Es steckt einiger Schrecken in jener Kunst, die sich klein macht. Die Kunst, die sich ranwammst an die Betrachtenden, verschleiert zuerst, dass Mensch kommt, um sie zu betrachten. Kanye West stellt sich ganz offen aus als Gestalt von ikonenhafter Schön- und Erhabenheit, Kanye West wird durch sein Werk vom Entertainer zum Künstler.
„Kennst du ein Genie, das nicht verrückt ist?", heißt es auf der vor kurzem im New Yorker Madison Square Garden erfolgten Präsentation des neuen Albums „The Life of Pablo". Die Installation, die das maximal nebensächlich vom Laptop abgespielte Album ergänzt, versammelt einige hundert unfassbar schöne Menschen in Wests eigener Klamottenlinie. Einige stehen auf zwei großen Podesten, schauen grimmig - nach und nach drängen andere, viele von unten nach oben. Eine Performance wie eine Wand, an der der Wunsch nach etwas mehr Ambivalenz zerschellt.
Kanye Wests Persona hat mit dem Pop-Egalitarismus, mit der Idee, jeder Mensch sei Musiker, wenig am Hut. Er inszeniert sich als gotteseingeflüsterter Prophet, manchmal gar als Gott selbst. Mal sagt er, will er als Präsident kandidieren. Jetzt behauptete er erst, „The Life of Pablo" sei das beste Album aller Zeiten - um sich dann entzückend bescheiden zu geben und zu dementieren: Es sei bloß „eines der besten aller Zeiten".
Dass Kanye Wests Pose niemanden nerven darf, liegt an der Musik - in ihr ist eine immense Tiefe und Trauer, und Wut, Freude, Hochmut. Und wenn etwas da ist, dann immer ganz und intensiv. Ausgewogenheit kommt hier aus der Kombination der Extreme. „FML" braucht nur eine unter Wasser gesetzte Pianomelodie und einen späten Ausbruch aus tackerndem Rap, um vom existenziellen Zweifel zum Muskelflexen zu kommen.
Im Ganzen wirkt „The Life of Pablo" düster und etwas weggeschossen, minimalistisch und klar strukturiert. Und es hat, man muss das so stereotyp sagen, viel Seele. Setzt West Autotune ein, die Stimmverfremdungssoftware, die in 99 Prozent jede Emotion tötet, wringt er aus einer scheinbar souveränen Stimme ein Wimmern und Klagen heraus, die einem das Gefühl geben, hinter die Fassade der Gesten und Posen zu schauen. Er nutzt Technik, um Nähe herzustellen.
Ein Sample wie der Klassiker „Bam Bam" von Sister Nancy macht einen Kloß im Hals. Man hört das Original, es löst kaum etwas aus. „Wolves" drapiert über einem herrlich rollenden Bass eine gleißend helle Frauenstimme, Kanye West schlängelt sich durch das Dazwischen. Das ist nicht leicht zu machen, sagt er. Deswegen gibt es nur wenige Alben wie dieses.
Das Album kann derzeit wohl nur auf dem Streaming-Dienst Tidal gehört werden. Ob andere Anbieter folgen werden, ist noch unklar.erschienen in der Frankfurter Rundschau, 16.2.2016.