Die Festhalle fasst etwa 14 000 Menschen. Am Tag vor diesem Konzert der Schotten von Biffy Clyro spielten The Cure, sie schon bekamen den Raum nicht ganz voll. Bei Biffy Clyro nun ist die Halle halbiert, ein Vorhang und einige aufgebaute Ränge sind dazwischengeschoben. Es stehen und sitzen dort vor allem Männer. Männer mit Muskeln aus dem Fitnessstudio, Männer in T-Shirts mit „Route 66"-Print, Männer, die Teufelshörner mit ihren Fingern formen, wenn ihnen etwas gefällt.
Aber von Anfang an.
Als großartige Vorband sind Lonely The Brave aus Cambridge, England dabei. Sie klingen, wie Biffy Clyro früher klangen: nach geschmackvollem Alternative Rock vom Ende der 90er und Anfang der 2000er, melodisch, die Introspektion in großen Gesten zelebrierend. Der Grunge war durch damals, den Rap Rock und Rap Metal von Korn bis Linkin Park würde irgendwann kaum noch jemand ernst nehmen (mit einigen schlechten Gründen).
Von diesen Genres blieben die grimmigen Gitarren und ein Narrativ von Männlichkeit zwischen offener Flanke und Psychose. Bei Lonely The Brave zeigt sich die scheinbare Spannung zwischen Verletzlichkeit und ausgefahrenen Ellenbogen schon auf der Bühne: Sänger David Jakes wirkt sehr zerbrechlich und doch, seine Stimme die wunderbar an Mina Caputo von Life Of Agony erinnert, ist kraftvoll, das ganze Konzert als Mixed Message.
Nun sind Biffy Clyro, die seit Anfang der 2000er Alben veröffentlichen und mit „Only Revolutions" von 2009 so groß wurden, eine außergewöhnliche Band. Sie können straighte Rocksongs schreiben und welche von sieben Minuten, sie können Balladen und ganz viel Pathos, sie sind aber dabei verquer und denken um die Ecke. Ihre besten Songs haben einiges vom Funk und der Kantigkeit Gang Of Fours.
Traurig ist das kaum, wütend sehr selten, Biffy Clyro klingen auch auf diesem Konzert der Welt zugewandt, jeder der vielen Ausbrüche eher euphorisch als brutal. Ein Kollege meinte, Biffy Clyro seien eigentlich die einzige zu akzeptierende Stadion-Rock-Band. Biffy Clyro sind tatsächlich die besseren Foo Fighters, die besseren 30 Seconds To Mars (und sie haben den schöneren Frontmann, Simon Neil).
Das Problem ist, und das zeigt das Konzert konzentriert, je mehr sie ihren Sound und die Arme ausbreiten, je größer und pathetischer das wird, desto enger wird die Welt, die sie dabei aufrufen. Das Gruselkabinett der Festival-Vergemeinschaftungen ist da: Mitklatschen, Mitsingen, ja sogar hochgehaltene Feuerzeuge. Das Widerborstige und das Tiefe verschwindet, zurück bleiben Rock Am Ring und Bier aus Plastikbechern. Wogegen nichts zu sagen wäre - wenn diese Band nicht mehr könnte.
Dass Biffy Clyro einen eigenen Sound haben und sie große Songs in so vielen Schattierungen schreiben können, das vergisst man auf dem Frankfurter Konzert irgendwann, weil die letzten Alben und ihre Version des Stadion Rock den Großteil ausmachen. Je öfter sie die Formel aus lieblicher Strophe und Larger-than-life-Gitarre in den zwei Stunden vorführen, umso mehr wirken die Schotten wie eine gewöhnliche Rockband.
erschienen in der Frankfurter Rundschau, 9.11.2017.