Verfolgt man die Berichterstattung zu diesem vierten regulären Album von Lady Gaga, dann findet man geballt Belege dafür, wie austauschbar, mittelmäßig, geschmäcklerisch und halbverstanden es zugeht in der Musikkritik. In jedem einzelnen der vielen Texte, die zu „Joanne" bereits jetzt zu lesen sind, reden alle andauernd von einer Sache: Authentizität. Die ganz blöden Texte sagen: Lady Gaga ist jetzt ganz echt, sie hat die Kostüme und Rollen abgelegt, jetzt wird es ganz intim. Die weniger blöden Texte sagen: So etwas wie Echtheit gibt es gar nicht.
Die Frage nach Echtheit bei einer Kunstform ist ein Scheinproblem, das sich sofort in berechtigtes Nichts auflöst, wenn man eine Unterscheidung einführt: Wahrhaftigkeit/Glaubwürdigkeit. Ob Lady Gaga wahrhaftig ist, ob das stimmt, was sie da in einem reduzierteren Klang, mit mehr Gitarre, mehr Country, mehr jeans-and-white-t-shirt mitteilt, wird keiner von uns wissen. Es ist auch recht unerheblich. Aber, das ist die These dieses Textes, es hilft bei der Beurteilung danach zu fragen, wie glaubwürdig das ist. Passt das, lässt sich da etwas wiedererkennen?
Nun war es bis dato eine der Besonderheiten Lady Gagas, dass sie viele ihrer Ideen musikalisch downgradete: Schrieb sie ihre Songs am Flügel und konnte sie natürlich schon immer so brillant singen wie auf „Joanne", so drapierte sie billige Stimmverzerrungen und absurd stampfige Beats darüber.
Vom ersten Album „The Fame" verkauften sich weltweit noch 15 Millionen Platten. „Born this way" kam 2011 und die Gagaschen Spiele mit Rollen und Images wurden offen politisch gewendet, beispielsweise als Positionierung für Schwule, Lesben, Transsexuelle.
Während Gaga im Feuilleton immer beliebter wurde, verkaufte sich dieses Album nur noch sechs Millionen Mal. Artpop, der unsubtile Versuch von 2013, genau das zu machen, was ihr sowieso schon die meisten zustanden, nämlich intellektuell anspruchsvoll und dennoch massentauglich zu arbeiten, kam nur noch auf zweieinhalb Millionen.
Es ist zu erwarten, dass „Joanne" wieder besser läuft. Zum einen, weil der Rockismus zurückgekommen ist: Die letzten Alben der wirklich großen Popstars, „Lemonade" von Beyoncé, „Miley Cyrus and Her Dead Petz" von Cyrus, ja selbst „Purpose" von Justin Bieber stellen zum Sound, der dem Gitarrenrock zugeneigt ist, den Schmerz und die Tränen aus. Rock statt EDM.
Aber „Joanne" wird sich auch deswegen besser verkaufen, weil es ein gelungenes Album ist. Vor allem der Beginn, „Diamond Heart", das selten guten Hard Rock hinbekommt, und das funkige „A-Yo", die Ballade „Million Reasons". „Joanne" findet einen Mittelweg: Da sind einerseits Abgründe, da sind andererseits Auswege und hedonistische Nichtigkeiten. Und, will man es ganz hoch hängen, gelingt Lady Gaga mit den hier ausgestellten Insignien der weißen, männlichen Arbeiterklasse (Jeans, Marlboro, Classic Rock) etwas, dass in Zeiten des Trump-Wahlkampfes viel wert ist: einen Brückenschlag zwischen den Kulturen.
Da ist diese seit Jahren bekennende Demokratin, sie stammt aus guten New Yorker Verhältnissen, sie kam um die Ecke mit Ideen von der Kunsthochschule und mit einer Identitätspolitik für die Minderheiten. Jetzt singt sie (auch) vom Suff, vom Rauchen, alles immer im „Ich".
Der ausgestellten Weltläufigkeit der Platten zuvor fügt Lady Gaga eine neue Facette hinzu: das All-American Girl. Und das funktioniert vor allem, weil die Songs funktionieren - und ihre Stimme nie auch nur annähernd so cool klang wie hier.
erschienen in der Frankfurter Rundschau, 23.10.2017.