Jochen Distelmeyer solo ist das Methadonprogramm der Blumfeld-Fanatics. Wenn das stimmt, dann ist Jochen Distelmeyer auf Tour mit seinem Coveralbum „Songs from the bottom, Vol. 1" der Cold Turkey, der kalte Entzug. Es lässt sich damit leben, man kommt los von dem Stoff, aber es tut weh.
Vor eineinhalb Jahren veröffentlichte Distelmeyer seinen Debütroman „Otis", auf der dazugehörigen Lesetour spielte er einige Songs. Aus dieser Idee entstand nun ein ganzes Coveralbum, das, leider, Nachfolgewerke in Aussicht stellt. Nun mag ein einzelnes Cover Sinn machen. Im Falle Distelmeyers, der mit Blumfeld und alleine grandiose Texte schrieb und schreibt, verschießt er bei Covern wie „Bittersweet Symphony" seine Stärke vollkommen. Und überhaupt, was will man einem derart ikonischen Song noch hinzufügen?
Vor allem live zeigt sich nun, dass Distelmeyer größer ist als die Songs, die er da spielt. Eine faszinierende Fähigkeit von ihm ist es, der ja durchaus cool gealtert ist in seinen Anzügen und Blümchenhemden, neben Gedankenschwere auch Peinlichkeit auszuhalten. So spricht er zum Einstieg über die „Grie Soß", über Seal und Heidi Klum, mal kalauert er sich um Kopf und Kragen, mal scheint er Gedanken zu sammeln für einen Essay im „Merkur".
Erstaunlich ist es nun, dass dieses Oszillieren zwischen Hoch und Tief, zwischen Ironie und Ausnahmezustand ein so devotes Publikum aus Fans der ersten Stunden anzieht. Es ist kein gutes Zeichen auf einem Konzert doch nur noch zu stehen neben denen, die das von Anfang an geil fanden. Gute Musik müsste auch die Jüngeren ziehen, es müssten neue Impulse her, gerade weil gute Musik wohl so etwas wie zeitlos ist. Das ist bei Distelmeyer nicht passiert, zumindest nicht an diesem Abend in der Frankfurter Brotfabrik. Und es fehlt die Differenzierung, egal ob Kalauer oder Geistesblitz, egal ob ödestes Bee-Gees-Cover oder das wunderbar brummige „Toxic" von Britney Spears, das tatsächlich eine inhaltliche wie musikalische Transformation mit Mehrwert erfahren lässt - die Leute sind begeistert.
Es gibt eine schöne Szene in der aktuellen US-Serie „Love": Ein Paar liegt zusammen im Bett, eher nebeneinander als miteinander. Sie wirft ihm vor, er sei viel zu nett. Und er müsse endlich aufhören, ihr so oft zu sagen, dass er sie liebe. Distelmeyer wird zu Tode geliebt. Er könnte sich gegen die Verkrustung in der Nostalgie wehren. Wobei er dafür viel zu höflich oder souverän zu sein scheint. Er animiert sogar zum Mitklatschen und Mitsingen. „Wir sehen uns doch nicht zum ersten Mal" sagt er irgendwann. So ist sie, die Ankunft im Alltag.
erschienen in der Frankfurter Rundschau, 15.4.2016.