Neigt man dazu, die eigene Blase von Leuten und Branchen zu überschätzen, so kann man den Fall Antonio García Martínez' vergleichen mit dem Edward Snowdens: Ersterer war knapp zwei Jahre Manager im Advertising bei Facebook. Und weil Facebook zwar omnipräsent ist, aber es fast keine Hintergrundberichte gibt, wirken nun die knapp fünfhundert Seiten aus dem Inneren des Unternehmens wie ein Affront gegen die mächtige Firma - der gleichsam etwas Transparenz bringt in das Unternehmen.
García Martínez („Chaos Monkeys", HarperCollins Publishers) vergleicht Facebook mal mit „legalem Crack", mal mit dem Faschismus. Und er denkt in jedem Fall hoch vom eigenen Beitrag, den er nun dazu liefert, zu verstehen, wie gigantisch der Einfluss der Nerd-Kultur im Allgemeinen und von Facebook im Speziellen sei. Es sind im Folgenden viele Anekdoten aus seinen verschiedenen Arbeitsstationen (Wallstreet, kleinere Silicon-Valley-Startups, Twitter, Facebook), die als Belege dienen sollen. Dass seine eigenen Bett- und Saufgeschichten einen so beträchtlichen Teil einnehmen müssen, ist dennoch zu bezweifeln.
„Chaos Monkeys" ist vor allem ein Buch über die sehr männliche Checker- und Dominanzkultur, die auch in den vordergründig lockeren Unternehmenskulturen hegemonial zu sein scheint. Zwar wird viel von flachen Hierarchien gesprochen, die Mitarbeiter kommen in Shorts zur Arbeit - die Druckmittel und Demütigungen sind aber noch da. Auch im Silicon Valley werden ausländische Mitarbeiter, die aussteigen wollen, damit bedroht, dass man sie der Ausländerbehörde meldet. Vorgesetzte stehen nicht von ihren Tischen auf beim letzten Gespräch, in die Augen wird nicht geschaut - Machtgesten also genau so, wie man sie sich zuvor auch ausmalen konnte.
So sehr García Martínez auch bemüht ist, sich selbst zum allwissenden Erzähler zu machen, so over the top die ganzen hingeworfenen Zitate von Shakespeare bis Schopenhauer sind, am meisten spricht das Buch durch das, was es nicht zu sehen scheint: Wie ideologisch auch dieser Blick hinter die Kulissen selbst ist. „Chaos Monkeys" spricht und denkt in genau diesem Duktus, den García Martínez der Szene unterstellt, überall wimmelt es von Begriffen aus der Kriegsführung, Machiavelli wird zum Gewährsmann, ja selbst seine eigene Liebe zum Zombiefilm, in dem eine neue Ordnung erst erkämpft werden muss, wird zum Garanten des eigenen Erfolgs stilisiert. Gibt er Tipps, dann lauten sie beispielsweise sinngemäß: „Stalke vor jedem Meeting die zu treffende Person, Facebook, LinkedIn, Twitter, wie schaut sie auf Fotos aus? Fit, macht sie extrem viel Sport? Dann kann sie nicht motiviert genug sein. Essen sie teuer oder ernähren sich nur von Ramen? Die Ramen-Personen sind gefährlich". Na ja.
Die Schwäche in all dem besteht darin, dass das Buch die vielen zwischenmenschlichen Verfehlungen und die Herrschaft der instrumentellen Vernunft in absolut allem als bloße Reaktion auf die Umgebung deutet. Dass der Glaube an eine bestimmte Verfasstheit der Welt erst hervorbringt, was Mensch vorgibt bloß zu beschreiben, das scheint García Martínez nicht zu sehen. Er kann durchaus gut einfangen, wie Menschen agieren müssen, um in diesem Umfeld zurecht zu kommen, aber die schiere Kontingenz all dessen wird nie eingefangen. Dabei wäre es spannend: Wie gehen Menschen mit der Tatsache um, dass sie immer noch, gerade in einem so gut bezahlten Bereich, anders könnten?
Der Autor kann seine Perspektive nicht gegenschneiden mit derjenigen anderer. „The moment that door swung open, I knew I had her." Kleine Jungs und eine Sicht auf die Welt, die verschiedene Trophäen kennt: Boni, Frauen, ein Büro besonders nah an dem Zuckerbergs. PC-ness erscheint da als Schwäche. Die Frauenfeindlichkeit in der Verschraubung aus Techiekultur und Kapitalismus stellt „Chaos Monkeys" in vielen Passagen aus, dass García Martínez sie nicht kritisiert bekommt, passt zumindest zu dem stolz vorgezeigten Zynismus, den er unterkomplex simpel zu einer Art Weltformel ausbauen will: die Welt ist nun mal so und ein perfekter Deal sei der, wo sich beide Seiten schlussendlich etwas betrogen fühlen.
erschienen in der Frankfurter Rundschau, 9.10.2016.