Einflüssen. Mohler publizierte in den 70ern zunächst einen Text namens „Der faschistische Stil", in dem er nach eigenen Auskünften einen „physiognomischen Zugriff" wählte und „seinen" Faschismus aus romantischen und existenzialistischen Motiven zusammensetzte.
Das war wie ein Versuch, den durch die Geschichte diskreditierten Begriff wieder praktikabel zu machen. Das Besondere an Mohlers Versuch war, dass er den Faschismus über die Formen und Stile zu begreifen suchte, die er hervorbringt. Die Haarschnitte, die monumentalen Gebäude, all das zeichne sich aus durch die Kälte und Unnachgiebigkeit des Stils. Für Mohler ist der Faschismus gerade keine Frage des Inhalts, der Ideologie, sondern eine Haltung.
In dem etwas später veröffentlichten Text „Die nominalistische Wende" unterscheidet er die (linken) Universalisten von den (rechten) Nominalisten. Erstere glauben noch an das Bestehen universeller und dauerhafter Wahrheiten, die sich zudem mit der Verstandeskraft des Menschen nach und nach ergründen ließen. Letztere hingegen glauben allein an die Realität der besonderen, konkreten Gegenstände. Eine allumfassende Perspektive ist falscher Zauber, der von der Maßlosigkeit und Selbstüberschätzung nur ins große „Jammern und Flennen" kippen könne.
Der Nominalist weiß, dass Streit kommen wird, er ist nicht nur darauf vorbereitet, er umarmt ihn sogar. Mohler zeichnete ihn als Figur zwischen Ironie und Tragik, die aus der Überzeugung, es gebe keine allgemeine Wahrheit „da draußen", die Gewissheit nimmt, dass es daher auch keine normativen Verbindlichkeiten geben kann, ja: Geschichte gemacht wird. Der Mensch wird zum großen Formgeber und Gestalter, der dem Chaos, das eigentlich herrscht, mit Macht und Gewalt eine Gestalt gibt. Wahrheit wird gemacht.
In dieser Entschiedenheit, die sich ungebunden gibt und als ultimativer Protest auftritt gegen das „Verkrustete", das Immer-Weiter, und die durch den Brexit, die Brexit-Vielen ebenso wie durch Donald Trump, das Trump-Solo symbolisiert werden, wird eine „Haltung" offensichtlich. Mit Schmitt und mit Mohler ließe sich spekulieren, dass dahinter eine Weltsicht steht, die ohnehin schon immer Wahrheit an Macht band.
Rainald Goetz belegte in seinem letzten Roman „Johann Holtrop" die ökonomische und politische Elite mit dem schönen Wort „Intensitätsspinner". Sie nehmen Leidenschaft und den Mythos vom „Macher" wichtiger als strenge Rationalität. Es geht um ein Gefühl: Vom Machen und vom Mitgerissen-Werden.
In einer Figur wie Trump bricht sich etwas Bahn, das nicht mehr einfach „rechts" oder „links" zu nennen ist, sondern das alles aus einer grundsätzlichen Verherrlichung der Tat gegenüber dem angeblich schnöden Gerede und dem Altbekannten bezieht. Gegen die Verbindlichkeiten arbeitet eine Faszination für die Provokation, für den Sprengstoff, für die Intensität. Wer ohnehin nicht an Verbindlichkeit von Wahrheit und Moral glaubt, kann Unterschiedlichstes vereinen: Liberale und Libertäre, die Alt-Right, die Tea Party, Ayn-Rand-Leser und Leser der Bibel. Wer so denkt, glaubt die Freiheit zu haben, alles tun zu können.
erschienen in der Frankfurter Rundschau, 13.12.2016.